«Wendepunkt in der Geschichte der SRG»

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Nach dem Nein zur No-Billag-Initiative kündigt SRG-Generaldirektor Gilles Marchand ein Reformpaket an. Bild: Key

Für die No-Billag-Initiative gab es an der Urne eine deutliche Schlappe. Stimmen von Gegnern und Befürwortern aus dem Kanton und dem ganzen Land gibt es hier.

 

von Tobias Bär, Roger Braun und Eva Novak

Schon der Ort markierte die Wende. Die SRG-Spitze lud gestern nicht in ein Luxushotel, um das Abstimmungsergebnis zu kommentieren, sondern ins Hotel National, wo sich die Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns) im grossen Saal zu treffen pflegt.

Die SRG-Oberen hingegen begnügten sich mit einem engen Raum im zweiten Stock, in dem nicht mal alle Medienleute einen Sitzplatz fanden. Dort verkündete Generaldirektor Gilles Marchand mit ernster Miene, dass der Sonntag «als Wendepunkt in die Geschichte der SRG» eingehen werde.

50 zusätzliche Millionen einsparen

Zusammen mit Verwaltungsratspräsident Jean-Michel Cina kündigte er einen Reformplan an. Erstens soll die Effizienz gesteigert werden, woraus 100 Millionen Franken an Einsparungen resultieren sollen. Das ist doppelt so viel, wie die SRG ­wegen des Gebührendeckels, den ihr der Bundesrat verordnet hat, ohnehin ein­sparen muss. Gespart werden soll bei der ­Infrastruktur, den Immobilien, in der Technik, der Verwaltung und bei den Produktionsprozessen. Das werde auch Folgen für die Arbeitsplätze haben, kündigte Marchand an. Wie viele abgebaut werden sollen und in welchen Bereichen, liess er vorerst offen.

«Es wird künftig mehr Eigenproduktionen geben.»

Gilles Marchand, SRG-Generaldirektor

Zweitens will sich die SRG laut Marchand auf ihre «Raison d’être» konzen­trieren, ihre ureigenste Aufgabe. Neben der Information sind das gemäss dem Generaldirektor vor allem Filme, Dokumentarfilme und Serien. «Es wird künftig mehr Eigenproduktionen geben», kündigte er an. Gleichzeitig wird die SRG in Zukunft darauf verzichten, die abendlichen Spielfilme durch Werbung zu unterbrechen. Damit will sich das ­öffentliche Medienhaus von den Privaten abgrenzen, obwohl ihm damit gemäss Marchand 10 Millionen Franken an Einnahmen entgehen. Dem gleichen Ziel dient der Vorsatz, auf die Internetseiten der SRG nur noch Texte zu stellen, die sich auf selbst produzierte Radio- oder Fernsehsendungen beziehen. Eigenständige Inhalte, welche die Verleger in der Vergangenheit als «subventionierte Konkurrenz» zu ihren eigenen Angeboten scharf kritisiert hatten, soll es demnach nicht mehr geben.

Auch sonst reicht die SRG-Spitze den Privaten die Hand. Sie fordert auf «absehbare Zeit» keine Onlinewerbung mehr und verzichtet darauf, zielgruppenspezifische Werbung anzubieten, obwohl ihr das der Bundesrat mit einer neuen Verordnung erlauben möchte. Ausserdem erklärt sie sich bereit, gemeinsam mit privaten Radio­stationen einen nationalen Radio-Player aufzubauen, und stellt den privaten Medienhäusern ihre Archiv­inhalte zur Verfügung.

Auffallend wohlwollende Reaktionen

Dieser «Effizienzsteigerungs- und Re­investitionsplan» soll laut SRG-Präsident Cina bis Ende Juni ausgearbeitet und ab 2019 während fünf Jahren umgesetzt werden. Nicht nur bei den SRG-Befürwortern wie dem Berner SP-Nationalrat Matthias Aebischer kommt er gut an: Der ehemalige Fernsehjournalist spricht von einer «richtigen Strategie», die allerdings reichlich spät komme.

