Das bedeutet der tiefe Mindestzins

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Bei den Pensionskassen erhalten Beitragszahler auf ihre Ersparnisse ab nächstem Jahr nur noch ein Prozent Zins. Trotzdem ist das staatlich verordnete Sparen besser als sein Ruf.

VON RAINER RICKENBACH

Als herauskam, dass der BVG-Mindestzins im kommenden Jahr von 1,25 Prozent auf 1 Prozent sinkt, war in den einschlägigen Internetforen die Hölle los. Die aufgebrachten Kommentatoren liessen kein gutes Haar an der zweiten Säule, die Pensionskassen und der Bundesrat sahen sich einer Kollektivschelte ausgesetzt. «Abbauen, abbauen, abbauen … Wenn das Sparen nicht mehr rentiert, schafft doch das Rentensystem gleich ab», ärgerte sich zum Beispiel ein Beitragsschreiber und brachte damit die Stimmung der ­Forumsgemeinschaft auf den Punkt.

Dabei hätte es noch schlimmer kommen können. Denn in der politischen Kommission, die dem Bundesrat jedes Jahr vorschlägt, zu welchem Satz die Pensionskassen die gesetzlichen Ersparnisse der Versicherten im Minimum zu verzinsen haben, lag auch der Vorschlag mit einer Mindestverzinsung von einem kümmerlichen halben Prozent auf dem Tisch. Kommission und Bundesrat entschieden sich dann aber doch für 1 Prozent.

Früher mehr als doppelt so viel

Wie wirkt sich das Viertelprozent weniger Zins aus? Einem 55-jährigen Mann mit einem Bruttojahreslohn von 110 000 Franken und einem Sparkapital von 250 000 Franken entgeht bis zu seiner Pensionierung im Alter von 65 Jahren eine Zins- und Zinseszinsdifferenz von 6912 Franken. Umso viel weniger wächst zinsbedingt sein Kapital in seinen zehn letzten Arbeitsjahren, wenn die Mindestverzinsung bei durchschnittlich 1 Prozent bleibt. Auf die ­Altersrente hochgerechnet würde das 415 Franken weniger Rente im Jahr bedeuten, dies bei einem Umwandlungssatz gemäss Rentenreform von 6 Prozent.

Der 55-Jährige hat als junger Mann immerhin noch Zeiten erlebt, als sein Pensionskassenkapital mit mindestens 4 Prozent und später lange mit deutlich mehr als 2 Prozent verzinst wurde (siehe Grafik). Von solchen Werten können die Jüngeren heute nur träumen. Die Vorsorgeexperten der Pensionskasse Libera haben für unsere Zeitung einen Zinsvergleich eines 35-Jährigen im Jahre 1995 und heute erstellt. Beide haben einen Jahreslohn von durchschnittlich 70 000 Franken und begannen im Alter von 25 Jahren, in die zweite Säule einzuzahlen. Der Versicherte mit dem Sparkarriere-Start vor 31 Jahren erhielt in den ersten zehn Beitragsjahren satte 6294 Franken Zinsen gutgeschrieben. Der Jüngere mit Beitragsbeginn 2007 wird Ende Jahr nicht einmal halb so viel, nämlich 2881 Franken Zinsen auf seinem Vorsorgekonto haben. Macht eine Differenz von 3413 Franken, die dem Jüngeren fehlen und für die in den weiteren 30 Arbeitsjahren kein Zinseszins herausschauen wird.

Die Frage drängt sich daher auf: Lohnt sich die zweite Säule für die Jungen überhaupt noch bei diesen tiefen Zinsen? Zumal sich am Zeithorizont keine schnelle Zinswende abzeichnet? «Ja, es lohnt sich», sagt Jérôme Cosandey, Vorsorgespezialist bei Avenir Suisse und sonst durchaus nicht abgeneigt, das starre Konstrukt der zweiten Säule zu kritisieren. Abschaffen möchte er sie indes nicht. «Man darf nicht ­allein den Mindestzins sehen. Der Realzins ist massgebend», sagt Cosandey. Beim Realzins wird die Teuerung berücksichtigt, und die lag im vergangenen Jahr bei –1,3 Prozent. Kombiniert mit dem damals gültigen BVG-Mindestzins von 1,25 Prozent schaute immerhin ein Realzins von mehr als 2,5 Prozent heraus. «Das ist gleich viel wie im Jahr 2000, als die Mindestverzinsung zwar bei vier Prozent, die Teuerung aber bei anderthalb Prozent lag. Was nützen hohe Nominalzinsen, wenn die Inflation sie real stark reduziert?», sagt Cosandey und beantwortet die rhetorische Frage gleich selbst: «Gleich wenig, wie wenn die Lohnerhöhung vier Prozent beträgt und die Lebenshaltungskosten um fünf Prozent nach oben schnellen.»

