Von der Kutsche zum selbstfahrenden Bus

Melina Ehrat | 
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Die hundertjährige Louise Pschesna in ihrem Zimmer im Neuhauser Altersheim «Schindlergut». Bild: Melina Ehrat

Louise Pschesna feiert heute ihren 100. Geburtstag. Im Altersheim Schindlergut erzählt das Neuhauser Urgestein munter Anekdoten aus ihrem langen Leben in der Rheinfallgemeinde.

«Was, Sie werden hundert Jahre alt? So alt möchte ich nie werden», das sagte vor einiger Zeit eine Bekannte zu Louise Pschesna. «Was soll ich denn ­dagegen ­machen?», sagt die vife Rentnerin lachend. Zwei ihrer Nichten sind in Pschesnas liebevoll eingerichtetem Zimmer zu ­Besuch. Die Gruppe plaudert fröhlich ­dahin, man hat es lustig. Pschesna, die heute ihren 100. ­Geburtstag feiert, hat schon ihr Leben lang den Humor in Situationen gesehen. Ihre Mutter Margrit Hienle-Keller pflegte ihr früher mahnend zu ­sagen: «Lisl, du lachst noch, wenn ein Haus umfällt.»

Geheimnis für das dreistellige Alter

Mit diesem wachen Geist mag nun an manchen Tagen der Körper nicht mehr mithalten. «Bis vor einigen Monaten habe ich die Bude noch selber geputzt», sagt Pschesna, die seit 16 Jahren im «Schindlergut» lebt. Nun hat sie diese Aufgaben ans Team des Altersheims abgetreten. «Das ­Leben wird mit jedem Tag schwieriger.» Aber die weisshaarige Dame weiss sich zu helfen. Seit die kleinen Buchstaben in der Zeitung ihr mehr Mühe bereiten, liest die Seniorin mit einer Lupe.

Die Gene für das hohe Alter und die stabile Gesundheit liegen bei Pschesnas in der Familie. So stimmen die Nichten zu als «Tante Lisl» sagt: «Eigentlich alle ­Geschwister sind alt geworden und waren noch fit im Kopf.» Doch die Gene allein ­garantieren noch kein hohes Alter – nach dem Geheimnis ihres langen Lebens ­gefragt, hält Louise Pschesna eine nüchterne Antwort bereit: «Anständig leben, kein Alkohol, keine Zigaretten». Nur an Weihnachten habe man sich damals etwas Lambrusco gegönnt.

Von der Pferdekutsche zur Linie 12

Louise Pschesnas Vater Georg Hienle kam als Kutscher aus München nach Neuhausen. Erst arbeitete er im ehemaligen Hotel Schweizerhof, später wurde er Fuhrmann in der Alusuisse. Die Familie Hienle hatte bereits zwei Söhne und drei Töchter, als am 11. Mai 1919 Nesthäkchen Louise das Licht der Welt erblickte. «Lisl», so ihr Rufname, wuchs in einem der Riegelhäuser am Rheinfallbecken auf. «Man hat halt einfach gelebt», fasst Pschesna ihre Kindheit zusammen. Der Vater sei manchmal sogar mit der sechsspännigen Pferdekutsche die Laufengasse heruntergefahren. Noch in diesen Sommer soll nun der selbstfahrende Bus des «Swiss Transit Labs» diese Strecke bestreiten. Louise Pschesna hat als Zeitzeugin diesen Wandel zur Industriegemeinde miterlebt. Nach ihrer Hochzeit 1941 gründete Louise Pschesna mit ihrem Ehemann Jules eine eigene Familie. Das Paar bekam einen Sohn. Doch alleine fühlen musste sich das Einzelkind nie: Während vieler Jahre hütete Louise meistens noch eines der sechs Kinder ihrer Schwester. Damals reisten die Hütekinder sogar alleine von Zürich nach Neuhausen zur Tante. «Man konnte die Kinder damals einfach am Bahnhof in die Obhut des Schaffners geben und sie am Zielort wieder abholen», erinnert sich Louise Pschesna.

«Bis vor einigen Monaten habe ich die Bude noch selber geputzt.»

Louise Pschesna, feiert ihren 100. Geburtstag

2019 geht das Reisen einfacher und so kommt heute nun die ganze Familie zum 100. Geburtstag der zweifachen Urgrossmutter zusammen. Man geht gemeinsam ins Restaurant, wo jeder à la Carte bestellen darf. Ein Luxus, denn als Kinder durften sich Pschesna und ihr Geschwister höchstens eine Dose Sardinen oder ein Paar Wienerli zum Geburtstag wünschen.

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