Der Chef, der seine eigenen Mitarbeiter vergrault

Iris Fontana | 
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Mit dem neu konzipierten «Inclusion-Check» gelingt die betriebliche Inklusion noch einfacher. Bild: ZVG

Nichts ist so konstant wie der Wandel. Das gilt auch für eine ehrwürdige Institution wie die Altra, die die Integration von Menschen mit Behinderung in die Arbeitswelt fördert. Nach einem Monat Behinderten-Aktionstage fragen wir im Interview CEO Alain Thomann, was dieser Wandel für die Altra bedeutet. Weiter interessiert uns, wie Thomann die vielzitierte Behindertenrechts-Konvention (BRK) im eigenen Betrieb umsetzt und wir wollen mehr wissen über den in Zusammenarbeit mit der Universität St. Gallen entwickelten «Inclusion-Check», der die Integration von Menschen mit Behinderung in einer Firma erleichtern soll.

Nun liegt ein ganzer Monat voller Aktionstage für die Rechte von Menschen mit Behinderung hinter uns. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Alain Thomann: Leider konnte ich persönlich wenige der 60 Veranstaltungen besuchen, da wir selbst auch an den Aktionstagen involviert waren. Trotz der Tatsache, dass Schaffhausen ausserordentlich viele Aktionen durchführte, waren einige Anlässe sehr gut besucht. Dies freut mich ausserordentlich, denn mehr Aufmerksamkeit für dieses sehr wichtige Thema ist nötig. Dabei liegt das Problem darin begründet, dass vielen Menschen der persönliche Bezug zu Menschen mit Behinderungen fehlt. So sind sie verständlicherweise oft nicht wirklich informiert, wie deren Bedürfnisse aussehen.

Was für Massnahmen ergreifen Sie persönlich in ihren Betrieben, um die UNO-Behindertenrechtskonvention (BRK) umzusetzen?

Thomann: Wir setzen uns bereits seit vielen Jahren mit der Umsetzung der BRK auseinander. Im Zentrum der Konvention stehen Wahlfreiheit und Selbstbestimmung. Jeder Mensch hat eine angeborene Würde. Diese ist unantastbar. Es sollte selbstverständlich sein, dass Menschen mit Behinderungen frei entscheiden können, wo und wie sie leben und arbeiten möchten, wie wir anderen. Im Bereich Arbeit bieten wir eine geschützte Tagesstruktur an. Ausserdem erteilte uns der Kanton die Erlaubnis, Arbeitsplätze im allgemeinen Arbeitsmarkt zu vermitteln. Dies ermöglicht es uns, mit unseren Klienten zusammen herauszufinden, was ihre Wünsche und Bedürfnisse sind. Entscheidet sich eine Person für einen Eintritt in den allgemeinen Arbeitsmarkt, begleiten wir sie und suchen gemeinsam einen geeigneten Arbeitgeber und eine geeignete Arbeitsposition. Dies ist nur ein Beispiel von verschiedenen Massnahmen.

Wird denn auch kontrolliert, dass diese Massnahmen umgesetzt werden?

Thomann: Ja, vor einigen Jahren schufen wir einen Inklusionsrat. Dieser setzt sich zu zwei Dritteln aus Direktbetroffenen und zu einem Drittel aus unserem Fachpersonal zusammen. Seine Aufgabe ist es, uns als Geschäftsleitung aufzuzeigen, wo wir uns als Altra verbessern können und müssen. Ein Verbesserungsvorschlag war zum Beispiel, Informationen intern für alle verständlich zu verfassen.

Alain Thomann

Alain Thomann

Der 53-jährige Alain Thomann ist im Kanton aufgewachsen und lebt heute mit seiner Familie in Feuerthalen. Thomann ist gelernter Carosserie-Spengler und Automechaniker, arbeitete in der Fliegerei und absolvierte nebenbei Weiterbildungen und On-the-Job Trainings. Nach verschiedenen Stufen und Führungspositionen auch im Ausland, wechselte er vor rund zwölf Jahren zur Altra, zuerst als Bereichsleiter Industrie. 2015 übernahm er dann die Geschäftsführung von seinem Vorgänger, der in Pension ging.

Als Altra befinden Sie sich in einer speziellen Situation. Sie sind ein Chef, der seine eigenen Mitarbeiter vergraulen muss, indem sie diejenigen, die das wünschen, ermutigen, aus der geschützten Tagesstruktur in den ersten Arbeitsmarkt zu wechseln oder auch Bewohner vom betreuten Wohnen in eine eigene Wohnung. Sägen Sie quasi Ihren eigenen Ast ab?

Thomann: Von der Strategie her betrachtet, ja. Wir setzen die Forderungen der BRK konsequent um und schaffen Wahlmöglichkeiten, wo das Gegenüber selbst bestimmen kann, was stimmig ist. Das ist ein Paradigmenwechsel, der in den letzten Jahrzehnten stattfand. Heute stehen der Mensch und seine Wünsche konsequent im Fokus und nicht Bezugspersonen, die meinen zu wissen, was für Menschen mit Behinderungen gut ist. Wir arbeiten mit unseren Klienten auf Augenhöhe und erfahren so, was sie im Leben erreichen möchten und begleiten sie auf einem Teilstück ihres Weges in der von ihnen gewünschten Weise. Dabei stellen wir fest, dass nicht alle in den allgemeinen Arbeitsmarkt wechseln wollen. Zudem gibt es auch Personen, die wieder vom allgemeinen Arbeitsmarkt zu uns zurückkommen, da sie sich den geschützten Rahmen wünschen, wo sie keinem Druck ausgesetzt sind und Kollegen in vergleichbaren Situationen um sich haben. Ich habe deshalb keine Angst, dass die Altra einfach so verschwinden wird.

