«Es ist Angstmacherei»

Die Teuerung hat in den letzten Monaten angezogen, was besonders Menschen mit tiefen Renten spüren, sagt der Geschäftsführer der Pensionskasse Schaffhausen Oliver Diethelm. Indes laufe die Reform der beruflichen Vorsorge an der Realität vorbei.
Herr Diethelm, letztes Jahr haben die Aktienmärkte gewaltig aufgeholt, und laut der UBS haben Schweizer Pensionskassen rund acht Prozent Rendite erzielt. Wie sieht es bei der Pensionskasse Schaffhausen aus?
Oliver Diethelm: Das Ergebnis 2021 ist noch nicht publiziert und auch intern noch nicht kommuniziert. Ich kann aber sagen, unsere Rendite wird auch im Bereich von acht Prozent liegen. Das ist ein positiver Ausreisser. Basierend auf unserer Anlagestrategie erwarten wir langfristig eine Anlagerendite von durchschnittlich 2,2 Prozent.
Wie hoch wird die Verzinsung des Altersguthabens der Versicherten ausfallen?
Wir haben die Altersguthaben im 2021 mit zwei Prozent verzinst. Nun haben wir die Verzinsung für 2022 auf drei Prozent erhöht. Wir hatten ein paar gute Anlagejahre, speziell im 2021, sodass wir den Versicherten etwas weitergeben können. Das freut mich sehr.
Wie viel könnten Sie den Versicherten über die 3 Prozent hinaus zusätzlich gewähren?
Ich bin selbst auch Arbeitnehmer und würde mir natürlich auch eine möglichst hohe Verzinsung wünschen. Aber eine Pensionskasse muss, um Rückschläge an den Finanzmärkten zu verkraften, eine Reserve – im Fachjargon: Wertschwankungsreserve – haben.
Diese müssen wir gemäss Gesetz zuerst füllen. Denn wenn es an den Finanzmärkten kracht und der Deckungsgrad auf 90 Prozent fällt, müssten die Arbeitgeber wieder Sanierungsbeiträge leisten. Das kann niemand wollen. Sobald unsere Reserven voll sind, werden wir uns eine höhere Verzinsung leisten können.
Angezogen hat auch die Inflation. Die Jahresteuerung liegt aktuell bei 1,6 Prozent. Credit-Suisse-Analysten rechnen selbst bei einer moderaten Inflation von 0,5 Prozent mit einem markanten Kaufkraftverlust für Rentnerinnen und Rentner. Inwieweit beunruhigt Sie das ebenfalls?
Im Moment beunruhigt es mich nicht. Denn wir sprechen von einer aktuell sehr tiefen Inflation in der Schweiz. Auch historisch fällt die Teuerung sehr moderat aus. Das ist eine gute Nachricht für die Rentenkaufkraft. Die Frage bleibt, wie hartnäckig die Inflation sich erweist. Ich glaube, sie wird in der Schweiz unter zwei Prozent bleiben, was volkswirtschaftlich wünschenswert ist.
Die Credit Suisse geht jedoch von einem Kaufkraftverlust von fünf Prozent in zehn Jahren aus, wenn die Teuerungsrate auch nur 0,5 Prozent beträgt. Das spürt man im Geldbeutel.
Einverstanden, vor allem Menschen mit tiefen Renten werden einen solchen Kaufkraftverlust merken.
Ein Vorsorgeexperte des VZ Vermögenszentrums sagte kürzlich, in den letzten 10 bis 15 Jahren habe kaum eine Pensionskasse einen Teuerungsausgleich gegeben, was die Kaufkraft der Rentnerinnen und Rentnern geschwächt habe. Wann hat die Pensionskasse Schaffhausen zum letzten Mal einen Teuerungsausgleich gewährt?
Wir konnten schon lange keinen Teuerungsausgleich mehr vornehmen. Denn wir hatten bis vor relativ kurzer Zeit einen tiefen Deckungsgrad und damit nicht die finanziellen Möglichkeiten. Zudem war die Teuerung in den letzten Jahren gering oder sogar negativ. Daher gab es bis anhin keinen Anlass für einen Teuerungsausgleich. Sofern die finanziellen Mittel vorhanden sind, werden wir darauf zurückkommen.
Der Deckungsgrad Ihrer Pensionskasse liegt bei rund 114 Prozent. Die Mittel für einen Teuerungsausgleich wären vorhanden.
Man muss aufpassen. Wir brauchen eine Wertschwankungsreserve – das sind momentan diese 14 Prozent. Für unsere Anlagestrategie bräuchten wir aber sogar 17 Prozent, also einen Deckungsgrad von 117 Prozent. Solange wir nicht dort angekommen sind, können wir keine zusätzlichen Leistungen ausbezahlen, weil unsere Risikofähigkeit immer noch eingeschränkt ist. Dazu gibt es auch gesetzliche Vorschriften, weshalb wir hier nicht frei sind.
Wie genau kommen Sie auf 117 Prozent Deckungsgrad?
Wir analysieren periodisch unsere Anlagen, unsere Verpflichtungen und unsere Anlagestrategie anhand einer sogenannten Asset-and-Liability-Studie. Diese gibt uns an, wie viel Reserven wir brauchen, um in den nächsten zwei Jahren Rückschläge an den Kapitalmärkten zu verkraften. Die Finanzmathematik ergibt eine notwendige Wertschwankungsreserve von 117 Prozent.
Welche von Ihren Versicherten sind besonders stark von der Inflation betroffen?
