Stell dir vor, es ist Schule und kein Lehrer geht hin

Eva-Maria  Brunner Eva-Maria Brunner | 
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Die Kolumnistin Eva-Maria Brunner schreibt über ein Thema, das sie gleich doppelt betrifft: den Lehrermangel.

Heute gibt’s keine munteren Anekdoten aus dem Familienkosmos. Heute habe ich Bauchschmerzen. Der akute Lehrermangel betrifft mich doppelt; als Mutter wie auch als Lehrperson. Eigentlich geht er uns alle an. Wir leben in einem Land, dem es aller weltweiten Krisen zum Trotz gut geht.

«Die prächtigste Villa wackelt, wenn es im Keller fault.»

Politiker brüsten sich damit, dass Bildung unser wertvollster Rohstoff sei, auf die internationale Strahlkraft unserer Universitäten bilden wir uns gerne etwas ein. Aber die prächtigste Villa wackelt, wenn es im Keller fault. An der Basis, bei der ­Bildung der Jüngsten, zeigt sich ein Bild, das mir Angst macht.

Als Mutter möchte ich darauf vertrauen können, dass meine Kinder von Menschen begleitet und gefördert werden, die ihren Beruf gerne ausüben und diesen einst auch von der Pike auf gelernt haben. Es reicht nicht als Leistungsausweis, wenn man Germanistik studiert hat oder «Kinder mag». Meine Zähne lasse ich auch nicht von jemandem flicken, der «gerne mit den Händen arbeitet». Wir geben für gute zehn Jahre unsere Kinder in die Obhut von Menschen, die wir uns nicht aussuchen können, hoffend, dass es diesen gelingt, unseren Nachwuchs zu fördern, dessen Qualitäten zu erkennen und dass sie es schaffen, die Freude am Lernen zu wecken. Lehrpersonen verfügen über unglaublich viel Macht, in allem, was sie bewusst sagen, aber auch in ihren Handlungen. Sie sind Begleiter, Sozialarbeiter, Cheerleader, Leuchttürme. Ist es zu viel verlangt, wenn Eltern sich Pädagogen wünschen, die Ahnung von dem zu vermittelnden Stoff, Kenntnisse über Lernpsychologie, aber auch ein feines Gespür für soziale Interaktionen haben? Ich denke nicht.

Ich gehöre zu denjenigen Lehrpersonen, die ausharren, in diesem Beruf und in diesem Kanton. Ich liebe meine Arbeit noch immer. Aber auch ich habe Gebrauchsspuren. Und während die einen ihren Weg nicht mehr in einem Schulzimmer sehen, wird es für diejenigen, die bleiben, immer strenger. Ich weiss, dass sich ein solch komplexes Problem wie ein Fachkräftemangel nicht auf die Schnelle mit einigen wenigen Massnahmen lösen lässt. Ich weiss auch, dass wir Lehrpersonen als «Jammeri» gelten. So will ich nicht klagen, aber ein paar Wünsche anbringen. Sie sind übrigens alle kostenneutral.

Liebe Eltern, ihr überlasst uns – nicht ganz freiwillig – euer Kostbarstes. ­Vertraut uns! Wir wollen das Beste für euer Kind. Vertraut auf unsere Erfahrung, darauf, dass wir euer Kind wahrnehmen. Vielleicht nicht immer gleich wie ihr es tun würdet, aber wer weiss, vielleicht ist unsere Perspektive einfach eine andere und nicht grundsätzlich falsch. Wir bemühen uns, eure Kinder angemessen und gerecht zu ­behandeln. Wenn ihr zweifelt, kommt auf uns zu. Besprecht Fragen mit uns statt im Mami-Whatsapp-Chat. Schickt eure Kinder ausgeschlafen in den Unterricht, helft ihnen, Ordnung im Thek zu halten und verbringt ab und zu ein paar Stunden mit ihnen in der Natur. Interessiert euch für eure Kinder, nicht nur für das Zeugnis vor den Sommerferien.

Liebe Behörden, anerkennt unsere Professionalität. Unterstellt uns gute Absichten und seid vor Ort. Zieht mit uns an einem Strick, lasst euch erklären, warum wir genau so und nicht anders unterrichten. Eine Beziehung auf Augenhöhe führt mit sich, dass keiner Nackenschmerzen hat.

Liebe Politiker, seid sorgsam mit euren Reformen. Wägt ab, was wesentlich ist und wo ihr euch nur von der Wirtschaft unter Druck fühlt. Lernen heisst immer auch reifen. Abkürzen lässt sich da kaum etwas, ohne dass echte, eigene Einsichten auf der Strecke bleiben. Und die Motivation sowieso. Bulimie-Lernen macht Bauchschmerzen und Nachhaltigkeit ist auch in der Bildung der einzig gangbare Weg. Was beim Entrümpeln des Kleiderschrankes gilt, liesse sich auch auf Schulreformen übertragen: Kommt etwas Neues rein, kippt etwas anderes raus.

Die Pandemie hat uns gezeigt, dass Schulen für Kinder essenziell sind: als Lebenswelt, als Begegnungsort, als Entwicklungsraum. Tragt Sorge zu den Menschen, die diese Orte gestalten, ­beleben und prägen. Wenn sie fehlen, haben wir alle ein Problem.

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Kommentare (1)

Beat Rüedi-Külling Di 07.06.2022 - 08:42

... dann kommt sie zu dir.

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