Wipfs neues Buch wird zum Bestseller

Zeno Geisseler | 
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Gestern stellte Matthias Wipf sein jüngstes Werk über die Bombardierung von Schaffhausen vor. Die Vernissage in der Rathauslaube war so gut besucht, dass viele Leute stehen mussten.

Buchvernissagen des Meier-Verlags sind normalerweise Anlässe im kleineren Rahmen in der Kaufleutenstube. Für die gestrige Lancierung des neuen Buchs über die Bombardierung Schaffhausens des Historikers Matthias Wipf musste aber in die viel grössere Rathauslaube gewechselt werden – und auch diese erwies sich als zu klein. Schon eine halbe Stunde vor Anlassbeginn waren alle Plätze in dem historischen Gebäude besetzt, das damals auch von den Bomben getroffen wurde.

Thomas Hurter, Schaffhauser SVP-Nationalrat und Linienpilot, pries zu Beginn Wipfs Werk. Es sei «ein unglaubliches Dokument», sagte er. «Sie werden begeistert sein, aber auch berührt.» Anschliessend erzählte Hurter von den amerikanischen Bomberpiloten. Sie seien jung gewesen, und hätten die Orientierung verloren. Als sich dann die Möglichkeit geboten habe, ihre tödliche Fracht über, wie sie dachten, feindlichem Gebiet abzuwerfen, hätten sie die Chance genutzt. «Sie waren froh, ihre Bomben loszuwerden. Denn sie mussten ihre Last abwerfen, um es überhaupt wieder zurück auf ihre Basen zu schaffen.»

«Die Leute betrachteten die Flüge als Schauspiel. Die Gefahr war nicht mehr ­präsent.»

Matthias Wipf, Historiker und Autor

Stadtrat Raphaël Rohner ergänzte, dass einem das Buch in Erinnerung rufe, wie schrecklich Krieg sei – aber auch, wozu Menschen in Zeiten der Not imstande seien. Die Schaffhauserinnen und Schaffhauser hätten vorbildlich zusammengehalten damals.

Im Gespräch mit Sidonia Küpfer, Mitglied der Redaktionsleitung der SN, erzählte Rohner, wie seine Mutter als 16-jährige Mädchenrealschülerin während des Bombardements in letzter Sekunde von einem Mann in ein Haus gezogen worden sei. «Als sie anschliessend auf der Buchthalerstrasse nach Hause ging, kam ihr der Vater entgegen, sich fragend, ob sie wohl auch zu den Opfern gehöre.»

«Nirgends nur der kleinste Hinweis»

Anschliessend erzählte Buchautor Matthias Wipf im Gespräch mit Küpfer von seinen Forschungen. Dabei durfte eine ganz zentrale Frage nicht fehlen: War es vielleicht gar kein Versehen gewesen, sondern Absicht?

Wipf wies diese These, die so alt ist wie die Bombardierung, mit Nachdruck zurück. Er hatte schon in früheren Werken den Nachweis erbracht, wonach es sich schlicht um einen schrecklichen Fehler gehandelt habe. Seine jüngsten Forschungen hätten dies bestätigt. «Ich habe alle relevanten Akten sichten können. Es gab nirgends nur den kleinsten Hinweis. Weder in den Logbüchern, noch den Untersuchungsberichten oder den Rechenschaftsberichten.» Im Umkehrschluss würde die These ja bedeuten, dass diese Dokumente alle gefälscht worden seien. Und dass zahllose Leute gelogen hätten. Das sei unmöglich.

Im Übrigen hätten die USA sehr genaue Pläne von Schaffhausen gehabt. «Wenn sie die SIG oder Georg Fischer oder sogar die IWC, welche damals Zünder nach Deutschland lieferte, tatsächlich hätten zerstören wollen, dann hätten sie nicht eine Velo­fabrik getroffen oder eine Lederwaren­fabrik.»

Wipf erzählte, wie er zwei entscheidende neue Quellen erschliessen konnte. Zum einen Fotografien des Bombenabwurfs, aufgenommen aus den Flugzeugen. «Wenn man auf solche Quellen stösst, dann sind das Momente, in denen man innerlich ­jubelt», sagte Wipf. Zum anderen einen der damaligen Piloten, George Insley, heute 96 Jahre alt. «Die Besatzungen waren 18 bis 22 Jahre alte Boys. Man fragt sich, wie ich wohl gehandelt hätte in der gleichen Situation. Man entwickelt auch Verständnis dafür, dass sie einfach zurück auf ihre Basen wollten. Sie wollten überleben!» Dass es so viele Opfer gegeben habe, sei neben dem Navigationsfehler der US-Bomber im Übrigen auch der Sorglosigkeit der Schaffhauser zuzuschreiben. «In den ganzen Kriegsjahren gab es 544 Fliegeralarme in Schaffhausen. Die Leute betrachteten die Überflüge als Schauspiel. Statt in den Luftschutzkeller zu gehen, versuchten sie, die Flugzeugtypen zu identifizieren. Die Gefahr war nicht mehr präsent.»Beim anschliessenden Apéro gingen die Diskussionen weiter – und die meisten Besucher des Abends gingen mit einem si­gnierten Exemplar des neuen Buchs unter dem Arm nach Hause.

Weitere Impressionen von der Buchvorstellung hören Sie hier:

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