Von Stolz und Defiziten

Eva-Maria  Brunner Eva-Maria Brunner | 
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Eva-Maria Brunner schreibt in ihrer Kolumne Kind und Kegel über Ketanji Brown Jackson und ihre Tochter.

Ketanji Brown Jackson ist von US-Präsident Biden in den Obersten Gerichtshof berufen worden. Ihre Ernennung ist ein starkes Zeichen – eine afro- amerikanische Frau in einer solchen Schlüsselposition stimmt hoffnungsvoll. Auf dem Bild ist hinter der neu ernannten Richterin ihre Tochter zu sehen. Mit einem leisen Lächeln blickt sie auf ihre Mutter, der Stolz ist spürbar und berührt mich Betrachterin. Womit mache ich wohl meine Tochter stolz?, frage ich mich. Ich kann weder ein politisches Amt noch eine Schauspielkarriere vorweisen, bin furchtbar unsportlich, und was ich einst am Klavier zustande brachte, ist leider längst verlernt. Ich fürchtete ein vernichtendes Urteil, war aber dennoch neugierig, was ich zu hören bekommen würde. Und dann staunte ich nicht schlecht. Sofort strahlte meine Tochter und meinte: «Ich bin auf ganz viel stolz. Aber vor allem dies: Du bist doch Lehrerin und Heilpädagogin.» Ich stutzte: Findet sie es so schön, dass ich Kindern die Welt zeige? Dass ich Lerntipps zur Hand habe? Ein inklusives Menschenbild lebe? Weit gefehlt. «Du warst doch ab der ersten Oberstufe so schlecht in Mathe, brauchtest Nachhilfestunden und hast eine ungenügende Note nach der anderen kassiert. Und trotzdem bist du Lehrerin geworden. Das gibt mir Mut, dass ich es trotz meiner ­Mathe-Noten auch schaffen kann und nicht aufgeben soll.» Ich war baff. Lachte herzlich. Und dann breitete sich eine ruhige, tiefe Freude in mir aus. Mir wurde klar: Meine Kinder erwarten keine Einrad fahrende Mutter. Es ist nicht schlimm, dass ich ihnen nie süsse Kleidchen nähen konnte, dass sich im ganzen Haus kein Pokal findet und ich in einem Beruf tätig bin, bei dem Boni in Form von Kinderzeichnungen das höchste der Gefühle bleiben müssen. Spitzenleistungen und steile Karrieren machen zwar Eindruck, was aber Mut macht, sind die Geschichten von Krisen, welche Menschen vor mir bewältigt haben. Von ­ihnen kann ich mir abschauen, was es heisst, sich wieder aufzurappeln. Wie man den Glauben an sich bewahrt, den anderen zeigt, was in einem steckt. Oder dass man Umwege gehen muss, damit sich unerwartete Perspektiven eröffnen können. Mich inspirieren ­Biografien, die das Scheitern integriert haben in den Lebensweg. Der Polar­forscher Shackleton wurde in jungen Jahren wegen Dienstuntauglichkeit nach Hause geschickt. Albert Einstein verliess die Schule ohne Abschluss. JK Rowling wurde von mehreren Verlagen abgewiesen, bevor «Harry Potter» veröffentlicht wurde.

«Womit mache ich wohl meine Tochter stolz?»

Es würde Pünktchen nichts bringen, wenn ich einfach sagen würde: «Ach, das hast du von mir, ich war auch ­immer eine Niete in Mathe.» Aber ich kann ihr zeigen, dass man sich Hilfe holen kann, dass man den Lernstoff portionieren muss, dass Fragen-Stellen essenziell ist. Und dass, last but not least, ihr Wert nie durch eine Schulnote, Leistungen generell, definiert wird. Einmal mehr wird mir ­bewusst, dass wir als Eltern nicht ­immer ahnen können, womit und wie wir auf unsere Kinder wirken. Es sind wohl nicht die Motivationsreden, die wir halten, welche unseren Nachwuchs nachhaltig prägen. Sondern unser eigener Umgang mit den Herausforderungen des Lebens. Wie gehe ich nach einem Streit auf jemanden zu? Wie ist mein Medienkonsum? Lasse ich negative Gefühle, Enttäuschungen oder Trauer zu oder betäube ich mich? Stehe ich für mich ein? Wie lebe ich mit den Defiziten, die ich habe? Lenke ich meinen Blick auch aufs Positive? Pünktchen betont ­nämlich ausserdem, sie finde es cool, dass mir die Sprachfächer so leicht­fielen. Mit Kurvendiskussionen werde ich meine Tochter nie stolz machen. Dafür diskutiere ich mit ihr die ­aktuelle Politik, die Kernbotschaft von «Momo» oder die Vor- und Nachteile vegetarischer Ernährung. ­Immerhin.

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