Jetzt explodiert die Natur: Warum ist das so und wo sind die Hotspots?

Bruno Knellwolf (Kn.) | 
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Märzenbecher im Auenwaldreservat Wutachtal, sie sind streng geschützt, fotografiert am Freitag, 07. Maerz 2025, in Schleitheim. (Roberta Fele / Schaffhauser Nachrichten)
Die Natur spriesst und blüht. Die geschützten Märzenbecher gehören zu den frühsten Boten des Frühlings. Bild: Roberta Fele

Die warmen Tage lassen die Blüten blühen und verwandeln die Schweiz in ein Wunderland. Ein Pflanzenexperte erklärt auf einem Rundgang, wie das geht und warum nicht alle Bäume gleichzeitig blühen.

«Jetzt explodiert die Natur», sagt der Obstbauer und schaut bei strahlendem Sonnenschein auf seine Plantage oberhalb des Bodensees. Tausende Bäume, die vor wenigen Tagen noch kahl waren, werden plötzlich grün.

«Zunächst haben die kalten Nächte die Vegetation etwas zurückgehalten», erklärt Hanspeter Schumacher, ehemaliger Leiter des Botanischen Gartens St.Gallen, beim Frühlingsspaziergang durch Wattwil. Doch nun gibt es kein Halten mehr.

Schumacher beobachtet Hunderte Bäume entlang des Flusses Thur im sankt-gallischen Wattwil und prüft deren Gesundheitszustand. Die am Flussufer stehende Hopfenbuche, deren Fruchtstände dem Hopfen ähneln, hält den Frühling noch versteckt – zumindest fürs Laienauge. Zu sehen sind in erster Linie die wurmförmig angeordneten männlichen Hopfenbuchen-Blüten, die in diesem Zustand überwintert haben und wie die Blütenkätzchen der Haselnuss aussehen.

Blitzartige Veränderung

Wer genau hinsieht, bemerkt aber die leicht spriessenden weiblichen Blüten, die nun ans Licht streben. So verändert sich unsere Umgebung nun blitzartig mit dem Frühlingserwachen. Die allermeisten Bäume, wenn auch je nach Art zeitverschoben, verwandeln sich zu blühenden Schönheitsköniginnen.

Wer jetzt schon besonders viele blühende Pflanzen sehen will, kann zu den Hotspots der Schweiz reisen. Besonders früh blühen aufgrund der klimatischen Bedingungen die Pflanzen im Jura und an der Lägeren bei Baden im Kanton Aargau.

Ebenso im Walenseegebiet, das deshalb auch als Riviera der Ostschweiz bezeichnet wird. Auch das südliche St.Galler Rheintal gehört dazu, der Randen im Kanton Schaffhausen und Basel. In der Westschweiz ist insbesondere das Rhoneknie im Grenzgebiet Waadt/Wallis für frühe Vegetation bekannt.

Wer gibt den Befehl zum Frühlingserwachen?

Doch wie erhalten die Pflanzen das Zeichen zur Verwandlung? Des Rätsels Lösung sind die beiden Pflanzenhormone Auxin und Zytokinin, die für das Wachstum und die Fortpflanzung der Pflanze verantwortlich sind. Zytokinine stimulieren vor allem die Zellteilung der Pflanzen. Das Phytohormon Auxin schafft es zum Beispiel, dass die Pflanzen nicht einfach der Schwerkraft folgen, sondern horizontal oder vertikal wachsen.

Diese hyperaktiven Phytohormone schlafen im Winter. Das Leben steckt in den Knospen, die zur Überbrückung der kalten Jahreszeit dienen. Darin sind die jungen Zweige in gestauchter Form schon seit dem Spätsommer vorhanden. Wird es wärmer, reagieren die Phytohormone, und damit reagiert auch die Knospe und will austreiben.

Das darf allerdings nicht zu früh geschehen, nicht schon nach einem milden Tag im Februar. Um das zu verhindern, hat die Pflanze nach einer genug langen Kälteperiode Hemmstoffe aufgebaut, Hormone für die Regulierung. Wird es warm und hell, bauen sich diese Hemmstoffe ab.

Schneidet man eine Blütenknospe auf, sieht man darin neben Sprossachse und Blättern auch zusammengefaltete Blüten. Diese treiben nun aus. «Nun werden die Kronenblätter zu Werbetafeln für Insekten», sagt Schumacher auf dem Erkundungsgang.