«Die SRG macht sich offensichtlich ihre Gedanken und nimmt die im Abstimmungskampf ­geäusserte Kritik ernst.»

Natalie Rickli, SVP-Nationalrätin

Auch die Zürcher SVP-Nationalrätin Natalie Rickli, eine der schärfsten SRG-Kritikerinnen, äussert sich auffallend wohlwollend zu den Ankündigungen: «Die SRG macht sich offensicht­­lich ihre Gedanken und nimmt die im Abstimmungskampf geäusserte Kritik ernst.» Rick­lis Partei forderte gestern eine ganze Reihe von medienpolitischen Massnahmen. Unter anderem verlangt die SVP einen Verzicht auf das Mediengesetz, das Bundesrätin Doris Leuthard für Juni 2018 angekündigt hat und das neben Radio und Fernsehen auch die elektronischen Medien abdecken soll. «Wir brauchen eine Deregulierung im bestehenden Gesetz und keine neuen Regeln für das Internet», sagt Rickli.

Bereits eingereicht sind zwei Vorstösse, mit denen die SVP einmal eine Senkung der Haushaltsabgabe auf 300 Franken und einmal die Befreiung der Unternehmen von der Abgabepflicht verlangt. Dieselben Forderungen hatte sie bereits bei der Beratung der No-Billag-Initiative im Parlament vorgebracht, wobei sie dabei eine Reduktion der Abgabe für Private auf 200 Franken verlangt hatte. «Nachdem im Abstimmungskampf alle Seiten eine Redimensionierung versprochen haben, scheint mir das ein Mittelweg zu sein», sagt Rickli. Auch Leuthard hatte im Vorfeld der Abstimmung von 300 Franken gesprochen, beim Zeitpunkt blieb sie aber gestern noch vage. Dieser hänge nicht zuletzt von der Anzahl Haushalte ab.

Die beiden SVP-Vorstösse haben im Rahmen der Debatte des neuen Mediengesetzes durchaus Chancen. Die FDP-­Delegierten sprachen sich Anfang Jahr in einem Positionspapier dafür aus, die Firmen von den Gebühren zu befreien. Die Grünliberalen hatten wegen der Gebührenpflicht 2015 gar das neue Radio- und Fernsehgesetz bekämpft, sie setzen sich weiterhin für eine Abschaffung ein, wie ihr Präsident Jürg Grossen gestern versicherte. Der Gewerbeverband, der deswegen die No-Billag-Initiative unterstützte, gilt als Gegner der ersten Stunde. Auch eine Senkung der Haushaltsabgabe ist mit dem Volksentscheid nicht vom Tisch. Die BDP wird nächste Woche einen Vorstoss einreichen, um den SRG-Gebührentopf von heute 1,2 Milliarden Franken auf 1 Milliarde zu reduzieren. «Eine betriebswirtschaftlich machbare Sparvorgabe» sei dies, sagt BDP-Präsident Martin Landolt. Auch die FDP ruft zu einer «effizienteren Nutzung der Gebühreneinnahmen auf».

Keine Werbung mehr zulassen

Zusätzliche Ansprüche melden zudem die privaten regionalen Fernsehsender an. Ab nächstem Jahr erhalten sie 6 statt 4 Prozent aus dem Gebührentopf. Geht es nach deren Verband, soll dieser Anteil weiter steigen. «Wir erachten 10 Prozent als fair», sagt Telesuisse-Präsident André Moesch. «Damit könnten wir endlich qualitativ hochstehendes Regionalfernsehen machen.»

«Die Werbung muss zugunsten der privaten ­Medien schrittweise reduziert werden.»

Regula Rytz, Präsidentin der Grünen

Ebenfalls unter Druck ist das Werbebudget der SRG von rund 325 Millionen. Auch von links: «Die Werbung muss zugunsten der privaten Medien schrittweise reduziert werden», sagt die Präsidentin der Grünen, Regula Rytz. Bereits eingereicht hat die Partei einen Vorstoss, welcher der SRG die Unterbrecherwerbung verbieten will. In einer zweiten Etappe könnte sich Rytz vorstellen, dass am Abend oder im Umfeld von Kindersendungen generell keine Werbung mehr gesendet werden darf. Auch in der CVP gibt es Ideen, am Abend keine Werbung mehr zuzulassen.

