Zur Ehrenrettung einer verkannten Spezies

Eva-Maria  Brunner Eva-Maria Brunner | 
Lesenswert
Noch keine Kommentare

Eva-Maria Brunner schreibt in dieser Kolumne über Teenager und ihren Ruf.

Mit dieser Kolumne verstosse ich gegen alle Grundregeln des Journalismus. Ein Text soll eine Sensation liefern, polarisieren, provozieren. Wer darauf gehofft hat, aus erster Hand von familiärem Zoff, Grenzerfahrungen oder erzieherischen Knacknüssen zu lesen, wird enttäuscht. Nicht einmal Schadenfreude kann ich diese Woche bedienen. Denn im Moment läufts. Alle Eltern kennen den schalen Trost von Aussagen wie «es ist alles nur eine Phase» oder die Häme, die aus dem Spruch «kleine Kinder, kleine Sorgen, grosse Kinder, grosse Sorgen» trieft. Wir erleben gerade eine Flaute in der stürmischen See der Kinderaufzucht und geniessen sie in vollen Zügen. Teenager haben ein ähnlich schmeichelhaftes Image wie CS-Banker, in Buchhandlungen finden sich reihenweise Bedienungshandbücher für diese gefürchtete Spezies und spätestens ab dem dreizehnten Geburtstag der Erstgeborenen rechnete ich mit allem.

«Teenager haben ein ähnlich schmeichelhaftes Image wie CS-Banker und in Buchhandlungen finden sich reihenweise Bedienungshandbücher für diese gefürchtete Spezies.»

Aber statt laut knallender Türen, Kommunikationsverweigerung oder zweifelhaftem Musikgeschmack möchte meine Tochter nun Tipps, was ich ihr aus meinem Bücherregal empfehle, backt regelmässig Cookies und analysiert das Verhalten ihrer Mitmenschen mit einer psychologischen Klarsicht, die mich nur staunen lässt. Waren die Schulferien früher anstrengender als die herausforderndsten Arbeitstage, sind sie nun eine Erholung für alle. Im Trampolinpark kann ich Anton und seine Kumpels durchaus für zwei Stunden sich selbst überlassen und mit der Freundin bummeln gehen. Er übernachtet reihum bei seinen Freunden, was zwar ein Haus voller Jungs bedeutet, die Unmengen an Essen vertilgen, deren Definition eines gelungenen Abends aber keinerlei involvierte Elternteile vorsieht. Am Morgen danach das Zimmer gründlich lüften, damit ists getan. Und an den anderen Abenden hat man unverhofft sturmfrei und überlegt sich, wie man sich einen geschenkten Donnerstagabend möglichst erinnerungswürdig gestalten könnte. Die grosse Tochter organisiert sich selbstständig einen Kurztrip zu den Grosseltern in die Ferienwohnung und ich freue mich darüber, wie praktisch sie ihr Leben anpackt.

Diskutieren auf Augenhöhe

Ich bin ehrlich: Es ist nicht alles einfach oder durchgehend harmonisch. Ich übe mich im Loslassen und Vertrauen, wenn Anton ganze Nachmittage mit einem Freund im Hallenbad verbringt oder Pünktchen abends durchs Quartier spaziert. Ich muss ihr glauben, dass sie nicht versucht, in Klubs reinzukommen oder einen älteren Kollegen zum Bierkaufen vorschickt. Aber solange wir keinen Anlass für Misstrauen haben, fahren wir wunderbar mit dieser schrittweisen Auswilderung.

Dass sich unsere Kinder mittlerweile selbst eine Pizza in den Ofen schieben können, regelmässig freiwillig duschen und jederzeit auf dem Handy erreichbar sind, tönt zwar banal, gibt uns Eltern aber sehr viele Freiheiten zurück. Wir können auf Augenhöhe diskutieren, freuen uns über gemeinsame Interessen und haben in Sachen Nähe und Distanz eine gute Balance. Dennoch kostet es Kraft, Kinder beim Abnabeln zu begleiten: Wenn Pünktchen nicht möchte, dass wir an die Theateraufführung kommen und ich mich über diesen Wunsch hinwegsetze, tue ich dies dann für sie oder für mich? Wie begleite ich bei der Berufswahl, ohne zu sehr Druck aufzusetzen? Anton findet, er habe genug für die Französischprüfung gelernt. Akzeptiere ich das oder zwinge ich ihn, die Wörter noch einmal abzuschreiben?

Die nächste Bö kommt bestimmt

Der grösste Zankapfel ist aktuell der Medienkonsum. Damit sind wir sicher nicht allein, doch wir drehen uns im Kreis und gäben viel für eine griffige Lösung, die nicht Woche für Woche neu verhandelt werden muss. Es ist mir bewusst, dass wir nicht ewig auf ruhiger See segeln werden. Der erste Freund, der erste Rausch, das erste Tattoo, der erste Liebeskummer – die Zukunft hält sicher noch einige Böen bereit. Aber im Moment geniessen wir dieses Luftholen und tanken Kraft für mögliche kommende Stürme. Teenager sind besser als ihr Ruf.

Ist dieser Artikel lesenswert?

Ja
Nein

Kommentare (0)

Neuen Kommentar schreiben

Diese Funktion steht nur Abonnenten und registrierten Benutzern zur Verfügung.

Registrieren