Die Bombardierung der Stadt und die Folgen

Mark Liebenberg | 
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Die irrtümliche Bombardierung Schaffhausens durch US-Bomber, rief auch international Reaktionen hervor. Trotzdem dauerte es fünf Jahre, bis alle Reparationszahlungen entrichtet waren.

Die versehentliche Bombardierung Schaffhausens sorgte international für grosses Aufsehen. Die 378 Brand- und Sprengbomben auf die Altstadt und die umliegenden Quartiere der Stadt Schaffhausen stellten nicht nur ein traumatisches Ereignis für die Stadt und ihre ­Bewohner dar – der 1. April 1944 markiert bis heute den folgenschwersten Angriff auf die neutrale Schweiz in der Geschichte des Bundesstaates.

Während am Tag nach der Bombardierung viele junge Menschen in der verwundeten Stadt in wohl denkbar gedrückter Stimmung ihre Konfirmation feierten, ­füllten die Nachrichten aus dem schwer ­getroffenen Schaffhausen in der folgenden Woche, der Woche vor Ostern, die Titel­seiten von Schweizer Zeitungen. Die Betroffenheit war in der ganzen Schweiz gross. Neben nüchterner und sachlicher Berichterstattung gab es durchaus auch Gefühle der Empörung und der Trauer um die ­Todesopfer. Die «Nationalzeitung» etwa schrieb: «Der Angriffsentschluss scheint sehr leichtfertig gefasst worden zu sein. Da erhebt sich die Frage, ob die militärische Leitung hinreichend instruierte Flieger auf solche Bombardierungsreisen schickt.»

In der amerikanischen Presse herrschte in diesen Tagen laut Presseberichten «tiefstes Bedauern» und «Beschämung» über den Schaden, den man der «Sister ­Republic» zugefügt hatte. US-Diplomaten, Armeevertreter und weitere Offizielle überboten sich gegenseitig mit Entschuldigungsadressen an die Schweizer Seite und stellten eine dem Schaden entsprechende Wiedergutmachung in Aussicht. US-Aussenminister Cordell Hull löste ziemlich rasch eine erste Entschädigungszahlung an die Stadt «zur akuten Notlinderung» in Höhe von 4,3 Millionen Franken aus.

Für die Nazi-Presse wiederum war die Bombardierung ein gefundenes Fressen – nun zeige sich das wahre Gesicht der «USA-Gangster», schrieb die «Berliner Morgenpost». «Es steht fest, dass es sich um einen in allen Einzelheiten genau vorbereiteten terroristischen Angriff handelte.»

Gehässige Debatte im Kongress

Im Herbst 1944 überwiesen die USA dann nochmals 13 Millionen Franken. ­Danach dauerte es hingegen weitere fünf Jahre, bis die «Swiss Bombing Claims Bill» im Kongress durchkam. Im Oktober 1949 gab es eine teilweise gehässige Debatte über die Zahlungen, wobei einige Abgeordnete die Schweiz als «Kriegsgewinnlerin» darstellten. Letztlich waren es rund 40 Millionen Franken, welche Schaffhausen an Reparationszahlungen erhielt. Dazu ­kamen nochmals 12 Millionen für verschiedene betroffene Ortschaften in der Region (siehe Artikel unten) und 10 Millionen für Bombardierungsschäden auf dem restlichen Gebiet der Eidgenossenschaft.

Im Stadtarchiv ist ein Schreiben von US-Präsident Franklin D. Roosevelt an Stadtpräsident Walther Bringolf erhalten:

My dear Mayor Bringolf: (...) I take this ­occasion to express my personal sympathy to the city and people of Schaffhausen for the tragic accident which caused the loss of ­innocent lives and of irreplaceable art treasures. Very sincerely yours

sig. Franklin D. Roosevelt

Die Trauerfeier für die Todesopfer und ihre Beisetzung auf dem Waldfriedhof fand schon am 4. April 1944, dem Dienstag nach der Bombardierung, statt. Delegationen aus allen Kantonen, zwei Bundesräte und viele offizielle Gäste waren geladen. Im Zentrum des Medieninteresses stand aber ein 13-jähriger Bub: Hans Baders Eltern wurden am Bahnhof Schaffhausen getötet, als die Bomben fielen. Der geschwisterlose Arbeiterbub war auf einen Schlag Vollwaise geworden. Die «Schweizer Illustrierte» fotografierte ihn und seine Grossmutter heimlich am Grab – obwohl Letztere den Presseleuten strikt untersagt hatte, dies zu tun, wie sich Hans Bader später erinnerte. Das Bild gab der Tragödie von Schaffhausen ein Gesicht.