«Diese Pflästerlipolitik bringt uns nicht weiter», sagt hingegen die Thurgauer SP-Nationalrätin Edith Graf-Litscher. Statt Einzelheiten bei der SRG zu regeln, ­brauche es eine Gesamtbetrachtung der ­Medienförderung. Dies wird voraussicht- lich im Juni passieren. Dann wird der Bundesrat seine Vorstellungen dazu präsen­tieren.

 

von Anna Kappeler

Das Schaffhauser Nein-Komitee feiert seinen Sieg in der Fass-Beiz. Darüber, wie es mit der SRG ­weitergehen soll, ist man sich ­jedoch selbst hier uneinig.

schaffhausen.Martina Munz strahlt über das ganze Gesicht, als sie die Fass-Beiz betritt. «Das deutliche Resultat freut mich ausserordentlich. Es ist ein Zeichen für die Solidarität in unserem Land und für den Informationsauftrag der SRG», sagt die Schaffhauser SP-­Nationalrätin. Und spricht damit wohl allen Anwesenden des No-Billag-Nein-Komitees aus dem Herzen. Auf einer Leinwand wird die SRG-Abstimmungssendung übertragen, auf den Beizen­tischen stehen Essen und vereinzelte Biere. An einem Tisch haben sich Gehörlose versammelt, auch sie sind bester Laune. Munz sagt: «Was die SRG jetzt braucht, ist ein Umbau, keinen Abbau. Sie muss sich dem Zeitgeist anpassen und stärker auf Online setzen.» Dass dies gerade die Privaten nicht gerne hörten, sei ihr bewusst. «Aber dazu stehe ich – das ist die Zukunft.»

Auch der Schaffhauser Stadtpräsident Peter Neukomm (SP) freut sich über das klare Nein, weil Schaffhausen dank des SRG-«Regionaljournals» und «Schweiz aktuell» nun weiterhin auch in der Restschweiz wahrgenommen werde. «Wir Schaffhauser leiden ja oft darunter, dass man uns in der Restschweiz gerne vergisst», sagt Neukomm.

«Komplett falsche Diskussion»

Für den ehemaligen SP-Präsidenten Hans-Jürg Fehr ist die Diskussion über die Grösse der SRG «komplett falsch». «Der wahre Gegner der privaten Medien ist nicht die SRG, sondern es sind internationale Internetkonzerne», sagt Fehr. Man müsse wegkommen vom SRG-Bashing und sich der Frage zuwenden, wie in der Schweiz die journalistische Grundversorgung der Bevölkerung weiter garantiert werden könne. «Deshalb finde ich die Förderung von Online­medien sinnvoll».

«SRG hat Abspeckpotenzial»

Durchaus auch kritisch sieht die SRG Marcel Fischer, der Geschäftsführer von Radio Munot. «Obwohl wir im gleichen Abstimmungsboot wie die SRG gesessen sind, sehe ich schon Fettstellen, wo die SRG gerne abspecken dürfte», sagt Fischer. Die Privaten würden schon lange wie eine Zitrone ausgepresst, da gehe bei der SRG auch noch etwas. «Dass die SRG etwa mit mehreren Kamerateams am gleichen Ort ist, stört mich.» Dennoch ist Fischer sehr froh über das deutliche Nein zu «No Billag» und darüber, dass er nun den bereits angedachten Plan B mit deutlichen Kürzungen nicht aus der Schublade holen muss. «Wir haben bereits zwei, drei neue Sendekonzepte ausgearbeitet, die wir aber bis gestern auf Eis haben legen müssen.» Nun aber könne Radio Munot bald mit einer neuen Jugend-, einer Kultur- und einer «Open Mic»-Sendung starten.

