«Vorurteile machen vieles unmöglich»

Iris Fontana | 
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Thomas Bräm, Cornelia Fischer (BKSH); Luana Schena (Initiativ-Komitee) und Roland Studer (Blinden- & Sehbehindertenverband) (v. l.) planten eine grosse Unterschriftensammlung mit Behindertenorganisationen im Mai. Diese musste jedoch wegen des schlechten Wetters verschoben werden. Bild: Roberta Fele

Behindertensession in Bern, Lancierung einer Inklusionsinitiative – im Bereich der Integration von Menschen mit Behinderungen tut sich etwas. Was bedeutet das für die Wirtschaft? Wo sind die Grenzen der Inklusion im Berufsalltag, wie soll man einen Mitarbeiter mit einer Behinderung bewerten und was tun, wenn man als Unternehmen mit dem Thema überfordert ist? Wir fragen nach bei Cornelia Fischer, Geschäftsstellenleiterin der Behindertenkonferenz Schaffhausen. Sie macht sich für die Inklusionsinitiative stark.

Auf einer Skala von eins bis zehn, wo steht Schaffhausen bezüglich Inklusion im interkantonalen Vergleich?

Cornelia Fischer: Für mich liegt Schaffhausen im Mittelfeld. Einerseits gibt es gerade im Arbeitsbereich einige Akteure, die die Inklusion wirklich leben. Daraus ist auch die IG Inklusion Schaffhausen hervorgegangen. Andererseits gibt es Kantone wie Zürich oder Basel, die viel mehr finanzielle und damit auch personelle Ressourcen zur Verfügung haben und uns vorausgehen. Wir haben noch viel Arbeit vor uns.

Sie unterstützen die auf nationaler Ebene lancierte Inklusionsinitiative: Was wird im Bereich Arbeit gefordert?

Fischer: Die Inklusionsinitiative will grundsätzlich mehr Assistenz, damit Menschen mit Behinderungen vollumfänglich am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Das bezieht den Arbeitsbereich mit ein. Eigentlich fordert die Initiative nur ein, was im Behindertengleichstellungsgesetz und in der von der Schweiz unterzeichneten UN-Behindertenrechtskonvention (UN BRK) festgehalten ist. Mit der Initiative sollen diese Anliegen ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt werden und mit konkreten Aktionsplänen wollen wir bei der Umsetzung helfen. Angedacht sind Projekte mit Einbezug von Betroffenen, in welchen verschiedene Bereiche konkret gemäss UN BRK angegangen werden. Im Moment sind wir jedoch noch in der Gesprächsphase mit dem Kanton.

Gerade kleinere Unternehmen arbeiten mit knappen Ressourcen und haben selten einen Sachverständigen für Inklusion zur Verfügung. Verstehen Sie, dass man unter solchen Umständen eher zurückhaltend ist, einen Menschen mit Behinderung einzustellen?

Fischer: Ja, ich kann mir gut vorstellen, dass die Unsicherheit viele Arbeitgeber abschreckt. Aber ich bin überzeugt, dass sie – wagen sie den Schritt – sehr oft vom Engagement und der Wertschätzung ihres neuen Mitarbeiters begeistert sind. Wir bekommen viel Feedback von Firmenverantwortlichen, die diesen Schritt als äusserst lohnenswert empfinden. Oft agieren sie dann gar als Multiplikatoren. Ich glaube: Wenn der Wille vorhanden ist, findet sich auch ein Weg.

Klingt ein bisschen pauschal.

Fischer: Nein, es braucht manchmal wirklich nicht viel. Vielleicht müssen bestehende Arbeitsprofile teilweise etwas angepasst werden, dies kann aber auch eine grosse Chance sein, Prozesse neu zu denken. Dabei können gerade kleine Betriebe aufgrund ihrer Agilität und Strukturen Menschen mit Behinderungen oft einfacher integrieren. Und die Firmen werden ja in diesem Prozess nicht allein gelassen.

Wie sieht heute in solchen Fällen die Unterstützung aus?

Fischer: In Schaffhausen wurde explizit für die Unterstützung von Firmen in diesem Prozess die IG Inklusion gegründet. Sie will Arbeitgeber bei allen offenen Fragen und auch konkret im Betriebsalltag unterstützen, damit sie Inklusion so einfach wie möglich leben können. Sie besteht aus einer Gruppe erfahrener Unternehmer aus verschiedenen Branchen, die Menschen mit Behinderungen in ihrem Betrieb angestellt haben oder aus dem Arbeitsvermittlungsbereich kommen. Ein Telefonanruf reicht und ein Jobcoach kommt vorbei und zeigt praktisch auf, was im Betrieb an Anpassungen nötig ist. Auch gibt es in Schaffhausen den Personalvermittler mitschaffe.ch, welcher explizit Menschen mit Behinderungen an Firmen vermittelt und diese damit von allen administrativen Hürden befreit.

