Jugendliche engagieren sich mit Videos gegen Internet-Dschihadisten

Anna Kappeler | 
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Ein Präventionsprojekt des Bundes gegen Radikalisierung ist online – die Resonanz noch ungewiss.

Ein furchterregend aussehender Muskelprotz gibt seiner Freundin eine schallende Ohrfeige. Er verbietet ihr, mit Freunden in den Ausgang zu gehen. Sie ist sichtlich verängstigt, zwei anwesende Freunde sind überfordert. Die Situation ist angespannt, droht zu eskalieren. Dann gibt sich einer der Freunde einen Ruck, schreitet ein, er dürfe sie nicht schlagen. Und sagt zum Muskelprotz: «Komm doch einfach mit in den Ausgang.»

Die Szene stammt aus einem gezeichneten Kurzvideo des Projekts Winfluence aus Winterthur. Der Clip steht seit Kurzem online und gehört zu einem von vier vom Bund mitfinanzierten Pilotprojekten gegen die Radikalisierung im Netz. Das Ziel: Jugendliche sollen ihre Altersgenossen von Extremismus abbringen. Und zwar dort, wo diese viel Zeit verbringen: im Netz. Passieren soll das in der Sprache der Jugendlichen selber, zum Beispiel mit ­Videos, welche problematisches Verhalten thematisieren und diesem dann positive ­Alternativen gegenüberstellen.

Verantwortlich für diese Videos ist die ­Jugendinfo Winterthur in Kooperation etwa mit der Winterthurer Fachstelle Extremismus und Gewaltprävention. «Nachweislich werden viele Jugendliche online mit islamistischem Gedankengut radikalisiert oder für den Dschihad rekrutiert», sagt Rafael Freuler, Geschäftsführer der Jugendinfo Winterthur. Das Projekt wird nicht zufällig in Winterthur realisiert, gilt die Stadt wegen ihrer umstrittenen An’Nur-Moschee doch als Hotspot für Islamisten. Aus deren Umfeld sind mehrere Jugendliche in den Dschihad gezogen. Freuler zum Clip: «Radikalen Gruppen ist typisch, dass sie Männer und Frauen prinzipiell nicht gleichberechtigt behandeln.»

«Wünschen uns mehr Diskussion»

Freuler ist mit den ersten vier Clips «sehr zufrieden», ein fünfter soll folgen. Diese wurden zudem auch auf Facebook, Youtube und Instagram veröffentlicht. Die Aussagen darin haben die Jugendlichen laut Freuler in einem Improvisations-Theaterprojekt selbst entwickelt. «Es ging darum, herauszuarbeiten, wie wir eine radikalisierte Gruppe oder Person erkennen können. Und was wir dagegen tun können, wenn wir ein solches Verhalten beobachten», sagt Freuler.

Klingt gut. Doch wie gross ist die Resonanz darauf? Schauen sich die Jugendlichen die Clips überhaupt an? Ein Blick auf Instagram zeigt, dass ein Clip, welcher seit sieben Tagen online ist, 2539-mal aufgerufen wurde. Freuler: «Die Rückmeldungen waren gut, aber wir würden uns noch etwas mehr Diskussion wünschen.» Man versuche nun, auf Social Media stärker den Dialog zu fördern.

Die Videos sind zudem auch diskret integriert in einer App mit verschiedenen Jugendthemen – etwa Anreize zur Sackgeld-Aufbesserung. «So kommen die Inhalte ans Zielpublikum», sagt Freuler. Denn negativ konnotierte Themen wie Dschihad allein würden sich Jugendliche nicht als App herunterladen.

Persönliche Schilderungen

Das zweite Projekt #positivislam ist ein Blog für Muslime und Nichtmuslime mit Artikeln zum Thema Alltagserfahrungen. Die Beiträge – man findet sie unter diesem Namen auch auf Facebook – werden von jungen Erwachsenen auf Französisch und Italienisch verfasst. Ein Blogger etwa schildert auf ganz persön­liche Weise seine täglichen Herausforderungen als Muslim. Manchmal sei es schwierig, seine eigenen Überzeugungen mit denen von aussen oder der Familie übereinzubringen. Er kommt zum Schluss, dass es den einen Islam nicht gebe, sondern jeder seine eigene Interpretation des Glaubens finden müsse. Ver­antwortlich für diese Pilotprojekt ist die Uni Freiburg, Mitarbeiter Federico Biasca sagt: «Unsere Blogger können die Themen, die sie diskutieren möchten, frei wählen.» Es sei wichtig, dass sie sich zu Themen aus ihrer subjektiven Erfahrung äusserten. Die Blogger studieren an der Uni Freiburg sowie an anderen Unis in der Welschschweiz und im Tessin. Das Projekt ist laut Biasca gut angelaufen. Doch auch er räumt ein: «Um ihm noch mehr Resonanz zu verleihen, ist noch viel Werbearbeit nötig», sagt Biasca.

Noch nichts veröffentlicht wurde bei den beiden anderen Projekten #knowislam und #swissMuslimstories, die Phase der Umsetzung dauert denn auch noch bis Ende Jahr.

Kosten des Bundes: 120 000 Franken

Die Pilotprojekte kosten den Bund rund 120 000 Franken, noch einmal so viel Geld sollen die vier Projekte selbst auftreiben. Lohnt sich das? Ja, sagt Projektleiterin Colette Marti von der Nationalen Plattform Jugend und Medien, die zum dafür zuständigen Bundesamt für Sozialversicherungen gehört. «Wenn auch nur ein Fall der Radikalisierung verhindert werden kann, hat sich der Aufwand gelohnt», sagt Marti.

«Daraus, wie gut die Projekte ankommen und auf wie viel Resonanz sie stossen, können wir noch keine Schlüsse ziehen.» Das wäre zu früh. Die Projekte werden laut Marti von einem Wissenschaftlerteam begleitend evaluiert. «Das Ziel ist, am Ende zu wissen, was bei welchem Pilotprojekt funktioniert hat und was eben nicht», sagt Marti. Der Evaluationsbericht wird im Mai 2019 im Stade de Suisse vorgestellt.

Nationaler Aktionsplan

Radikalisierung möglichst früh erkennen und bekämpfen: Dies ist das Ziel des Nationalen Aktionsplans zur Verhinderung von Radikalisierung und gewalttätigem Extremismus (NAP), den Bund, Kantone, Städte und Gemeinden Ende 2017 ver­abschiedet haben. Der Bund setzt dafür in den nächsten fünf Jahren fünf Millionen Franken ein. Der ­Bundesrat hat die ­dafür nötige Verordnung im Mai erlassen. Die im Artikel beschriebenen Projekte sind Teil des NAP.

 

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