Anwesend im «Fass» ist auch das Vorstandsmitglied der SRG-Trägerschaft Zürich-Schaffhausen, Susanne Sorg. Auch für sie gibt es trotz des Siegs klaren Diskussionsbedarf, dem sich die SRG nicht verschliessen könne. «Natürlich wird es nun weitere Vorstösse geben, welche die Gebühren kürzen wollen. Wie mehrheitsfähig die sind, wird sich zeigen», sagt Sorg.

 

 

Die No-Billag-Initiative hat landesweit in wenigen kleinen Dörfern in drei Kantonen eine Mehrheit gefunden. Im Kanton Schwyz liegt das Zentrum der No-Billag-Befürworter. Aber nicht etwa in Wollerau, wo Wortführer Olivier Kessler aufgewachsen ist – sondern vielmehr im Berggebiet. Dazu gehört ausgerechnet Unteriberg (503 Ja zu 420 Nein): Dort wohnt Skirennfahrerin Wendy Holdener, deren olympische Medaillenfahrten jüngst auf SRF zu verfolgen waren. Ja sagten auch Vorder­thal (185 zu 156) und Alpthal (122 zu 114).

Die drei Gemeinden sind bei Urnengängen regelmässig unter den konservativsten des Landes zu finden. Andere Schwyzer Orte mit einem ähnlichen politischen Profil haben die Initiative hingegen abgelehnt. Riemenstalden etwa gehört mit 84,6 Prozent Nein zu jenen, welche sie national am deutlichsten verworfen haben.

15 Stimmen Unterschied

Im Ja-Lager ist weiter die Schaffhauser Gemeinde Trasadingen zu finden. Sie hat mit 139 Ja-Stimmen zu 124 Nein-Voten abgestimmt.

Etwas überraschend hat sich gestern auch das Thurgauer Dorf Raperswilen (75 zu 72) zu den Befürwortern des Volksbegehrens gesellt. Die ländliche Gemeinde unweit des Bodensees ist als SVP-Territorium bekannt. Beim Ja zu «No Billag» dürfte jedoch auch der Zufall eine Rolle gespielt haben: Andere konservative Thurgauer Orte sagten Nein.

Ein bemerkenswertes Resultat ergab sich in Seehof im Berner Jura. Das Bauerndorf ist fest in der Hand der SVP. Zu einem Ja reichte es gestern aber nicht: Die Abstimmung endete mit 11 zu 11 Stimmen im Patt. (ffe)

 

Herr Aellig, die No-Billag-Initiative wurde wuchtig bachab geschickt. Überrascht ob des klaren Resultats?

Pentti Aellig: Nein. Ich hatte rund 70 Prozent Nein-Stimmen erwar-tet. Die Initiative war schlicht zu ­radikal.

Was nun?

Die SVP hat sich an «No Billag» nicht beteiligt. Die Erfolgschancen waren zu gering. Aber jetzt werden unsere Medienpolitiker mit Vorstössen den Druck aufrechterhalten. Nationalrätin Natalie Rick­li beispielsweise mit dem 300-Franken-Vorstoss.

Wird die SVP jetzt ihre ange­kündigte Halbierungs-Initiative ­lancieren?

Ich denke, wenn das Parlament Natalie Ricklis Vorschlag mit den 300-Franken-SRG-Jahresgebühren folgt, wird die SVP ihren Fokus auf diesen ersten Schritt setzen.

Und wie schätzen Sie die Chancen ein, dass dieser Vorschlag von ­Rickli angenommen wird?

Jetzt, wo sogar die CVP realisiert hat, dass sich die Bevölkerung eine schlankere SRG wünscht, denke ich, dass man sich auf diesen Vorschlag einigen könnte.

Abschliessend: Wie zuversichtlich sind Sie, dass die SRG nun sparen wird?

 Als Ignazio Cassis letztes Jahr Bundesrat wurde, waren 235 SRG-Mitarbeiter in Bern anwesend. Es ist zu befürchten, dass ohne politischen Spardruck bei den nächsten Bun­desratswahlen 400 Mitarbeiter sich gegenseitig interviewen werden.

Interview: Anna Kappeler

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