… und wie sähe die Unterstützung im Arbeitsbereich nach Annahme der Initiative aus?

Fischer: Wo die Inklusion an fehlenden Geldern scheitert, wäre bei Annahme der Initiative die zuständige Behörde verpflichtet, Gelder dafür zu sprechen. Sei dies im Bereich Infrastruktur, zum Beispiel zur Erstellung eines barrierefreien Zugangs, oder beispielsweise durch die finanzielle Entschädigung eines Assistenten, der als Hilfe zum Dolmetschen oder zur Terminbegleitung benötigt wird.

Wer soll diese Unterstützung bezahlen?

Fischer: Die Gelder würden von Bund, Kantonen und Gemeinden bezahlt, das heisst vom Steuerzahler, der damit seinen Beitrag zur Gleichberechtigung leistet. Zahlen zeigen, dass rund 20 Prozent der Menschen in unserem Land mit einer Behinderung leben – das Thema betrifft also viele und nicht wenige.

Sehen Sie Grenzen der Inklusion in der Wirtschaft?

Fischer: Ich sehe vor allem Grenzen, die von aussen gesetzt werden oder wenn Betroffene an ihre individuellen Grenzen stossen. Zudem machen Vorurteile Vieles unmöglich, das im Einzelfall einfach hätte gelöst werden können.

Ist die Inklusion beim Staat eigentlich weiter vorangeschritten als in Privatunternehmen?

Fischer: Ich glaube nicht, dass der Staat in diesem Bereich weiter ist. Ich vermute vielmehr, dass Privatunternehmen agiler sind und schneller handeln. Letztlich ist meist die Haltung des Arbeitgebers entscheidend, unabhängig davon, ob es sich um den öffentlichen Sektor oder die Privatwirtschaft handelt.

Ist es nicht ein grundlegendes Dilemma, dass man für alle das Gleiche fordert, es aber doch ganz offensichtlich Unterschiede gibt? Nicht jeder kann gleich viel leisten…

Fischer: Es gibt überall individuelle Unterschiede, sei dies bei der Arbeit, in einem Verein oder der Familie. Was für den einen selbstverständlich ist, muss dem anderen vielleicht bewusst vermittelt werden. Einige sind totale Teamplayer, während manche lieber in Ruhe am Einzelarbeitsplatz arbeiten würden und kein Team um sich bräuchten. Jeder Mensch sollte es wert sein, dass er als Individuum gesehen und wertgeschätzt wird.

Und in diesem Zusammenhang: Welchen Leistungsmassstab darf man als Unternehmen an einen behinderten Menschen setzen?

Fischer: Ich fände es nicht richtig, wenn ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer mit Behinderung kein Leistungsmassstab vorgeben und seine Leistung nicht überprüfen würde. Auch sollte ein Bewertungsgespräch unbedingt ehrlich geführt werden. Ich bin überzeugt, dass Menschen mit Behinderungen keine schlechteren Leistungen erbringen, wenn sie die nötige Assistenz und Rahmenbedingungen erhalten, die sie brauchen. Menschen mit Behinderungen fordern nicht, dass sie ohne Leistung entlohnt werden, sondern sie wünschen sich Barrierefreiheit und die Chance auf einen Arbeitsplatz ihrer Wahl.

Cornelia Fischer

Cornelia Fischer

Cornelia Fischer hat eine kaufmännische Lehre sowie die Höhere Fachschule Wirtschaft abgeschlossen und eine Ausbildung zur Pflegefachfrau DNII mit Schwerpunkt Psychiatrie absolviert. Sie lebt mit ihrer Familie in Neunkirch. Mit Menschen mit Behinderung ist sie als Tochter und Mutter direkt konfrontiert.

Behindertenkonferenz Schaffhausen (BKSH)

Die BKSH ist eine Dachorganisation von und für Menschen mit Behinderungen, deren Organisationen und Institutionen im Kanton Schaffhausen. Sie verfügt über eine Leistungsvereinbarung mit dem Kanton, um die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung zu stärken. Dabei bündelt und bringt sie die Anliegen von rund 30 verschiedenen Behindertenorganisationen ein, um gesamtheitliche Lösungen für all die unterschiedlichen Bedürfnisse zu erarbeiten und im Austausch mit den Behörden umzusetzen.

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