Für jeden Rentenjahrgang können wir die kumulierte Teuerung über das Rentnerleben hinweg bestimmen. Neben der Inflation müssen wir aber auch andere Faktoren wie den Umwandlungssatz und das darin enthaltene Zinsversprechen einbeziehen.
«Die ganze Pensionskassenwelt hofft auf steigende Zinsen.»
Erst aufgrund der Gesamtbetrachtung können wir beurteilen, wer wie stark von der Teuerung betroffen ist.
Analysten der Zürcher Kantonalbank gehen von steigenden Zinsen ab 2022 aus. Was würde das für die Pensionskasse Schaffhausen bedeuten?
Die ganze Pensionskassenwelt hofft auf steigende Zinsen. Wenn sie bald wieder über null Prozent liegen, können wir wieder vermehrt in Obligationen und weniger in risikoreichere Anlagen wie Aktien oder Privatmarktanlagen investieren. Auch deswegen brauchen wir Reserven – damit wir die Risiken solcher Anlagen verkraften können. Wie auch immer sind wir heute noch weit von vergangenen Zeiten entfernt, als eine Obligation vier bis fünf Prozent Zins abwarf und man die Rentenverpflichtungen völlig risikolos mit Bundesobligationen erwirtschaften konnte. Mittelfristig wären wir mit ein bis zwei Prozent sehr zufrieden.
Was würden Sie mit dem Geld machen?
Über eine allfällige Mittelverteilung und die anzuwendenden Kriterien haben wir intern bereits gesprochen. Zuerst wollen wir unseren Zieldeckungsgrad von 117 Prozent erreichen. Dann werden wir Themen wie Verzinsung der Altersguthaben, den Teuerungsausgleich, Bonusrenten und so weiter angehen.
Seit Jahren wächst die Umverteilung. 1040 Franken sollen laut einer Studie der Universität St. Gallen pro Jahr pro Aktiven zur Rentnergeneration fliessen. Zeigt sich das auch bei der Pensionskasse Schaffhausen?
Die jährliche Umverteilung beläuft sich insgesamt auf acht Millionen Franken. Bei rund 7600 Aktivversicherten landen wir ebenfalls bei den rund 1000 Franken, welche die HSG-Studie beschrieben hat.
Ist Ihnen diese systemfremde Umverteilung nicht ein Dorn im Auge?
Es ist so, die Umverteilung von Jung zu Alt sollte nicht vorkommen, auch wenn gewisse Solidaritäten in jeder Kasse notwendig und erwünscht sind.
Im Moment sieht es danach aus, dass der Mittelfluss von den Erwerbstätigen zu den Rentnern wächst.
Das Problem ist der gesetzlich festgelegt Umwandlungssatz von 6,8 Prozent. Das im Gesetz festzulegen, ist völlig sinnfrei. Denn der Umwandlungssatz wird durch die Lebenserwartung und die Verzinsung bestimmt. Beides kann die Politik nicht beeinflussen. Es ist viel eher reine Primarschulmathematik.
Erklären Sie.
Bei der Einführung der beruflichen Vorsorge (BVG) im Jahr 1985 hatten die Leute eine Lebenserwartung im Alter 65 von im Schnitt gut 15 Jahren. Heute sind es 22 Jahre, also sieben Jahre oder über 40 Prozent mehr. Logischerweise wird die monatliche oder jährliche Rente kleiner, damit das einmal angesparte Alterskapital bis zum Lebensende reicht. Von einem Rentenklau zu sprechen, ist trotzdem falsch.
Weshalb?
Vielen Leuten und Politikern ist zu wenig bewusst, dass sich der Umwandlungssatz nur auf das BVG-Obligatorium bezieht. 15 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung sind so versichert. 85 Prozent befinden sich im Überobligatorium, das heisst ihre versicherten Leistungen übersteigen die gesetzlichen Mindestanforderungen. Für sie gilt bei den meisten Pensionskassen schon heute ein Umwandlungssatz um die fünf Prozent, bei der PKSH beträgt dieser beispielsweise 5,2 Prozent. Sie werden nichts von der Umwandlungssatzsenkung gemäss BVG-Reform spüren.
Insofern ist die politische Diskussion auf gut Deutsch gesagt heisse Luft?
Es ist Angstmacherei. 85 Prozent werden nichts von einer Senkung des Umwandlungssatzes auf sechs Prozent spüren, weil die Realität schon längst eine ganz andere ist – nämlich Umwandlungssätze von um die fünf Prozent.
Somit läuft auch die Debatte um die Rentenzuschläge als Kompensation für einen tieferen Umwandlungssatz an der Realität vorbei, oder?
So ist das. Es kann doch nicht sein, dass auch die hohen Renten nach dem Giesskannenprinzip entschädigt werden, obwohl sie faktisch gar nicht betroffen sind. Das wäre ja eine Rentenerhöhung. Ich bin aber dafür, dass jene Betroffenen mit tiefen Renten einen grosszügigen Zuschlag erhalten. Das sind maximal 15 Prozent der Arbeitnehmer.
Was empfehlen Sie einer Person, die heute pensioniert wird: Kapitalbezug oder Rente?
Wer Sicherheit bevorzugt, sollte sich für eine Rente entscheiden. Wer Kapital bezieht, muss es professionell anlegen können. Das ist aber nicht so einfach. Die Entscheidung hängt aber auch stark von den sonstigen finanziellen Verhältnissen einer Person ab.