Neun Monate kein Regen: Die Jahrtausenddürre 1540 in Schaffhausen
Viele Menschen stöhnen über die Hitze der letzten Wochen - und die Dürre, die das Land austrocknet. Quellen zeigen: Die derzeitige Dürre ist nichts im Vergleich zur Jahrtausenddürre 1540.
Wie kam es zu der Hitze?
Wie die Hitze genau zustande kam, ist nicht klar. Dafür fehlen die Wetterdaten dieser Zeit. Forscher vermuten ein Azorenhoch, das über Europa hing. Die Hitze und die daraus resultierende Trockenheit waren in diesem Fall definitiv nicht menschengemacht – anders als heute, wo ein Grossteil von Dürren und Trockenheit laut zahlreichen Studien auf den von Menschenhand verursachten Klimawandel zurückgeführt werden kann.
Die Geschichte am Montag
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Die Sonne brennt heiss auf Schaffhausen. Das macht sie schon seit Monaten. Die Felder sind verdorrte, tote Flächen, auf denen so gut wie nichts mehr wächst. Ein paar Bauern ziehen müde mit ihren Tieren über die Wege, auf der Suche nach einer Wasserquelle. Die Tiere sind dürr und schlapp, während sie sich träge durch die flirrende Sommerhitze schleppen.
Am Wegesrand, auf den Feldern, die noch ein bisschen Getreide tragen, ackern die Bewohner unter der prallen Sonne. Viele kippen irgendwann einfach um, manche stehen nie wieder auf – Hitzschlag. Wasser ist Mangelware, denn auch die Brunnen sind ausgetrocknet.
Der Rhein, der sonst so stolze Fluss und eigentlich Quell des Wohlstandes in der Munotstadt, ist nicht einmal mehr ein Rinnsal. Gerade mal zehn Prozent seiner ursprünglichen Menge führt der Fluss in der höchsten Hitzezeit noch.
Die Fischerboote am Rhein liegen auf dem Trockenen – wortwörtlich. Mancherorts kann man den Rhein überqueren, ohne auch nur einen Tropfen Wasser abzubekommen. Ein Chronist aus Schaffhausen dieser Zeit schreibt: «Es war so heiss, dass die (…) Äschen im Rhein ans Land schwammem um kaltes Wasser zu suchen. Aber ehe sie wieder recht ins Wasser zurückkamen, fielen sie schon der grossen Hitze zum Opfer, so dass die Fischer sie mit den blossen Händen fangen konnten.»
Willkommen im Jahr 1540. Wer derzeit über die Hitze der letzten Wochen klagt, weiss nicht, wie schrecklich und verheerend die «Jahrtausenddürre» in diesem Jahr war.
Trockenheit ist willkommen - zuerst
Alles scheint normal am Ende des Jahres 1539. Es regnet regelmässig, was die Leute in ihre Häuser treibt. Damals ahnen sie nicht, wie sehnsüchtig sie auf den Niederschlag in den nächsten Monaten warten werden. Der Zürcher Reformator Heinrich Bullinger schrieb über die Dürrejahre, dass von März bis zum 29. September es «kein einziges Mal einen ganzen Tag oder eine ganze Nacht geregnet hatte.»
In Schaffhausen merkt man davon erstmal nichts. Die Trockenheit kündigt sich langsam an, als zum Beispiel im Winter die Niederschläge ausbleiben. Das stört die Bevölkerung, damals viele Bauern, zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Im Gegenteil: Für viele Menschen der damaligen Zeit ist es von Vorteil, dass es weder Schnee noch Regen gibt. Es macht die Arbeit auf dem Feld leichter und das Leben, das sich oft an der frischen Luft abspielt, erträglicher.
Katastrophe für Mensch und Tier
Ab Februar bleiben die Niederschläge weiterhin aus, während gleichzeitig die Temperaturen immer weiter steigen. Wetterforscher sagen, dass die Temperaturen während der extremsten Trockenperiode von April bis Juli 1540 zwischen 4,8 und 5,8 Grad höher lagen als im Jahresdurchschnitt. Das hat katastrophale Folgen für die Menschen der damaligen Zeit.