Die Inflation nimmt denn auch ziemlich viel vom Glanz des hohen Zinses, den unser Beispielsparer in den Jahren 1985 bis 1995 eingefahren hat. Zwar wurde sein BVG-Guthaben in dieser Zeit zu stolzen 4 Prozent verzinst. Doch die Inflation summierte sich in diesem Zeitraum auf einen Jahresdurchschnitt von 2,9 Prozent. Der Realzins lag in dieser Hochzinsphase mit 1,1 Prozent also sogar deutlich tiefer als heute.

Denise Thommen von den Libera-Vorsorgeexperten ist überzeugt, junge Beitragszahler sparten auch aus andern Gründen heute nirgendwo sonst lukrativer als bei ihrer Pensionskasse. «Ein Prozent Zins gibt es auf keinem Bank-Sparkonto, und bei den anderen Sparprozessen steuert der Arbeitgeber auch nicht die Hälfte dazu bei», sagt sie. Hinzu kämen die Kapitalsicherheit und die soziale Absicherung, welche die Kassen in den Versicherungsfällen ­Alter, Tod oder Invalidität bieten, sagt Thommen.

Nachteil hohe Umwandlungssätze

Die jüngeren Beitragszahler würden nicht durch die tiefe Mindestverzinsung, sondern durch die hohen Umwandlungssätze für die Rentner benachteiligt, sagt Cosandey von Avenir Suisse. «Jedes Jahr fliessen mehrere Milliarden Franken der Pensionskassen-Renditen in die Renten anstatt auf die Vorsorgekontos der Beitragszahler. Mit der Reform 2020 des Bundesrates sinkt zwar der für die Rentenhöhe massgebende Mindest- umwandlungssatz von 6,8 Prozent auf 6 Prozent. Doch das genügt wahrscheinlich nicht, um der Umverteilung von Jung zu Alt Einhalt zu gebieten», sagt Jérôme Cosandey.

Viele Kassen mit hohem Standard haben darum über ihren überobligatorischen Bereich schon vor Jahren damit begonnen, den Umwandlungssatz auf mehr oder weniger deutlich unter 6 Prozent zu senken. «Das ist notwendig, um den wahren Rentenklau einzudämmen: Er vollzieht sich zwischen Beitragszahlern und Rentnern. Das ist nicht der Fehler der Rentner, denn die Pensionskassen hatten sie mit zu hohen Rentenversprechen in den Ruhestand geschickt.

Wohneigentum: Als Anlagealternative eignen sich bei niedrigen Zinsen Immobilien sehr gut

Tiefe Zinsen machen einen Vorbezug von Pensionskassenkapital in zweierlei Hinsicht attraktiv: Zum einen verspricht eine eigene Immobilie eine bessere Rendite. Zum andern ist die Finanzierung günstig. Trotz der einschränkenden Finanzierungsregeln des Bundesrats sind Vorbezüge für den Kauf der eigenen vier Wände nach wie vor weitverbreitet.

«Bei den heutigen Hypothekarzinsen ist ein Immobilienkauf sicher interessant. Ob die Immobilienpreise nach dem Kauf aber immer steigen, ist nicht sicher. Es gibt keine Garantie auf höhere Rendite», sagt Denise Thommen von den Libera-Experten. Wer Vorsorgegeld vorbezieht, müsse immer die Renteneinbusse vor Augen halten, die das mit sich bringe, und auch in der Lage sein, sich das Wohneigentum leisten zu können, wenn die Hypothekarzinsen auf 5 Prozent klettern. ­Jérôme Cosandey von Avenir Suisse warnt vor einem Klumpenrisiko. «Natürlich lässt sich mit einer gut gelegenen Eigentumswohnung eine starke Rendite erzielen. Doch: Bei einem Vorbezug hat man einen wichtigen Teil des Vorsorgevermögens in ein einziges Objekt investiert.» Bei der Pensionskasse hingegen sei das Spargeld sehr breit angelegt. Sollte eine Immobilienblase platzen, bekomme das der Versicherte im Gegensatz zu vielen Wohneigen- tümern kaum zu spüren.(rr)

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