Wo in der Region im Krieg sonst noch Bomben fielen

Mit der Bombardierung der Stadt Schaffhausen am 1. April 1944 war den Bewohnern der gesamten Grenzregion von der Ostschweiz bis Basel schlagartig bewusst geworden, dass sie in einer Zone ernster Bedrohung» lebten. Das hatte zur Folge, dass der Bund Mitte 1944 anordnete, dass auf Hausdächern, Feldern, Hügeln und Wiesen grossschenklige Schweizerkreuze angebracht werden sollten, ­damit die alliierten Bomber Schweizer Territorium identifizieren könnten.

Der Autor Matthias Wipf schreibt darüber in seinem Buch «Die Bombardierung von Schaffhausen – ein tragischer Irrtum»: «Dies beruhigte zwar die Bevölkerung, aber ab etwa 3000 Meter Flughöhe waren diese Grenzmarkierungen kaum mehr zu erkennen. Zudem wussten amerikanische Bombercrews – wie interne Befragungen zeigten – oft gar nicht, was die Zeichen bedeuten sollten.»

Blutzoll in Stein am Rhein

Auch die Grenzgemeinde Thayngen liess ein solches Schweizerkreuz anbringen. Vergeblich. Am 25. Dezember 1944, dem Weihnachtstag, warfen neun B-26-Flieger ihre Bomben auf die Ziegelfabrik und die ­damalige Knorr-Nahrungsmittelfabrik. Ein Toter und vier Verletzte ­waren zu beklagen. Wäre es ein normaler Arbeitstag gewesen, wären in den ­Fabriken mit Sicherheit Dutzende Tote zu beklagen gewesen. Ziel der aus Dijon kommenden US-Bomber war die Stadt Singen am Hohentwiel, die im Krieg verschiedentlich angegriffen wurde.

Wenig später schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde schliesslich auch Stein am Rhein, als die US-Streitkräfte im Frühjahr 1945 ihre Luftangriffe auf den süddeutschen Raum verstärkten, um die von Westen her herannahenden alliierten ­Bodentruppen zu unterstützen. Wieder hatten sich unerfahrene Piloten am 22. Februar verflogen, wieder bombardierten sie «Gelegenheitsziele» und trafen dabei zwölf Schweizer ­Gemeinden, darunter auch Rafz und Neuhausen am Rheinfall. Stein am Rhein traf es aber besonders hart: Beim Angriff um die Mittagszeit starben neun Menschen, 33 wurden teils schwer verletzt. 15 Gebäude, darunter der bekannte Untertorturm, wurden zerstört oder stark beschädigt. Beim Untertor zeigte der stehengebliebene Zeiger der Turmuhr noch lange die Uhrzeit des Angriffs an: 12.35 Uhr.

Insgesamt 84 Schweizer Opfer

In den letzten Wochen herrschte in Schaffhausen nun wegen der neuer­lichen tödlichen Angriffe allgemeine Unruhe, wie die «Schaffhauser Nachrichten» damals festhielten. Man fühlte sich «vernachlässigt und seinem Schicksal überlassen». Appelle aus Bundesbern und von Schweizer Diplomaten bei den Alliierten zeigten wenig Wirkung. Bei einem Luftangriff auf Zürich starben am 4. März 1944 fünf Menschen. Schon früher, im Jahr 1940, war Basel-Stadt bombardiert worden. Insgesamt forderten Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg 84 Todesopfer. 50 davon allein im Kanton Schaffhausen. (lbb)

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