Das Band des Kampfes gegen die Ungerechtigkeit wird immer länger

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Am Sonntag gingen in der Schweiz erneut Frauen für die Gleichstellung auf die Strasse, und verschafften sich auch in Schaffhausen Gehör.

von Jurga Wüger

Vor einem Jahr, am 14. Juni 2019, fand die grösste politische Mobilisierung seit dem Landesstreik statt: In der ganzen Schweiz gingen rund eine halbe Million Frauen auf die Strasse. Ein Jahr später, ebenfalls am 14. Juni, haben die Streikkollektive – coronabedingt – explizit zu lokalen, kleineren Aktionen rund ums Thema «Fraulenzen und Queerstellen» aufgerufen. Hinter dem Schaffhauser Lokalkomitee für den Frauenstreik steht der Frauenstammtisch Schaffhausen. Vor acht Jahren wurde er ins Leben gerufen und zählt heute rund 30 Feministinnen. Jeden Monat, am 14. Tag, treffen sie sich auf dem Fronwagplatz, um gemeinsam zu stricken. Stricken sei weniger als häusliche Frauenarbeit gedacht, sondern lehne sich an Agentinnen an, die im Krieg Nachrichten in Wolle einstrickten. Auch die Tricoteuses, die während der Französischen Revolution mit Stricken öffentlich gegen das aristokratische wie patriarchale Herrschaftssystem angingen, nennt Claudia Ellen Pfalzgraf als Referenz. So wurde nun auch am Sonntag auf dem Fronwagplatz gestrickt, und das «Band des Kampfes» der Frauen gegen die Ungerechtigkeit in den Farben Pink, Violett und Rot wurde noch länger. Inzwischen sei das Band so lang, dass es fast den Munot umrunden könnte, sagt Pfalzgraf, und fügt hinzu: «Wir werden so lange stricken, bis der strukturelle Wandel in der Schweiz einsetzt.»

Das gestrickte Band wurde nach dem Marsch durch die Altstadt über den Rhein gespannt. Bild: zVg

Auf die Frage, wann es denn so weit sein werde, lachten die vier Frauen. Bea Will formuliert es vorsichtig und sagt: «Wenn ich Grossmutter bin.» Claudia Ellen Pfalzgraf drückt es mit einem Wortspiel aus: «Lieber gleichberechtigt als später», und Isabelle Lüthi von der Gewerkschaft Unia sagt: «Egal, wofür wir kämpfen, wir werden immer gefragt, ob wir nichts anderes zu tun hätten. Wenn wir Leute hässig machen, zeigt das, dass wir auf dem richtigen Weg sind.» Die Syrerin Saniha Izo, welche ebenfalls dem Stammtisch angehört, kann diese «beruflichen Ungerechtigkeiten» nicht verstehen. Sie sagt: «In Syrien bekommen Frauen und Männer für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn. Und dabei ist Syrien eine Diktatur!»

Forderungen machen nicht beliebt

Doch auf die Strasse zu gehen, um dem Unmut freien Lauf zu lassen, ist in der Schweizer Mentalität nicht verankert. Es brauche Mut und Überwindung, sagt Bea Will und präzisiert: «Dank der direkten Demokratie können wir viele Anliegen ohne Streik und Demos kundtun. Aber, was Frauenanliegen anbelangt, lässt uns das jetzige System keine andere Wahl, als auf die Strasse zu gehen.» Isabelle Lüthi sagt: «Obwohl die Gleichstellung seit 1981 in der Verfassung verankert ist, sieht der Alltag der Frauen anders aus. Mit unseren Forderungen machen wir uns nicht beliebt, es ist zudem ermüdend und es macht nicht immer Spass, aber wir lassen uns nicht entmutigen.» Auch im Kleinen kann man vieles bewirken, da sind sich die Frauen einig. Es beginne damit, dass die Mädchen in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt würden, Gender-Ungerechtigkeiten nicht mehr hinnehmen würden und in der Schule, wenn die Lehrperson nur «Schüler» sagt, als Schülerin darauf reagieren.

Erste nachhaltige Ergebnisse

Nach dem Frauenstreik im letzten Jahr haben sich die Frauenkomitees untereinander vernetzt. Das sorgt für nachhaltige Ergebnisse: Seither wurden bei den Nationalratswahlen zum Beispiel so viele Frauen gewählt wie noch nie zuvor. Auch Themen wie un- oder unterbezahlte Care-Arbeit, Lohnunterschiede und die Aufteilung der Kinderbetreuung zwischen Vätern und Müttern erhielten durch die Corona-Krise ebenfalls mehr Aufmerksamkeit. Doch Lohnungleichheit, alltäglicher Sexismus, sexuelle und sexualisierte Gewalt, Rassismus, Homo- und Transfeindlichkeit, das Schicksal der prekarisierten Frauen, seien weitere grosse Baustellen, die noch immer topaktuell sind. Dank dieser Streiks könne, so Lüthi, niemand mehr wegschauen oder die Problematik weglächeln. Selbstbewusstsein stärken Um Punkt 15.24 Uhr, zum Zeitpunkt, an dem arbeitende Frauen aufgrund der Lohnunterschiede faktisch nicht mehr entlohnt werden, gaben die rund 70 Demonstrantinnen und Demonstranten den Forderungen einen lautstarken Ausdruck. Sie lärmen und pfiffen fünf Minuten lang, bevor sich der lange Demozug in Gang setzte. Anschliessend ging es in die Kulturhalle Vebikus. Dort gab es im Rahmen des «Feministischen Kapitals» von Collettiva Kuratorinnen, die die Kunstkästen bespielen, eine Performance von Stefanie Knobel. Sie hat das Stück «geomythik opera» für den Frauenstreik entwickelt und aufgeführt.

 

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