Wo ziehen wir die Grenze?

«Zu einem generellen Verbot des Rufs «Allahu Akbar» darf es nicht kommen»: Stadtredaktor Dario Muffler über die Auswirkungen eines Ausrufes
Zwei Worte sorgten diese Woche für Schlagzeilen. Zwei Worte, die an und für sich nichts Böses oder Anrüchiges bedeuten. Zwei Worte, die in der islamisch geprägten Kultur in diversen Kontexten gebraucht wurden und werden. Zwei Worte, die in Westeuropa aufgrund ihrer Verbindung zu Terroranschlägen negativ behaftet sind. Die Rede ist vom arabischen Ausspruch «Allahu Akbar», der so viel bedeutet wie «Gott ist grösser» oder «Gott ist der Grösste». Der Ausspruch veranlasste am Abend des 12. Mai 2018 eine Polizistin der Schaffhauser Polizei, einen jungen Mann zu kontrollieren und den Vorfall an die Stadtpolizei zu rapportieren. Aus ihrer Sicht hatte der 22-Jährige «öffentliches Ärgernis» gemäss der städtischen Polizeiverordnung erregt, weil er die Worte «Allahu Akbar» laut gerufen hatte. Deshalb büsste ihn die Stadtpolizei. Dagegen wehrte sich der Betroffene zwar nicht, dafür ging er aber diese Woche an die Öffentlichkeit.
Die Meinungen über die Busse, die dem Mann aufgebrummt wurde, gehen weit auseinander. Viele äussern sich positiv zur Reaktion der Polizei, auf der anderen Seite verurteilen die Busse auch viele. Die Aktivistengruppe Linke People-of-Color Zürich bewog die Verzeigung dazu, eine Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen einzureichen. Die Aktivisten werfen der Polizistin Rassendiskriminierung vor, ihr Handeln sei nur aufgrund islamophober Vorurteile erfolgt, begründet die Gruppierung.
Sollte ein Ausspruch, aus welcher Kultur er auch stammen mag, dazu eingesetzt werden, um Angst und Schrecken zu verbreiten, dann darf dies nicht toleriert werden.
Diese Beurteilung der Linken People-of-Color Zürich greift zu kurz: Die Polizistin hat den jungen Mann kaum aus islamophoben Beweggründen kontrolliert. Viel eher assoziierte sie den Ausspruch «Allahu Akbar» mit einer Bedrohung. Das liegt je nach Kontext durchaus nahe, ist doch die Verwendung des Ausspruchs von Terroristen gemeinhin bekannt. Selbstverständlich handelt es sich dabei, und das soll hier in aller Deutlichkeit gesagt sein, um einen Missbrauch des Ausdrucks durch die Terroristen. Doch die negative Konnotation lässt sich aktuell nicht wegdiskutieren. Darum sind die Umstände der Aussage entscheidend dafür, wenn es darum geht, die Intention des jungen Mannes zu beurteilen.
Ein generelles Verbot führt am Ziel vorbei
Wir wissen nicht genau, was sich beim Güterbahnhofareal in Schaffhausen abgespielt hat. Entsprechend lässt sich nur schwer abschliessend beurteilen, ob die Rapportierung und die darauffolgende Busse gerechtfertigt waren oder nicht. Damit diese als angebracht betrachtet werden könnte, müssten tatsächlich «Angst und Schrecken» verbreitet worden sein, wie es die Polizei in ihrer Begründung darlegte. Ob an diesem frühen Abend im Mai an der Fulachstrasse genug Menschen zugegen waren, die den Ausspruch hätten hören und dadurch in Angst versetzt werden können, kann weder ausgeschlossen noch bestätigt werden. Unklar bleibt die Situation für Aussenstehende insbesondere, weil es die Polizistin anders wahrnahm als der Gebüsste: Es steht Aussage gegen Aussage.
Eines aber ist klar: Zu einem generellen Verbot des Rufs «Allahu Akbar» darf es nicht kommen. Das Unter-Busse-Stellen eines kulturell und religiös geprägten Ausspruchs widerstrebt dem liberalen Geist unserer Gesellschaft. Auch wenn in anderen Ländern Symbole fremder Kulturen und Religionen verboten sind, dürfen wir uns diesem Massstab nicht anpassen.
Wir müssen uns aber wohl überlegen, wo wir die Grenze ziehen, wenn es um die Verwendung von Begriffen geht, die einen starken Konnex zu extremistischem Kontext haben. Sollte ein Ausspruch, aus welcher Kultur er auch stammen mag, dazu eingesetzt werden, um Angst und Schrecken zu verbreiten, dann darf dies nicht toleriert werden.
Die Linke People-of-Color will mit ihrer Anzeige gegen die Polizistin über Missstände aufklären und klarmachen, dass sich auch andere von dieser Verzeigung betroffen fühlen. Dagegen, dass die kleine Gruppierung dies erreichen will, ist nichts einzuwenden. Der eingeschlagene Weg ist aber der falsche. Eine Strafanzeige wegen Rassendiskriminierung ist bei der vorliegenden Faktenlage fragwürdig. Inwiefern der junge Mann in seiner Menschenwürde herabgesetzt wurde, ist nicht ersichtlich. Damit der Tatbestand der Rassendiskriminierung erfüllt ist, müsste die Polizistin zudem mit einem Vorsatz gehandelt haben. Da sie die Situation aber nur zufällig mitbekommen hat, lässt sich ein Vorsatz mit grösster Wahrscheinlichkeit nicht nachweisen.
Was aber kann man aus dieser schlagzeilenträchtigen Episode mitnehmen? Das Misstrauen, das in der westlichen Welt gegenüber allem islamisch Geprägtem herrscht, ist die Folge des Terrors von Extremisten. Das Gefühl des Unwohlseins der Gesellschaft darf weder totgeschwiegen noch überzeichnet werden. Die Sensibilität muss bei allen Menschen, Muslimen wie Nichtmuslimen, geschärft werden.