Forum Inklusion
Teilnehmer der Veranstaltung «Inclusions-Check & Erfahrungsaustausch für Unternehmen» am 6. Juni. Bild: ZVG
 

Am 6. Juni fand im Rahmen der Aktionstage eine Veranstaltung unter dem Titel «Inclusions-Check & Erfahrungsaustausch für Unternehmen» statt, an der Sie als Podiumsteilnehmer mit involviert waren. Worum ging es da?

Thomann: Letztes Jahr wurde uns an einer Verbandsveranstaltung der «Inclusion-Check» vorgestellt. Wir waren so begeistert, dass wir Wege suchten, diesen in Schaffhausen vorstellen zu können. Ich finde dabei insbesondere hoch spannend, dass gerade die Universität St. Gallen, die ja sehr wirtschaftsnah ist, zum Thema Inklusion forscht und die Grundlagen für den Check erarbeitete. Ihre Forschungsresultate zeigen auf, dass Inklusion wirklich einen messbaren Mehrwert für ein Unternehmen darstellt.

Innovationsfähigkeit Inklusion
Inklusive Teams sind Ideengeneratoren. Bild: ZVG
 

Daher sollte sich meiner Meinung nach jeder Arbeitgeber fragen, wie stark er dieses Potenzial in seinem Unternehmen schon nutzt. Und genau zur Beantwortung dieser Frage kann der «Inclusion-Check», der diesen Sommer auf den Markt kommt, sehr hilfreich sein.

Gesundheit Inklusion
Empfindet ein Mitarbeiter Zugehörigkeit, hat das positive Effekte auf seine Gesundheit. Bild: ZVG

 
Inklusions Quadranten
 Menschen mit Behinderung und solche ohne bewerten vier zentrale Fragen der Mitarbeiterzufriedenheit unterschiedlich. Die Werte von Menschen mit Behinderung liegen durchs Band tiefer, das heisst, es besteht noch Handlungsbedarf. Bild: ZVG

 

Was war die wichtigste Erkenntnis, die Sie von diesem Anlass mitgenommen haben?

Thomann: Dass man mit einer inklusiven Belegschaft ganz anders an Aufgaben herangeht, da man die Produkte oder Dienstleistungen, die man entwickelt, schon von Grunde auf so konzipiert, dass sie auch von jedem verwendet werden können. Das ergibt auch vom Entwicklungsprozess her Sinn. Eine solche Herangehensweise gelingt aber erst, wenn man die ganze Vielfalt, die wir in unserer Gesellschaft haben, in den Prozess involviert. Bei der Podiumsdiskussion zeigte sich zudem, dass Weltkonzerne wie Johnson & Johnson und Georg Fischer die Wichtigkeit dieses Themas schon lange erkannt haben. Johnson & Johnson beispielsweise hat den «Inclusion-Check» schon fast identisch in ihre normale Arbeitszufriedenheits-Umfrage integriert.

Studie HSG Inklusion
Eine hohe Inklusion hat direkten Einfluss auf die Leistung und das Wohlbefinden eines Mitarbeiters. Bild: ZVG
 

Wenn eine gestresste Führungskraft nun das Thema angehen will, sie aber der Zeitfaktor oder das mangelnde Wissen ängstigt. Was kann sie tun? Gibt es Anlaufstellen?

Thomann: In einem solchen Fall kann man uns gerne kontaktieren. Wir kommen ins Unternehmen, stellen unsere Modelle vor und erklären, worum es geht und welche Inklusions-Möglichkeiten genutzt werden können. So kann ein Unternehmen – wenn die Offenheit vorhanden ist – quasi risikofrei eine Zusammenarbeit mit Menschen mit Behinderungen testen. Ausser uns gibt es zudem noch viele weitere Akteure bei Stadt und Kanton, die man ansprechen kann. Auch die Invalidenversicherung und die Behindertenkonferenz helfen gerne weiter.

Was ist Ihr Wunsch für die Zukunft?

Thomann: Noch mehr Offenheit von Arbeitgebern und der Gesellschaft. Dass wir alle lernen, über unseren eigenen Tellerrand hinaus zu schauen. Tun wir das, sehen wir, dass jeder Mensch unterschiedlich ist. Jeder hat Ressourcen, welche entdeckt werden möchten. Wir alle sollten uns darauf fokussieren, was eine Person ausmacht und kann. Nicht jedoch, was sie vielleicht nicht kann. Es folgt die Erkenntnis, welche enorme, geballte Kraft um uns herum vorhanden ist.

Stiftung Altra Schaffhausen

Die Stiftung Altra hat sich auf die berufliche und soziale Integration von Menschen mit Behinderungen und anderen Benachteiligungen spezialisiert. Dabei bietet sie eine Vielzahl von Dienstleistungen und Unterstützungsmöglichkeiten an, unter anderem:

Arbeitsplätze: Geschützte Arbeitsplätze und Integrationsarbeitsplätze in verschiedenen Bereichen wie Industrie, Dienstleistungen, Handwerk und Gastronomie.

Ausbildung: Berufliche Ausbildungsmöglichkeiten und Begleitung Lernender in ihrer beruflichen Entwicklung.

Wohnangebote: Verschiedene Wohnformen für Menschen mit Unterstützungsbedarf, welche ein eigenständiges Leben ermöglichen.

Beratung und Unterstützung: Umfassende Beratung und Unterstützung in den Bereichen berufliche Integration, persönliche Entwicklung und Alltagsbewältigung.

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