Warum Sie Ihr Geld in Aktien stecken sollten – und nicht in Krypto

Kay Fehr | 
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Anlagespezialist Matthias Baumgartner rät, sich auch in turbulenten Zeiten an die Strategie zu halten. Bild: Melanie Duchene

Der Experte der Schaffhauser Kantonalbank über emotionale Anleger, Geld unter der Matratze und warum er von Krypto abrät.

Leitzins, Inflation, Obligationen: Was für Experten und Interessierte gängige Begriffe sind, kann bei Laien schnell ein grosses Fragezeichen hinterlassen. Trotzdem begegnen sie uns beinahe täglich; wer in der Wirtschafts- und Finanzwelt mitmischen will, kommt um die Grundlagen nicht herum. Die SN trafen sich deshalb zum Gespräch mit Matthias Baumgartner, Leiter Investment Center und Verantwortlicher für die Anlagepolitik der Schaffhauser Kantonalbank (SHKB). Der 55-Jährige hat mehr als 30 Jahre Erfahrung im Anlagegeschäft – ihm wird nachgesagt, komplexe Themen einfach erklären zu können.

Herr Baumgartner, vier Leute kommen zu Ihnen und wollen Geld anlegen. Der Erste hat 1000 Franken, der Zweite 10'000, der Dritte 100'000 und der Vierte 1'000'000. Was raten Sie denen?

Matthias Baumgartner: Sowohl der Erste als auch der Zweite sollte lediglich eine Anlage im Portfolio haben, nämlich einen breit diversifizierten Anlagefonds – ein klassischer Strategiefonds. Der Dritte hat nicht nur eine Anlage drin, sondern 10 bis 15. Beim Vierten hat es dann nochmals mehr, etwa 20 bis 30. Dieser könnte, je nach Anlagestrategie und Aktienanteil, auch einzelne solide Schweizer Aktien kaufen und dabei persönliche Präferenzen berücksichtigen. Alle vier sollten aber breit diversifizierte Anlagen haben. Die Rendite sollte bei allen – bei gleicher Strategie – auch gleich hoch sein.

 

Zur Person

Matthias Baumgartner ist 55 Jahre alt, seit 25 Jahren bei der Schaffhauser Kantonalbank (SHKB) Leiter Investment Center und verantwortlich für die Anlagepolitik der Bank. Matthias Baumgartner ist verheiratet und lebt in Schaffhausen. In seiner Freizeit treibt er gerne Outdoor-Sport wie Golfen, Biken, Langlaufen und Skifahren.

Für viele ist die Börse ein Buch mit sieben Siegeln. Was ist Ihr Tipp für einen Anfänger?

Er muss erst schauen, welcher Teil des Vermögens investiert werden kann. Wer nur knapp über die Runden kommt, sollte nicht investieren. Der Teil, der angelegt wird, muss längerfristig entbehrlich sein – das kann auch ein überschaubarer Betrag sein, der monatlich eingezahlt wird. Dazu braucht man eine klare Anlagestrategie. Aktien nach dem Zufallsprinzip zu kaufen, ist noch keine Strategie.

Wie wird der Kurs einer Aktie an der Börse definiert?

Die vereinfachte Antwort lautet: Strikt nach Angebot und Nachfrage. Der Kurs widerspiegelt nichts anderes als den Unternehmenswert. Dazu zählt auch der heutige Wert von zukünftigen Gewinnen. In Börsenkursen sind immer auch Erwartungen enthalten, das bedeutet, alle öffentlich verfügbaren Informationen fliessen in den Kurs ein. Sobald sich die Erwartungen ändern, ändert sich auch der Aktienpreis.

Trudelt zum Beispiel die Meldung ein, dass die Georg Fischer AG 30 Prozent mehr Gewinn erwirtschaftet hat, könnte man intuitiv sagen: «Das ist sensationell, der Kurs muss explodieren» – plötzlich ist dieser aber gar um 5 Prozent tiefer. Das kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn der Markt mit einem Plus von 50 Prozent gerechnet hat.

Unterschied zwischen Aktien und Obligationen

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Aktie: Man kauft einen Anteil der Unternehmung und wird Miteigentümer mit Mitspracherecht. Möglicherweise erhält man eine Dividende ausgeschüttet, also einen Teil des Gewinns. In der Regel werden Aktien an der Börse gehandelt, man kann sie täglich kaufen und verkaufen.
Obligation: Man ist nicht Eigentümer, sondern stellt Geld zur Verfügung. Dafür erhält man einen fixen Zins über eine vordefinierte Zeit. Am Ende dieser Zeit wird das Kapital zurückbezahlt. Auch Obligationen können gehandelt und kurzfristig verkauft werden. Der vorbestimmte Zins ist abhängig von der Sicherheit – eine Staatsanleihe von Brasilien gibt zum Beispiel mehr Zinsen als eine der Schweizer Eidgenossenschaft, da sie als unsicherer gilt.

