Lernende in der Berufsausbildung sind zeitlich höher belastet als Kantischüler

Alfred Wüger | 
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Ein gewisser zeitlicher Aufwand für das selbstständige Arbeiten ausserhalb des Unterrichts ist sowohl an der Kantonsschule wie auch am Berufsbildungszentrum in Schaffhausen vonnöten. Bild: Key

Immer wieder ist zu hören und zu lesen, dass die schulische Belastung im Gymnasium und in der Berufsschule zu hoch sei. Wie man diese Herausforderungen in Schaffhausen angeht, erläutern Pasquale Comi, Rektor der Kantonsschule Schaffhausen, und Marc Kummer, Rektor des Berufsbildungszen­trums BBZ Schaffhausen, sowie das Erziehungsdepartement.

Ganz klar sagt Pasquale Comi, Rektor der Kantonsschule Schaffhausen: «Ich würde nicht dafür plädieren, die Hausaufgaben zu streichen, aber die Diskussion darüber haben wir seit Längerem.» Es sei allerdings so, dass es beim Unterricht an der Kantonsschule für die grosse Mehrheit der Schülerinnen und Schüler okay sei, so wie es jetzt ist. «Doch wir haben eine kleine Minderheit, die gestresst ist, und um diese müssen wir uns auch kümmern.» Umfragen hätten gezeigt, dass es sich dabei um 10 bis 20 Prozent der Schülerinnen und Schüler handle. «Die psychische Belastung ist gestiegen», so Comi. Das habe wohl auch mit einer allgemein sinkenden Resilienz zu tun.

Schulintern gebe es eine Anlaufstelle, wenn schulische oder andere Probleme auftreten. «Das ist eine Lehrperson, die auch Psychologie studiert hat.» Sie könne nächste Schritte empfehlen. «Was wir nicht haben, ist ein Stützunterricht innerhalb der Schule.» Erst kürzlich, so Comi weiter, habe der Erziehungsrat die Einführung einer Unterstützung für Schülerinnen und Schüler gutgeheissen, um die ­sogenannten «basalen Kompetenzen» Deutsch und Mathematik zu stärken. «Von der Hochschule her kommt dahingehend ein Druck.»

An der Kantonsschule komme es auch vor, dass Schülerinnen und Schüler aufgrund der Belastung auf Freifächer verzichten. Pasquale Comi, der Italienisch als Freifach unterrichtet, ist persönlich davon betroffen. «Es kommt vor, dass Schüler sich einschränken müssen. Wenn sie ein Instrument spielen und auch noch Sport treiben und dann auch noch Freifächer belegen, dann wird es sehr anspruchsvoll.» Auch werde dieses Jahr erstmals den Schülerinnen und Schülern, welche die Aufnahmeprüfung absolvieren, eine differenzierte Rückmeldung gegeben, welche Stofflücken sie bei der Aufnahmeprüfung hatten, damit sie diese bis zum Eintritt in die Kantonsschule noch aufarbeiten können. Diese Massnahme soll ebenfalls dazu beitragen, die Belastung in der Probezeit zu reduzieren. «Anderseits soll ja die Probezeit zeigen, ob eine Schülerin, ein Schüler geeignet ist oder nicht.»

«Die Lernenden werden in einer Lehre sehr rasch ins Erwachsenenleben hinein sozialisiert.»

Marc Kummer, Rektor Berufsbildungszentrum

Pasquale Comi sieht als Möglichkeit der Entlastung eine Entschlackung der Stoffpläne. Anderseits seien die Anforderungen der Universitäten nicht zurückgegangen, obwohl die Dauer der Mittelschule auf vier Jahre verkürzt worden sei. Eine neuerliche Verlängerung der Kantonsschulzeit sei politisch wohl nicht zu erreichen, sagt Comi und fügt hinzu: «Aber alle Lehrpersonen wären dafür.» Ein Lösungsansatz könnte sein, dass die Schüler nach dem ersten Jahr entscheiden, ob sie das Gymnasium in vier oder in fünf Jahren absolvieren wollen.