Quellen sprechen von so tiefen Rissen im Boden, dass ein «erwachsener Mann drin stehen» kann. Auch die Tiere sterben den Bauern reihenweise weg. Sei es wegen Wassermangels, oder wegen der brutalen Hitze, die öfter mal weit über 40 Grad liegt. Ein Chronist dieser Zeit schreibt: «Es war ein heisser und dürrer Sommer, dass es vom Märzen bis St. Martinstag (21. November) nie regnete. Es war auch so ein krasser Mangel an Wasser, dass das Vieh an manchen Orten mit Milch musste getränkt werden…»
Ebenso katastrophal ist jedoch der Zustand des Rheins, der immer weiter austrocknet – und damit als «Energielieferant» wegfällt. So beschreibt der Historiker Christian Pfister die Situation so: Mit dem versiegen des Rheins «versiegte in der Agrargesellschaft die wichtigste Quelle von mechanischer Energie.» Mühlen mahlen nicht mehr, was dazu führt, dass die Preise für Mehl und auch für Brot in astronomische Höhen schiessen – und die Lage für die Bevölkerung zusätzlich erschwert. «Im Sommer 1540 wurde Mehl von Schaffhausen nach Konstanz, Lindau, ja nach St. Gallen geführt», denn nur dort kann es noch gemahlen werden, so der Historiker, der sich ausführlich mit dieser Dürreperiode beschäftigt hat.
Die Situation wird in mittelalterlichen Quellen damals so beschrieben, dass die Hitze so enorm war, dass «die Leute grossen Hunger leiden und ihre Mahle halbieren mussten (…) das Obst, Äpfel, Birnen und Nüsse verbrannten an vielen Orten an den Bäumen und fielen herab, wie auch der Wein an den Reben.»
Unklare Anzahl von Toten
Wie viele Menschen an den Folgen dieser Katastrophe sterben, lässt sich nicht nachvollziehen. Man kann sich aber vorstellen, wie hoch die Zahl wohl liegt, wenn man bedenkt: Beim Hitzesommer 2003 sterben in Europa 70‘000 Menschen. In einer modernen Welt, mit guter medizinischer Versorgung und sauberem Wasser direkt aus dem Hahn. Wie muss die Situation wohl damals gewesen sein?
Klar ist laut Quellen, dass viele Brunnen ausgetrocknet sind und die Leute teilweise viele Kilometer zum nächsten Wasservorrat zurücklegen. Auch in Schaffhausen wird das Wasser knapp, der Grundwasserspiegel ist so tief gesunken, dass man nicht mehr nach frischem Wasser graben kann. Im Dürrejahr ist es deswegen unter anderem verboten, Kleider zu waschen.
Nur Winzer können sich freuen
Einzig für die Winzer in der Region hatte der Sommer etwas Gutes: Der Wein aus dem Jahr 1540 gilt bis heute als ein Jahrtausendwein. Die Weinernte kann, trotz einiger Ausfälle, einen sehr guten und vor allem sehr zuckerreichen Wein hervorbringen. Nicht aus der Region, sondern aus Würzburg, stammt der älteste jemals getrunkene Wein aus eben diesem Jahr. 1991 darf ein englischet Weinexperte diesen besonderen Jahrgang probieren und sagt, der Wein halte «noch immer die aktiven Lebenselemente in sich fest, die sie von der Sonne jenes längst vergangenen Sommers in sich aufgenommen hatte.»
Und auch ein anderes Kuriosum liefert dieser Sommer: Es gibt Berichte, wonach noch im Dezember 1540 Jugendliche im Rhein baden – ohne zu frieren, denn der Fluss hat sich über die Monate so aufgeheizt, dass er die Wärme auch im Winter nicht abgibt.