Handy-Fasten: Soll man zeitweise bewusst Abstand vom Smartphone nehmen?

Schaffhauser Nachrichten | 
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«Digital Detox» oder zu Deutsch digitales Entgiften ist in. Menschen verzichten für eine gewisse Zeit auf die Nutzung ihres Smartphones. Ist diese ­Abstinenz sinnvoll oder überflüssig?

Pro

Von Anna Kappeler, Redaktion Inland

Lange behauptete ich, nicht anfällig zu sein für Sucht. Rauchen? Nur im Ausgang, nicht tagsüber. Alkohol? Manchmal gerne, auch exzessiv, danach aber tagelang keinen Tropfen mehr. So einfach war das. Bis das Smartphone in mein Leben kam.

Ein Beispiel gefällig? Grausam zäh zogen sich diejenigen Arbeitstage in die Länge, an denen ich am Morgen das Handy zu Hause vergessen hatte. Seltsam nackt fühlte ich mich dann. Und überzeugt davon, dass die Welt meiner Freunde und meiner Familie kurz vor dem Untergang stand, sie mich verzweifelt zu erreichen versuchten, ich aber nicht reagieren konnte. Weil das Handy ja verlassen und wild vibrierend zu Hause lag. An solchen unfreiwilligen Handy-freien Tagen war ich furchtbar angespannt. Gereizt. Abhängig vom Smartphone.

Und das konnte es ja nicht sein. Was also tun? Hellhörig wurde ich, als mir eine Freundin vom digitalen Fasten – also der Smartphone-freien Zeit – berichtete. Das brachte mich zum Grübeln. Und zum Entschluss, ebenfalls eine radikale Entgiftung zu machen. Damit ich in Zukunft auch unfreiwillige Tage ohne Smartphone in Zen-artiger Gelassenheit überstehen würde.

Erster Schritt meiner selbst verordneten Therapie: an freien Tagen den Flugmodus auf dem Handy nicht vor Mittag ausstellen und die E-Mails nur einmal täglich checken. Die News­portale ignorieren und Plattformen wie Facebook, Twitter oder Instagram sowieso. Auf Letzteren verpasst man ohnehin (fast) nichts.

Zweiter Schritt: in den Ferien auf Wi-Fi verzichten. Der Vorteil an dieser Methode: In Notfällen bin ich via SMS und Anrufe erreichbar. Dritter Schritt: auch im Alltag immer wieder bewusst komplett Handy-freie Zeiten einbauen.

Und tatsächlich: Nach dem ersten kalten Entzug meistere ich das temporäre Handy-Fasten inzwischen souverän. Und gönne mir diese «Detox-Zeit» ganz bewusst. Ohne ständige News-Berieselung bin ich tatsächlich entspannter. Auf meine viel zu vielen Push-Meldungen ganz verzichten würde ich nie, weil ich sie beim Arbeiten nützlich finde. Und schliesslich sind sie mit einem Wisch ja schachmatt gesetzt. Zudem habe ich mehr Zeit. Den Beweis liefert praktischerweise das Handy gleich selbst: Die App Moment misst den täglichen Natelgebrauch. Anfangs mahnte sie mich in roter Schrift, dass ich zu viel Zeit mit dem Gerät verbracht hatte, nun lobt sie mich in fröhlichem Grün, dass ich mich im zeitlich tolerierbaren Rahmen bewege.

Und ich kann mich wieder brüsten, meine Sucht im Griff zu haben.

Contra

Von Sidonia Küpfer, Redaktorin

Unsere Welt ist ein gefährlicher Ort, der voller Gift steckt. Zu diesem Eindruck könnte man gelangen, wenn man sich die ganzen Detox-Kuren vor Augen hält, die in einschlägigen Magazinen ausgebreitet und von Bekannten begeistert ausprobiert werden. In den letzten Wochen zu viel gefuttert? Das Detox-Wochen­ende wird’s richten. Gestern Abend über die Stränge geschlagen? Dann muss ein Detox-Sonntag eingelegt werden. Freilich ist es ratsam, seiner Leber nach durchzechter Nacht etwas Ruhe zu verschaffen. Zu diesem Schluss kommen die meisten ganz automatisch, nur die Unverbesserlichsten setzen auf ein Konterbier. Aber in aller Regel lassen sich kurzfristige Völlerei oder ein feuchtfröhlicher Abend ohne viel Tamtam wieder richten. Warum dies über Zitronenwasser oder – noch wahrscheinlicher – ein dickflüssiges Getränk in grüner Farbe geschehen muss, leuchtet mir nicht ein.

Nach Leber und Verdauungstrakt ist nun auch das Smartphone in die Fänge der Detox-Kavallerie geraten. Zugegeben: Jeder von uns kennt eine Person, der man bisweilen gerne einmal das Smartphone aus der Hand reissen und in den Rhein werfen möchte. Zum Beispiel beim gemeinsamen Abendessen. Und vermutlich, nein ganz sicher, war auch ich schon einmal diese Person, die mit einem halben Auge den Spielstand beim Federer-Match gecheckt hat, als es sich eigentlich nicht gehörte. Aber das Gegenmittel ist keine grüne Flüssigkeit, sondern viel einfacher: «Leg das Handy weg».

Das Smartphone ist aber auch einfach ein Geschenk des Himmels! Wenn ich morgens aufwache, weiss ich schon in etwa, was in der Nacht passiert ist. Die Push-Nachrichten einschlägiger Newsportale machen es möglich. Der Freundin kurz vor Mitternacht noch alles Gute für die Prüfungen wünschen? Kein Problem. Man erinnere sich nur an die Diskussionen, bis wann man jemanden abends noch auf dem Schnur­telefon anrufen darf (und die Taktiererei, wann die Wahrscheinlichkeit am kleinsten ist, dass der Vater das Telefon abnimmt)! Pendeln vergeht dank Netflix, Twitter oder Podcasts wie im Flug, und im besten Fall lernt man dabei noch etwas.

Das Smartphone ist kein Gift. Wenn Ton und Vibraalarm abgestellt sind, kann man das Suchtpotenzial doch wirklich in Schach halten. Klar müssen wir uns an so manches, was die Digitalisierung mit sich bringt, noch gewöhnen. Aber vieles wird auch einfach besser. Bester Beweis: Denken Sie nur daran, wie mancher ­Diashow-Abend uns seit Facebook erspart geblieben ist!

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