Längere Kanti kaum realistisch

Aber das ist höchstens Zukunftsmusik. Das Erziehungsdepartement schreibt auf eine entsprechende Frage: «In den meisten Kantonen dauert das (Kurzzeit-)Gymnasium vier Jahre. Ein Alleingang des Kantons Schaffhausen in der Frage einer Verlängerung wäre kaum denkbar. Eine generelle Verlängerung der Gymnasialzeit von vier auf fünf Jahren ist politisch eher nicht realistisch und käme dem Harmonisierungsgedanken, der auch hinter der aktuellen Reform «Weiterentwicklung der gymnasialen Maturität» (WEGM) steht, kaum entgegen. Eine individuelle, freiwillige Verlängerung, für welche sich die Schülerinnen und Schüler nach einem Grundjahr entscheiden könnten, müsste allenfalls in der anstehenden Reform diskutiert werden. Im Moment ist dies jedoch kein Thema.» Und zu den «basalen Kompetenzen» in Deutsch und Mathematik heisst es: «Im Jahr 2016 wurden die Grundkompetenzen in Mathematik im elften Schuljahr Harmos (9. Klasse) und 2017 die Grundkompetenzen in der Schulsprache und der ersten Fremdsprache im 8. Schuljahr Harmos (6. Klasse) untersucht. Die Resultate dieser Erhebung wurden im Mai 2019 publiziert. Schaffhauser Schülerinnen und Schüler haben im Kantonsvergleich sehr gut abgeschnitten.» Für die Jahre 2023 und 2024 seien zwei weitere Erhebungen geplant.

«Die psychische Belastung ist gestiegen. Das hat wohl auch mit einer allgemein sinkenden Resilienz zu tun.»

Pasquale Comi, Rektor Kantonsschule

Marc Kummer, der Rektor des Berufsbildungszentrum BBZ in Schaffhausen, hält in seiner Antwort zu der Belastung der Lernenden als Erstes fest, dass das BBZ eine Schule mit vielen verschiedenen Lehrgängen sei. Ein direkter und pauschaler Vergleich mit einem Gymnasium sei deshalb nicht möglich. Bei den Hausaufgaben sei es so, dass diese zurückhaltend erteilt würden, «weil die Lernenden in einer Berufslehre durch die Arbeit im Betrieb schon gut ausgelastet sind. Unsere Lernenden haben sich jedoch auf Prüfungen vorzubereiten und selbstständige Arbeiten zu erstellen. Da fallen ausserhalb der Unterrichtszeit durchaus Aufgaben für zu Hause oder im Betrieb an.» Generell seien die Lernenden in einer Berufsbildung zeitlich ­höher belastet als Mittelschüler, und zwar weil sie neben den durchschnittlich drei bis vier Tagen in einem Betrieb auch noch ein bis zwei Tage an der Berufsfachschule verbringen. Und: «Lernende mit einer Berufsmatura während der Lehre sind zeitlich noch mehr beansprucht.»

Hoher Aufwand, hohe Motivation

Aber, so Marc Kummer weiter, die Lernenden in der Berufsbildung würden seines Wissens nicht wegen «Hausaufgaben» klagen. Zwar sei es schon so, dass mit dem Übertritt von der Volksschule in eine Lehre der zeitliche Aufwand steige, aber wie Studien belegen, würde auch die Motivation der Jugendlichen steigen. Fazit: «Die Lernenden werden in einer Lehre sehr rasch ins Erwachsenenleben hinein sozialisiert.» Das könne zu einem veränderten Freizeitverhalten bei Eintritt in die Berufsbildung führen, einer Veränderung, die auch altersbedingt sei. «Hausaufgaben» im engeren Sinne würden am BBZ zurückhaltend erteilt, so Kummer, der indes hinzufügt: «Die Lernenden haben sich jedoch auf Prüfungen vorzubereiten und haben selbstständige Arbeiten zu lösen. Hierzu arbeiten sie auch ausserhalb der Unterrichtszeit für die Schule.»

Auch Pasquale Comi betont die Wichtigkeit des selbstständigen Lernens: «Es gibt Unterrichtsinhalte, welche effizient selbstständig gelernt werden können und sollen, zum Beispiel Vokabeln. Auch das Einüben und Lernen von Unterrichtsinhalten, die man in der Lektion erklärt bekommen hat, gehören dazu, das Vorbereiten eines Referates oder die Prüfungsvorbereitung.» Grundsätzlich aber solle die Lehrperson nicht mehr als 20 Minuten Aufgaben pro erteilte Lektion geben, und zwar Prüfungsvorbereitung und Lektüre eingerechnet.

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