Was beschäftigt die Leute, die zu Ihnen in die Anlageberatung kommen?

Dass es wieder Zinsen am Markt gibt, nachdem wir im letzten Jahrzehnt historisch tiefe Zinsen hatten. Für Schweizer Staatsanleihen gab es lange 0 Prozent Zins oder man musste sogar Negativzinsen bezahlen. So ein anspruchsvolles Umfeld habe ich selbst in meinen 30 Jahren im Metier noch nicht erlebt. Seit anderthalb Jahren haben wir ein positives Zinsumfeld, das bedeutet auch für Anleger, dass sich neue lukrative Möglichkeiten eröffnen. Man muss nicht mehr mit den grossen Schwankungen von risikoreicheren Anlagen leben.

Trotzdem ist von einem volatilen Marktumfeld die Rede. Hat die Unsicherheit zugenommen?

Ja, die geopolitischen Krisenherde wie Ukraine oder Gaza, aber auch Bürgerkriege in Afrika verunsichern die Menschen. Viele Anleger geben sich dann einem Trugschluss hin und meinen, in so einem negativen Umfeld müssten auch die Börsen entsprechend reagieren. Hier entgegne ich jeweils: Auch wenn ein Ereignis sehr viel menschliches Leid mit sich zieht, heisst das nicht zwingend, dass es auch verheerende Folgen für die Wirtschaft haben wird.

Ein grosses Erdbeben, wie zum Beispiel in der Türkei oder in Indonesien, ist schrecklich, rein gesamtökonomisch sind die Auswirkungen aber nicht so extrem. Der Ukraine-Krieg hatte hingegen einen grossen Einfluss auf das Börsengeschehen, weil Russland den Gas- und Erdöl-Hahn zugedreht hat.

Was ist Inflation?

Die Inflation widerspiegelt das allgemeine Preisniveau beziehungsweise die Veränderung der Preise. Sie wird mithilfe eines fiktiven Warenkorbs berechnet. Dieser beinhaltet Lebensmittel, Mieten, Benzin, Freizeit und weitere Ausgaben. Er repräsentiert eine durchschnittliche, in der Schweiz lebende Person.
Nun schaut man, wie sich der Preis dieses Warenkorbs monatlich verändert. Diese Veränderung entspricht der Inflation. Wird der Warenkorb teurer, muss man entweder die Ausgaben reduzieren oder man hofft, dass die steigende Teuerung über den Lohn ausgeglichen wird.

Wie soll man denn auf solche Ereignisse reagieren?

Mein Eindruck ist, dass viele Anleger zu emotional an Themen wie Krieg oder Katastrophen herangehen. Sie haben eine Anlagestrategie, die von den Faktoren Risikofähigkeit und Risikobereitschaft geprägt ist. Bei einem Anlagegespräch sagen viele, sie könnten mit Schwankungen von 10 Prozent umgehen. Wenn diese aber effektiv eintreten, so wie 2022, dann kommen plötzlich Ängste hervor und Kunden reagieren emotional, obwohl die Risikofähigkeit vorhanden wäre. Sprich: Sie steigen aus. Oft ist das aber genau der schlechteste Zeitpunkt zum Verkaufen. Ich plädiere dafür, bei der gewählten Strategie zu bleiben, und nicht überzureagieren.

«Mein Eindruck ist, dass viele Anleger zu emotional an Themen wie Krieg oder Katastrophen herangehen.»

Das Jahr 2022 ist vielen Anlegern als ein sehr schlechtes in Erinnerung geblieben. Wie war 2023?

2022 war anlagetechnisch das Siebtschlechteste der letzten 100 Jahre. 2023 war hingegen ein Übergangsjahr mit grossen Schwankungen. Während September und Oktober beispielsweise schlecht liefen, waren November und Dezember dafür ausserordentlich gut. Insgesamt hatten die meisten Anlageklassen eine positive Rendite.

Wird dieser Aufwärtstrend im Jahr 2024 anhalten?

Von einem Trend zu sprechen, wäre noch zu viel des Guten. Wir glauben, dass es ein durchschnittliches Aktienjahr mit einer Rendite von 6 bis 7 Prozent wird. Zu den attraktiven Märkten gehört der Schweizer Aktienmarkt: Wegen der herrschenden Unsicherheit bevorzugen Anleger defensive Eigenschaften, welche die Schweiz mit Versicherungen und Pharma vorweisen kann. Diese Titel gelten auch in Krisen als stabil.

