«Die Belastungssituation hat tendenziell zugenommen»

Burn-outs bei Schülern sind im Kanton kein unbekanntes Thema: Fachleute erklären, wann sich die Fälle jeweils häufen und welche Kontrollinstrumente etwa die Kantonsschule eingeführt hat.
Im Kanton Schaffhausen ist das neue Schuljahr gerade mal zwei Wochen alt, in der Kantonsschule ist für die Erstklässler einmal mehr Probezeit angesagt. Die Probezeit an den Sekundarschulen ist seit dem aktuellen Schuljahr Geschichte. Dieses erste Semester an der neuen Schule ist bekannt für die grosse Belastung, welcher die Schülerinnen und Schüler in dieser Zeit ausgesetzt sind. Denn wer am Ende keine genügenden Noten schreibt, fliegt raus. Solche Situationen können bei einigen Schülern zu Stresserkrankungen wie Burn-out führen. Das ist offenbar auch dem Erziehungsrat bewusst. Wie Thomas Schwarb Méroz, Dienststellenleiter Primar- und Sekundarstufe I, auf Anfrage von shn.ch erläutert, habe der Erziehungsrat «gerade wegen der sehr belastenden Situation» auf dieses Schuljahr hin entschieden, die Probezeit in der Sekundarschule abzuschaffen. Stattdessen wurde ein durchlässigeres Modell eingeführt.
Kontrollinstrumente in der Kanti
Für Pasquale Comi, Rektor der Kantonsschule Schaffhausen, ist das Thema Stresserkrankungen oder Burn-out bei Schülerinnen und Schülern kein unbekanntes Thema. Um dem entgegenzuwirken wurden mehrere Kontrollinstrumente eingeführt. Einerseits wird im ersten Semester, der Probezeit, von Anfang an ein Prüfungsplan festgelegt. So können die angehenden Kantischülerinnen besser planen und haben die Garantie, dass sie in dieser ohnehin sehr stressigen Zeit, nie mehr als drei Prüfungen pro Woche haben. Andererseits wird zu Beginn der Schulzeit ein Klassenbuch geführt, wo Aufgaben und die entsprechenden Aufwände notiert werden. Zudem steht den Klassen ein Instrument zur Erhebung der Belastung zur Verfügung. Auf vorgedruckten Formularen notiert jeweils pro Fach ein Schüler mit durchschnittlicher Leistung Arbeitsaufwand und Belastung, was dann wiederum vom Klassenlehrer überprüft wird. Dadurch hat der Klassenlehrer die Möglichkeit zu beurteilen, ob eine Klasse übermässig belastet wird. Dies könne beispielsweise durch gewisse Lehrerkonstellationen verursacht werden, so Comi. «Es ist bekannt, dass nicht jeder Lehrer und jede Lehrerin in gleicher Weise unterrichtet, dazu gehört auch die Menge an Hausaufgaben und der damit verbundene Arbeitsaufwand.»
Nur Einzelfälle registriert
In der Kantonsschule, aber auch im Erziehungsdepartement des Kantons Schaffhausen, werden nur Einzelfälle registriert beziehungsweise bis zum Rektor gemeldet. «Im Normalfall sind hier die Klassenlehrer in Zusammenarbeit mit den Prorektoren der verschiedenen Ausbildungsrichtungen zuständig», sagt Rektor Pasquale Comi auf Anfrage. Überhaupt würden die Fälle in der Kanti nicht statistisch erfasst, er könne also nur über seine persönlichen Eindrücke Auskunft geben, nicht aber zu konkreten Zahlen.
Beim Erziehungsdepartement sieht es ähnlich aus, so schreibt Thomas Schwarb Méroz, es würden nur Kinder registriert, welche von Ärztin oder Psychologen in eine stationäre, psychiatrische Behandlung eingewiesen würden. «Daraus lassen sich aber keine verlässlichen, statistischen Daten oder Aussagen ableiten», schreibt Schwarb Méroz weiter.
Peak zum Jahreswechsel
Im Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienst (KJPD) der Spitäler Schaffhausen existiert zwar eine Statistik zur Anmeldehäufigkeit, jedoch keine spezifisch zu Burn-out-Erkrankungen. «Seit drei Jahren gibt es eine Zunahme bei den allgemeinen Fallzahlen», sagt Chefarzt Jan-Christoph Schaefer. Die Anmeldungen pro Jahr seien von 330 auf 400 angestiegen. Wie viele davon tatsächlich als Burn-out klassifizierbar sind, sei schwierig zu beurteilen. Denn: «Die Schule und das damit verbundene Umfeld aus Klassenkameraden und Lehrern spielt natürlich immer eine Rolle bei der Entwicklung.» Klar sei, dass die Zwischenzeugnisse im Januar und der damit verbundene Übertritt ins nächste Schuljahr bei vielen Schülerinnen und Schülern stressbedingte Symptome auslösten. So gibt es, laut Schaefer, eine klar erkennbare Häufung der Fälle in der Zeit zwischen Dezember und Januar. Die Symptome seien vielfältig und reichten von Schlafstörungen und Bauchschmerzen über Angstzustände bis hin zur Erschöpfungsdepression. Interessanterweise lösten sich diese Symptome bei vielen Betroffenen auf, sobald die Entscheidung zum Übertritt gefallen sei, und zwar «häufig unabhängig von der effektiven Entscheidung.»
Schüler nehmen Anforderungen «sehr ernst»
Fragt man nach Gründen, sind sich alle einig. «Schüler lernen sehr individuell», sagt Rektor Pasquale Comi, «Es gibt solche die nicht aufhören zu lernen, selbst wenn sie schon lange gute Noten schreiben.» Aber: «Die Belastungssituation hat tendenziell zugenommen». Für Chefarzt Schaefer ist es eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung, dass die Leistungserwartung gestiegen ist. «Die hohen Anforderungen der Schule und der gesamten Gesellschaft werden von den Schülern sehr ernst genommen.» Es fehle eine Form der Ablehnung gegenüber dem etablierten, durch die ältere Generation aufgebauten System und dessen Ansprüche. Dadurch werde einfach weitergemacht, ohne eine Möglichkeit sich abzugrenzen.
Bezugspersonen von Betroffenen rät Schaefer die Drucksituation wahrzunehmen und anzuerkennen. Vor allem Eltern müssten sich bewusst werden, dass sich die Situation im Vergleich zu ihrer eigenen Schulzeit stark gewandelt habe. Aussagen wie «Mach dir doch keinen Druck!», seien zwar oft gut gemeint, verfehlten aber leider das Ziel. «Der Druck ist einfach da», erklärt Schaefer. Das könne man nicht wegdiskutieren, viel eher helfe es, eine Strategie zu entwickeln mit dem Druck umzugehen, so wie er sich eben präsentiere. Beispielsweise sei es manchmal schon hilfreich den Druck selbst bewusst zu empfinden, sich klar zu machen, was alles dazu gehöre. Die Art und Weise wie Klassenkameraden und Lehrer über die Aufgaben sprechen, wie Leistung in den Medien gehandhabt werde, das alles sei Teil der Situation.