«Ich schwebte in akuter Lebensgefahr»

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«Momentan ist mein Leben endlich wieder einmal völlig entspannt», sagt der Berliner Musiker, Songwriter und Produzent Adel Tawil. BILD ZVG

Adel Tawil, Berliner Sänger mit ägyptisch-tunesischen Wurzeln, kommt mit seinem zweiten Soloalbum ans «Stars in Town».

von Reinhold Hönle

Als Headliner tritt Adel Tawil in diesem Jahr am «Stars in Town» in Schaffhausen auf. ­Tawil macht den Abschluss des deutschsprachigen Abends am Freitag, 10. August, auf der grossen Herren­acker-Bühne. Der Freitagabend, an dem auch Lo & Leduc und Wincent Weiss spielen, ist inzwischen ausverkauft.

Sie waren in den letzten Jahren auf einer Achterbahn der Gefühle unterwegs. ­Welcher Song Ihrer CD gibt Ihr heutiges Lebensgefühl am besten wieder?

Adel Tawil: «Ich bin, wie ich bin». Er ist so positiv, wie ich in die Zukunft schaue. ­Momentan ist mein Leben endlich wieder einmal völlig entspannt.

Das Album wirkt vielfältig, aber trotzdem wie aus einem Guss. Wie war das an­gesichts seiner Entstehungsgeschichte möglich?

Ich habe früh entschieden, dass ich mit dem Produzenten Andreas Herbig ­arbeite, zu dem ich das nötige Vertrauen habe und dem ich eine gewisse Entscheidungsfreiheit liess. Früher wäre das für mich undenkbar gewesen. Rückblickend erkenne ich, dass ich beim vorherigen Album viel unentspannter war. Der Druck, den ich mir beim Schritt von Ich + Ich in meine Solokarriere selbst machte, war ­höher, als ich mir eingestand. Ich wollte die komplette Entscheidungsmacht haben und war schon fast diktatorisch unterwegs.

Trotzdem war bereits das Echo auf ­«Lieder» sehr positiv.

Das hat mich natürlich riesig gefreut. Ich habe dafür aber einen hohen Preis bezahlt. Deshalb habe ich mir nun bei Andreas Herbig Unterstützung geholt, der mit Udo Lindenberg phänomenale Platten gemacht hat. Mit ihm zu arbeiten, war «So schön anders». Einerseits hatten wir tolle Zeiten, anderseits sind wir heftigst aneinandergeraten. Weil da zwei Alphatiere im Studio standen, die beide die Wahrheit für sich beanspruchten. (lacht)

Welche Rolle spielte der missglückte Start in Los Angeles?

Ich bin nach LA geflogen, weil ich hoffte, dort nach der Trennung von meiner Frau den Kopf frei zu bekommen. Ich habe dann aber gemerkt, dass die Stadt total ­ungeeignet ist, wenn man runterkommen will. Sie gibt dir einen Energy-Boost, denn sie ist voller Menschen, die dort hingehen, um es in der grossen weiten Film- und ­Musikwelt weit zu bringen.

Wo haben Sie es dann geschafft, Ihre ­Gedanken zu sortieren?

Ich habe mich nach Ägypten ans Rote Meer zurückgezogen. Zuerst konnte ich noch keine Musik machen. Ich halte es für einen Mythos, dass man in seinen dunkelsten Stunden am kreativsten ist. Jedenfalls lag ich in dieser Zeit meinen Kumpeln in den Armen und dachte, dass mein Leben zu Ende sei. Erst auf Hawaii ging es wieder aufwärts.

Weshalb?

Wir sind auf Big Island über den Berg an einen Ort gefahren, wo man keinen Handy- und Radioempfang mehr hat. Da war alles sehr friedlich, wir haben Healthy Food gegessen und viel Yoga gemacht. Die Leute waren etwas schräg, aber spannend, und ich konnte in Ruhe mit meinem besten Kumpel an neuen Songs arbeiten.

Wie hat man sich das vorzustellen?

Wir haben zuerst eine Gitalele gekauft, die wie eine Gitarre sechs Seiten hat, aber so klein wie eine Ukulele ist, und haben eine Holzhütte unter Palmen gemietet. Dann sassen wir auf der Terrasse und machten Songs – rein aus Spass. Ohne darüber nachzudenken, ob sie später im Radio laufen würden. Da die meisten sehr hawai­ianisch sind, haben nur zwei davon am Ende zur CD gepasst. Aber sie haben in mir wieder die Freude an der Musik geweckt.

Wann haben Sie Ihren verhängnisvollen Kopfsprung in den Pool gemacht?