Aktuell wird überall dazu geraten, Geld in Aktien zu stecken. Warum ist das so?

Auf einem Sparkonto bekommt man aktuell etwa 1 Prozent Zinsen. Die Teuerung liegt aber bei knapp 2 Prozent. Das eine Prozent sieht zwar schön aus, aus 100 Franken macht man in einem Jahr 101 Franken. Wenn man mit diesen 101 Franken dann aber in die Migros geht, bekommt man dafür weniger, als man vor einem Jahr mit 100 Franken erhalten hätte. Das Ziel sollte es also sein, eine höhere Rendite zu erzielen als die Teuerung. So kann man sich denselben Wohlstand leisten, den man heute bereits hat. Man kommt nicht darum herum, in Anlagen mit mehr als 2 Prozent Rendite zu investieren. Dann landen wir schnell bei Aktien als gute Option.

Was dann aber auch mit mehr Risiko verbunden ist.

Man muss bereit sein, das Risiko auszudehnen. Das bedeutet aber nicht, dass man das gesamte Vermögen in Aktien investieren soll. Ein guter, gesunder Mix ist am besten. Ich bin ein Verfechter von Anlagen – meine Vorsorgegelder der dritten Säule habe ich mit langem Anlagehorizont in Aktien investiert. Und ich kann gut schlafen, auch wenn diese in einem Jahr 10 Prozent Verlust machen. Ich werde später für das höhere Risiko entschädigt.

Und wer kein Risiko will, nutzt seine Matratze als Tresor?

Das ist die schlechteste Idee von allen. Selbst bei kurzfristigen, schnell verfügbaren Anlagen gibt es heute wieder einen Zins. Auch wenn dieser «nur» 1 Prozent ist, es ist immer noch besser als 0 Prozent. Und ob es unter der Matratze so sicher ist, sei dahingestellt.

Was ist der Leitzins?

Der Leitzins ist ein wichtiges Instrument der Nationalbank, um die Inflation in Grenzen zu halten. Er unterliegt nicht Angebot und Nachfrage, sondern wird von einem Gremium festgelegt. Die Nationalbank ist die «Bank der Banken», denn zum Leitzins können Schweizer Banken bei ihr Geld anlegen oder aufnehmen. Er ist ein wichtiges Instrument, um zu steuern, wie viel Geld in einer Volkswirtschaft zirkuliert. Aktuell beträgt der Schweizer Leitzins 1,75 Prozent.

 

Wird der Leitzins nach dem grossen Anstieg wieder sinken?

Wir sind der Meinung, der Zinsgipfel ist erreicht. Die Zinsen werden bis auf Weiteres voraussichtlich nicht mehr steigen. Wir gehen davon aus, dass die SNB 2024 die Zinsen wieder senken wird, unsere Einschätzung ist Mitte Jahr.

«Der Zinsgipfel ist erreicht. Die Zinsen werden bis auf Weiteres voraussichtlich nicht mehr steigen.»

Was hätte das für Auswirkungen?

Die sind nicht dramatisch, weil der Zinsschritt wohl ein Viertelprozent sein wird und dieser bereits in den aktuellen Angeboten eingerechnet ist – ganz anders als die massive Erhöhung vor anderthalb Jahren. Es wird eine Beruhigung an den Zinsmärkten geben.

Kryptowährungen erfreuen sich immer grösserer Beliebtheit. Raten Sie den Anlegern dazu?

Nein, sie sind ein Spekulationsobjekt. Man kann sie schlecht in eine Anlagestrategie einbauen. Wir haben eine interne Analyse gemacht, wie sich die Risiko-Ertrags-Eigenschaften eines Depots verändern, wenn wir es mit unterschiedlichen Prozentzahlen an Kryptowährungen ergänzen, als Ersatz für Auslandaktien. Wir mussten feststellen, dass das Risiko selbst bei einem kleinen Anteil Krypto in die Höhe schiesst. Und der Ertrag nimmt nicht im gleichen Masse zu. Deshalb ist es eine suboptimale Investition.

«Für mich als Anlageexperte ist es schwierig, eine Kryptowährung zu analysieren.»

Für mich als Anlageexperte ist es schwierig, eine Kryptowährung zu analysieren. Wenn ich eine Aktie bewerten will, habe ich Substanz dahinter, die Unternehmen haben Bilanzen und Erfolgsrechnungen, ich kann einen fairen Wert berechnen. Aber bei Krypto geht das nicht, die Währungen sind nicht bewertbar. Darum möchte ich das auch nicht in ein Portfolio einsetzen.

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