Wenn der Grossvater stirbt: Die Geschichte vom «Opa-Stern»

Ralph Denzel | 
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Der «Opa-Stern» leuchtet besonders stark. Bild: Unsplash
«Wenn du bei Nacht den Himmel anschaust, wird es Dir sein, als lachten alle Sterne, weil ich auf einem von ihnen wohne, weil ich auf einem von ihnen lache. Du allein wirst Sterne haben, die lachen können.» – Antoine de Saint-Exupéry, Der kleine Prinz.

Mein Vater starb im Jahr 2019 nach einer kurzen, aber sehr schweren Krankheit. Die letzten Wochen mit ihm waren für mich und meine Familie ein Spiessrutenlauf: Er litt an einem unheilbaren Hirntumor, der ihn auch menschlich veränderte. Er war öfter müde, manchmal leicht reizbar, gegen Ende fast nie der Mann, den wir so liebten. Der Krebs machte einen anderen Menschen aus ihm.

Für meinen Sohn war das eine enorm schwere Zeit. Er sah den Opa, der immer so viel Freude an seinen Enkeln und speziell an meinem Sohn gehabt hatte, auf einmal immer kränker werden, sich auflösen wie Nebel. Mein Vater versuchte immer, wenn mein Sohn da war, seine Krankheit zu unterbinden, riss sich so gut es ging zusammen, auch wenn es ihm unmenschliche Kraft gekostet haben muss. Bei meinem Enkel war er, bis zum letzten Moment, einfach nur der liebevolle, zärtliche und lustige Opa, den mein Sohn so geliebt hatte.

Als der Krebs dann den ungleichen Kampf gegen meinen Vater gewonnen hatte, war das für uns alle einerseits eine Erleichterung, aber gleichzeitig auch eine ungemein schwere Aufgabe, die jetzt vor uns lag. Zum Einen mussten wir alle irgendwie mit diesem unglaublich schmerzhaften Verlust klarkommen, zum Anderen irgendwie auch weitermachen.

Für meinen Sohn, der damals drei Jahre alt war, war es besonders schwierig. Er verstand vieles noch nicht, aber merkte, dass einiges im Argen war. «Wo ist mein Opa jetzt?» fragte er mich eines Tages. «Wie geht es ihm dort wo er ist?», «Sieht er mich noch?». Was sage ich ihm da? Diese existentiellen Fragen beschäftigten mich selbst jeden Tag, wie sollte ich sie da einem Kind erklären?

«Siehst du diesen Stern? Das ist der Opa-Stern. Den hat der Opa dorthin gemacht und immer, wenn er leuchtet, dann denkt er gerade ganz feste an dich, weil er dich so lieb hat».

Irgendwann sassen ich und mein Sohn draussen auf meinem Balkon und schauten uns die Sterne an. Es war eine wunderschöne, sternenklare Nacht, unmittelbar, nachdem mein Vater diese Welt verlassen hatte. Dort fragte er mich etwa, ob der Opa ihn noch sehen könne. Da zeigte ich auf einen Stern, der an diesem Abend besonders stark leuchtete und sagte zu ihm: «Siehst du diesen Stern? Das ist der Opa-Stern. Den hat der Opa dorthin gemacht und immer, wenn er leuchtet, dann denkt er gerade ganz feste an dich, weil er dich so lieb hat».

Mein Sohn wurde ganz ruhig und betrachtete den leuchtenden Himmelskörper eine ganze Weile. «Passt er von dort auf mich auf?» fragte er mich dann und ich bejahte es. «Von dort oben guckt er jetzt immer, was du machst und ob es dir gutgeht.»

Bis heute leuchtet für meinen Sohn der «Opa-Stern» und bis heute freut sich mein Sohn, wenn Opa «ganz besonders stark» an ihn denkt. Jeden Samstag will er mit mir zum Friedhof gehen und das Grab meines Vaters besuchen, ihm Blumen bringen und die Kerzen auf seinem Grab anzünden, um ihm zu zeigen, dass auch er immer noch jeden Tag an seinen «lieben, tollen Opa» denkt.

Sollte mein Vater das wirklich sehen können, freut ihn das sicher.

Hier schreibt Ralph:

 

38 | Alleinerziehender Papi | schreibt über die Alltagstücken als Alleinerziehender

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