Eigentlich wollten wir das Album schon zu Weihnachten 2016 veröffent­lichen und waren auf Kurs, da wir in Ägypten sehr gut vorangekommen sind. Als Produzent, Texter und Manager abgereist waren und am ersten freien Tag die ganze Anspannung von mir abgefallen war, war ich bei meinem Sprung in den Pool wohl ­etwas unkonzentriert und leichtsinnig. Jedenfalls habe ich dabei den Kopf an­geschlagen und einen vierfachen Bruch des ersten Halswirbels erlitten.

Was haben Sie davon mitbekommen?

Es hat gekracht, und ich merkte, dass ich blutete. Danach ging es nur ins nahe Krankenhaus, um meine Platzwunde am Kopf untersuchen zu lassen. Schnell war klar, dass sie genäht werden musste. Nur zur Sicherheit machten sie noch ein paar Röntgenbilder ...

Und dann ist Ihnen der Schrecken richtig in die Glieder gefahren?

Nein, erst beim Rücktransport nach Berlin, als mir der Notarzt im Rettungsflugzeug einschärfte, mich nicht zu bewegen, weil ich in akuter Lebensgefahr schweben würde. Da dachte ich: «Huch, das sagt kein ägyptischer, sondern ein deutscher Arzt!» Sie müssen wissen: Die Ägypter sind ein gut gelauntes Volk, das gerne dramatisiert und dabei in positiver wie in negativer Hinsicht übertreibt. So hatte ich zuvor ­gedacht, was soll schon Schlimmes sein, schliesslich hatte ich ja keine Ausfallerscheinungen ...

Wie lange waren Sie ausser Gefecht?

Ich hatte riesiges Glück, dass das ­Rückenmark nicht beschädigt wurde, sonst hätte ich gelähmt oder tot sein können. So musste ich «nur» fünf Monate eine Halskrause tragen und konnte – als die Schmerzen endlich nachliessen – nochmals über die Songs nachdenken.

Hat Sie diese Erfahrung zu neuen Texten inspiriert?

Ja, das Album wurde nochmals ein bisschen durchgerüttelt. Vier Songs wurden ausgetauscht. Ein Lied wie «Bis hier und noch weiter» musste drauf, weil mir diese Abwandlung des Sprichworts begeistert hat. Oder «Ich bin, wie ich bin», das auf Hawaii entstanden war und plötzlich passte.

Wie wurde Ihre Lebenseinstellung ­beeinflusst?

In Sachen Demut und Dankbarkeit habe ich sicher dazugelernt, und ich überlege mir mehr, wie ich das Beste aus meinem Leben machen kann. Ich will deswegen aber nicht jedem gefallen. Das war früher schon ein wenig anders. «Ich bin, wie ich bin» handelt auch von dieser Wandlung.

Wie entstand «Eine Welt, eine Heimat»?

Die Musik habe ich schon 2014 komponiert, und ich war mir bewusst, dass diese Melodie etwas ganz Besonderes ist, doch dauerte es lange, bis ich das Gefühl bekam, was in meinem «schwedischen» Text steckte. Da Musik die internationalste Sprache der Welt ist, spürt man jedoch immerhin, ob es um Sehnsucht, Schmerz, Freude, Liebe oder etwas anderes geht. Dann kamen wir auf «Eine Welt, eine Heimat», weil mich die Flüchtlingskrise damals tagtäglich beschäftigt hat. Ich finde, bei allem Für und Wider geht die Menschlichkeit vor. Die erste Strophe lautet deshalb: «Da ist eine Tür, die aus der Hölle führt. Hinter dieser Tür liegt ein Weg aus Steinen, und dieser Weg führt dich zum Paradies. Da ist ein Tor, doch man lässt dich hier nicht rein.»

Wie haben Sie Ihre hochkarätigen ­Gesangspartner gewonnen?

Ich habe ihnen das Lied geschickt und sofort das Feedback bekommen: «Wow! Ich bin dabei.» Bei Mohamed Mounir, mit dem ich schon gearbeitet hatte, war ich guter Hoffnung. Es ist aber eine besondere Ehre, dass Youssou N’Dour ebenfalls zu­gesagt hat. Als dann sogar die ägyptischen News über die Zusammenarbeit mit diesen zwei Königen der afrikanischen Musik berichteten, sind meine Eltern vor Stolz fast geplatzt.

Sie haben einmal erwähnt, dass Ihnen auch Schweizer Musik gefällt. Welche?

 Ich mag Gotthard, dieser Band bin ich auf einem Festival begegnet, und ich bin vom Hip-Hop begeistert. Stress und Bligg machen wirklich gute Sachen. Und Stefanie Heinzmann begeistert mich immer wieder. Ich traue mich kaum, sie zu fragen, ob wir vielleicht mal etwas zusammen singen könnten, da sie mich mit ihrer Stimme dermassen plattmachen würde ( lacht ). Es ist einfach unfassbar, was für ein Gesang aus einem so zierlichen Geschöpf kommt!

 

 

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