Wutanfall auf dem Fronwagplatz

Sibylle Russenberger | 
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Bild: Pexels

Mein Dreijähriger liegt auf dem Fronwagplatz in Schaffhausen und tobt. Und schreit. Laut. Mit Baby in der Trage setze ich mich neben mein Kind und versuche es zu beruhigen. Meine Versuche, die Situation zu entschärfen, scheitern, er schreit nur noch lauter: «Ich han welle s’Nastüechli in Chübel tue». Wohlgemerkt: Es geht um MEIN Nastüechli, welches ich ohne zu überlegen in den Mülleimer vor dem Manor geschmissen habe. Kurz überlege ich, ob ich das Taschentuch nochmal rausfischen soll und verfluche gedanklich den Erfinder der Haifischmülleimer. Da kommt mir die zündende Idee. Ich habe ja noch mehr Nastüechli in der Tasche. «Aber ich will ES ANDERE Nastüechli in Chübel tue!» Ich werde langsam nervös, versuche aber, ruhig zu bleiben.

«Hät er Hunger?»

Einige Leute schauen mich an, als würde ich nackt durch die Strassen tanzen. Von anderen Mamis ernte ich mitfühlende Blicke. Eine ältere Frau bleibt neben mir stehen und fragt: «Hät er Hunger?» Ich schaue sie verwirrt an. Ich weiss bis heute nicht, was ich ihr antworten soll.

Mittlerweile sitze auch ich auf dem Froni und überlege mir, ob wir es heute noch nach Hause schaffen. Das Baby zappelt und will raus aus der Trage. Ich umarme mein tobendes Kind und versuche, das Baby nicht zu erdrücken. Man soll beim Kind bleiben und warten, bis es sich beruhigt, habe ich gelesen. Das klingt wunderbar, doch was, wenn der Kleine nicht aufhört zu Schreien? Neuer Versuch: «Ich kann verstehen, dass du das Nastüechli in den Mülleimer werfen wolltest, aber jetzt ist es schon drin und ich kann es nicht mehr herausholen.» Meine Worte scheinen den Kleinen noch mehr aufzuwühlen. Vielleicht trotzdem den Griff in den Mund des Haifischs wagen? Mit meinem Latein am Ende sitze ich da, mit einem quengelnden Baby in der Trage und streiche meinem Kind sanft über den Kopf. Eigentlich könnte ich mich dazulegen und mitheulen.

«Mami, derf i mit em Auto fahre?»

Als hätte man einen Schalter gedrückt, steht das Kind plötzlich auf und hört auf zu weinen. «Mami, derf i mit em Auto fahre?» Er zeigt auf das Kinderfahrzeug vor dem Manor, um welches ich normalerweise einen grossen Bogen mache, um unnötige Diskussionen zu vermeiden. Und ja, ich habe ihn schon mal damit fahren lassen und ja, jetzt möchte er natürlich jedes Mal “en Batze”. Doch heute bin ich das erste Mal dankbar, dass dieses Auto da steht, wo es steht.

Zu Hause angekommen, habe ich schon fast wieder vergessen, dass ich kurzzeitig überzeugt war, in der Stadt übernachten zu müssen. Manchmal ist diese Schwangerschaftsdemenz, die wohl nie mehr verschwindet, auch ganz hilfreich.

Hier schreibt Sibylle:

 

36 | Mama von Kleinkind 3.5 Jahre und Baby 9 Monate | Kaffee- und Mate-Trinkerin | Alles-unter-einen-Hut-Bringerin | Schaffhauserin mit bizli Fernweh

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