Bienen und Hummeln streifen den Blütenstaub von den Staubblättern ab, und aus dem befruchteten Fruchtblatt wird schliesslich die Birne oder der Apfel. Allerdings sei, wie Schumacher noch anfügt, die Hälfte der einheimischen Bäume Windbestäuber, die keine Insekten brauchen und damit auch keine auffallenden Kronenblätter.

Bäume lassen sich aus Selbstschutz Zeit

Für die Insekten ist von Vorteil, dass nicht alle Gehölze gleichzeitig austreiben. So hält das Nahrungsangebot länger an. Die später blühenden Bäume lassen sich aber nicht wegen der Insekten Zeit, sondern aus Selbstschutz.

Die Knospe übersteht zwar jede Kälte, wenn sie aber im Frühling zu treiben beginnt, wird sie sehr verletzlich. Ein Spätfrost im April kann dem Baum arg zusetzen. Allerdings ist die Pflanze auch darauf vorbereitet und hat immer Knospenersatz auf Lager. Die Früchte und damit die Ernte können aber dezimiert werden.

Ein blühender Apfelbaum Mitte April kurz vor dem Höhepunkt. Bild: Gian Ehrenzeller / KEYSTONE

Eis in der Zelle ist der Tod der meisten Pflanzen. Deshalb brauchen die Pflanzen Strategien, um den Winter zu überleben. Die Knospe ist eine davon, andere wehren sich im Winter mit der Bildung von Zucker, welcher den Gefrierpunkt senkt. Der Zucker wirkt wie ein Frostschutzmittel. Und wieder anderen Pflanzen ist es egal, wenn alle Substanzen in den Zellen einfrieren. Wird es wärmer, tauen diese wieder auf und können spriessen.

Gefrieren die Zellen aber im April, ist das viel heikler. In diesem Stadium der Vegetation sind die Temperaturwechsel deshalb eine Gefahr für die Blüten, da der Winterschutz weg ist. Dann können Blüten und Fruchtknoten erfrieren. Auch bei Äpfeln und Birnen, wenn es Ende April oder Anfang Mai zu Spätfrost kommt.

Frühstarter unter den Obstbäumen

Unter den Obstbäumen sind die Kirschen da weniger empfindlich, sie gehören zu den Frühblühern. Auch die rote Johannisbeere zeigt schon ihre Blütenansätze, und an vielen Orten blühen die ersten Birnbäume, noch vor den Äpfeln. Länger Zeit lassen sich dagegen Eichen, Nussbäume, Reben und Eschen. «Die Esche ist ein Ölbaumgewächs, so wie der Olivenbaum», sagt der ehemalige Leiter des Botanischen Gartens.

Die Verwandtschaft mit der Olive bedeutet für die Esche, dass sie wegen ihrer Abstammung empfindlicher ist auf Kälte und deshalb später austreibt. Das gilt auch für die Eichen, eine Gattung, die in milderen Gebieten entstanden sein dürfte. Und ebenso für die Weinrebe, die deutlich kälteempfindlicher ist als ein Apfelbaum.

Für den Termin der Blüte ist somit von Bedeutung, ob das Gewächs einheimisch ist oder nicht. Doch was heisst überhaupt einheimisch? «Eigentlich sind fast alle Kulturpflanzen zu uns ins Land gebracht worden. So wie Apfel- und Birnenbäume, Reben, Aprikosen und Pfirsiche», sagt Schumacher. So stammt die Birne beispielsweise aus Südwestasien.

Nur wenige Nutzpflanzen sind einheimisch

Die Kirsche gilt als einheimisch, aber auch dort geht man davon aus, dass die Römer diese Frucht in unsere Gegend gebracht haben. Wildlebende Arten, die nachweislich schon vor der Entdeckung Amerikas im Jahr 1492 hier lebten, gelten als einheimisch. «Man hat diese Alteinwanderer pauschal eingebürgert», sagt Schumacher.

Die aus dem Süden stammenden Nektarinen und Aprikosen sind noch nicht an unsere klimatischen Verhältnisse angepasst, wie zum Beispiel die schon lange bei uns angebauten Reben. So blühen die Nektarinen und Aprikosen schon früh im März farbenprächtig und sind nun in grosser Gefahr, wenn es plötzlich doch noch nächtlichen Spätfrost gibt.

Als einheimisch gelten nur wenige Nutzpflanzen wie Schnittlauch, Nüsslisalat, Himbeeren und Brombeeren. Allerdings nur die Waldbrombeeren, nicht die schmackhaften Kultur-Brombeeren, die wir essen. Diese stammen aus dem Kaukasus und verwildern leicht, weshalb sie auch als invasive Neophyten gelten. Konkurrenzpflanzen haben gegen die Armenische Brombeere kaum eine Chance.

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