40 Schaffhauser Jugendliche sprechen über Gewaltvideos und Mobbing an Schulen

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Gewalt zu sehen, sei schlimm, entsprechende Videos aber machen sie neugierig, sagen einige Jugendliche aus Schaffhausen. Symbolbild: Keystone

Warum filmt man Schlägereien? Weshalb konsumiert man Gewaltvideos in den sozialen Medien? Rund 40 Schaffhauser Jugendliche haben ihre Gedanken dazu mit den SN geteilt. Ein Gespräch über die Gier nach Klicks, über Neugierde, Schadenfreude und Mobbing.

von Fabienne Jacomet und Elena Stojkova

«Ich habe schon mega viele solche Videos gesehen», sagt Tim*. Er spricht von Gewaltvideos. Tim ist einer von rund 40 Jugendlichen, die sich an diesem Montagmorgen in der Aula eines Schulhauses im Kanton Schaffhausen versammelt haben. Es sind zwei 3.-Sekundarschulklassen, die Schülerinnen und Schüler sind zwischen 15 und 18 Jahre alt.

«Ich habe schon mega viele solche Videos gesehen.»

Tim, Schüler aus einer Schule im Kanton Schaffhausen

In den vergangenen Wochen berichteten die SN von drei jungen Frauen, die in Neuhausen eine Jugendliche angegriffen haben. Wenige Wochen vor der Schlägerei kursierte ein Gewaltvideo im Schulhaus Emmersberg in der Stadt. Polizei und Schulsozialarbeit kamen zu Wort und schätzten die Situation unter den Jugendlichen sowie deren Medienkonsum ein. Nun sollen die Jugendlichen selbst zu Wort kommen.

Manchmal seien Messer im Spiel

Zu Beginn des Austauschs sind sie noch etwas zurückhaltend. Ein junger Mann erzählt von Auseinandersetzungen, die er auf dem Pausenplatz auch schon beobachtet hat. Ein Klassenkamerad fügt hinzu: «Vor ein paar Tagen gab es eine Schlägerei zwischen zwei Primarschülern.» Sie hätten auf dem Boden gerauft. Mit Hilfe von anderen habe er die beiden auseinanderbringen können. Nun melden sich mehrere junge Männer im Raum: Es gebe Gruppen aus verschiedenen Gemeinden, die sich in der Stadt treffen, um sich zu prügeln. «Man hört schon auch von verschiedenen Seiten, dass manchmal Messer im Spiel sind.» Ein weiterer Jugendlicher hat schon eine Schlägerei beim Bahnhof mitbekommen, Polizei und Ambulanz seien ebenfalls vor Ort gewesen. «Und nach den FCS-Matchs gibt es auch oft Prügeleien.»

«Schau niemals dieses Video»

Zunächst bleibt es bei Tim, der etwas zu Gewaltvideos sagt. Auf die Frage, wer schon einmal solche Videos gesehen hat, werden später aber mehr als die Hälfte aller Anwesenden die Hände heben. Dass Gewaltvideos kursieren, kennt sie vor allem aus den USA-News, meldet sich nun auch Anna* zu Wort. Auf TikTok sei Tim auf einen Hinweis gestossen. «Dort hiess es ‹schau niemals dieses Video›, das hat mich neugierig gemacht.» Er habe herausgefunden, dass besagtes Video auf der Plattform Reddit zu finden sei, habe die App heruntergeladen und sich das Video dort angeschaut.

«Dort hiess es ‹schau niemals dieses Video›, das hat mich neugierig gemacht.»

Tim, Schüler aus einer Schule im Kanton Schaffhausen

Verschickt habe er solche Gewaltvideos nie. «Ich finde es traurig, dass solche Videos gemacht und ins Internet gestellt werden», sagt Tim. Und weshalb schaut er sie dann? «Es ist faszinierend zu sehen, wie viele dumme Menschen es gibt.» Ein paar Schulkameraden nicken. Dann meldet sich Lars*: «Ich frage mich, ob diejenigen, die in solchen Videos zu sehen sind oder sie aufnehmen, nicht Angst haben um ihre Zukunft. Die Videos verschwinden ja nicht aus dem Internet. Haben sie keine Angst, dass sie keine Lehrstelle finden oder Lehrmeister die Videos sehen?»

Nach den Videos müsse man nicht suchen, sie sind auch auf TikTok oder Instagram direkt zu sehen. Sandra* erzählt, ihr würden solche Videos im Feed vorgeschlagen. Auf einem davon sei ein Mädchen zu sehen gewesen, das auf einer Pyjamaparty von anderen Mädchen verprügelt wird. «Ich frage mich, wieso man das macht. Finden die das lustig? Es ist nicht cool oder lustig.»

Etwas gegen die Verbreitung von Gewaltvideos tun könne man aber nicht, da sind sich die meisten einig. Manchmal könne es auch hilfreich sein, zu filmen, dann gebe es ein Beweisstück, sagt ein Jugendlicher. Einer seiner Kollegen fügt hinzu: «Plattformen wie TikTok müssten ihre Richtlinien anpassen, damit solche Inhalte nicht verbreitet werden können.» Aber es werde immer Menschen geben, die solche Videos aufnehmen, meinen ein paar. Und sie ansehen, ergänzen wieder andere. Aber warum? Um Klicks zu sammeln, antworten die 3.-Sek-Schüler. Aus Schadenfreude. Um jemanden blosszustellen. Um sich Respekt zu verschaffen. Dann denken sie darüber nach, dass sie die Verbreitung solcher Gewaltvideos durch ihre Klicks auch unterstützen.

Eingreifen oder nicht?

Zeuge eines solchen Videodrehs sei bisher niemand der rund 40 Anwesenden geworden. Darüber, wie sie reagieren würden, sind sie sich einig: Wären diejenigen, die filmen, jünger, würden sie vermutlich eingreifen und ihnen das Smartphone wegnehmen. Aber nur dann. Sonst hätten viele Angst, einzugreifen. «Ich würde Hilfe holen», sagt eine junge Frau in der Aula.

Was die Jugendlichen aber mehr umtreibt als körperliche Gewalt, ist Mobbing. «Es gibt viel mehr psychische Gewalt als physische», sagt Alina*, «und das sieht man nicht mal unbedingt.» Ihr Klassenkamerad fügt hinzu, dass sich wahrscheinlich viele nicht trauen, über psychische Gewalt zu sprechen, weil sie denken, sie machen es damit noch schlimmer. Wenige Hände gehen zögerlich hoch, als die Lehrperson fragt, wer schon einmal gemobbt wurde. Es wird geflüstert. Zum Schluss meldet sich Tim wieder zu Wort. Er sei auch schon einmal mit dem Messer bedroht worden. «Man muss darüber reden. Mobbing kann deine Zukunft beeinträchtigen.»

*Namen von der Redaktion geändert

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