«Freiwild» Schiedsrichter: Der Feind auf dem Fussballfeld?

Gewalt gegen Schiedsrichter kennt man auch in der Region - und selbst FC Schaffhausen-Profis müssen eingestehen: Der Mann mit der Pfeife wird manchmal zu hart angegangen.
Gewalt gegen Schiedsrichter: Das sagen Profis vom FC Schaffhausen
Hélios Sessolo,
FC Schaffhausen
Danilo Del Toro,
FC Schaffhausen
Arjian Qollaku,
FC Schaffhausen
Interviews: Ronny Bien, Stadionsprecher FC Schaffhausen
Es sind deutliche Worte, welche Marcel Vollenweider, Zentralpräsident des Schweizerischen Schiedsrichterverbandes (SSV), in der aktuellen Ausgabe des Magazins seines Verbandes findet: «Wenn wir Unparteiischen aber in den Fokus von Berichterstattungen rücken, weil einzelne Kameraden bei einer Spielleitung bedroht, bespuckt, beschimpft oder - ganz ungeheuerlich - auch auf dem Spielfeld bedrängt und bis in die Garderoben verfolgt werden, […] dann sollten die Alarmglocken bei allen Parteien Sturm läuten.» Der Kommentar, aus dem dieser Satz stammt, trägt den Titel: «Die Jagdsaison ist eröffnet: Schiedsrichter als Freiwild?».
Gewalt gegen Schiedsrichter ist leider keine Seltenheit mehr. Vor einigen Monaten musste bei einem 2. Liga-Spiel der Schiedsrichter die Polizei rufen, da Spieler der Heimmannschaft nach einer 2:3 Niederlage die Tabellenführung verlor und ihn und seine Assistenten massiv bedrohten.
Letzten Monat wurde ein Schiedsrichter bei einem Kreisligaspiel in Deutschland so schwer verletzt, dass er danach mit dem Helikopter in die Klinik geflogen werden musste. Verdacht: Schädel-Hirn-Trauma.
Auch in der Region kam es bereits zu Gewalt gegen die Unparteiischen: 1996 wurde ein Schiedsrichter von einem Spieler des FC Feuerthalen spitalreif geprügelt. Der Spieler wurde lebenslang gesperrt.
Gewalt gegen Schiedsrichter ist ein Problem, welches nicht neu ist, aber sich mittlerweile durch häufende Vorfälle immer mehr in das Gedächtnis der Öffentlichkeit drängt. Für viele ist klar: Ein Problem sollen die «schlechten Vorbilder» im Profibreich sein - diese zeigen sich dabei teilweise überraschend ehrlich, was ihr eigenes Fehlverhalten angeht.
Fussball als Aggressionsabbau
Giuseppe Monserrato ist seit über 40 Jahren Schiedsrichter und gleichzeitig Präsident der Schiedsrichtergruppe Schaffhausen. In dieser langen Zeit hat er durchaus gemerkt, dass der Umgang mit den Unparteiischen schwieriger geworden ist, allerdings habe «sich ja auch das Verhalten abseits des Fussballplatzes grundlegend verändert». So sagt er: «Wir begegnen uns zunehmend respektloser und aggressiver, so dass die Sportplätze keine Ausnahme mehr bilden können.» Früher hätten Fussballspiele der Ertüchtigung gedient, heute sehe er den Wochenend-Kick bei Vielen immer mehr als Ventil zum «Agressions- und Stressabbau».
Sein Vize-Präsident, Ekrem Ince, bringt es auf den Punkt: «Der Respekt gegenüber Schiedsrichtern hat in den letzten Jahren sehr abgenommen.»
Aber woher kommt diese Verrohrung gegenüber den Unparteiischen? Eine mögliche Erklärung sieht Ince im Umgang der Profis mit dem Referees: «Dies hat vielleicht einen Zusammenhang, dass die Profis sich auch immer mehr und mehr erlauben, wie zum Beispiel reklamieren und Ähnliches», so Ince.
Das Reklamieren gehöre aber in gewisser Weise dazu, sagt einer, der selbst Fussballprofi ist: Hélios Sessolo, Stürmer beim FC Schaffhausen. Dieser ist sehr offen, was seinen Umgang mit den Unparteiischen angeht: «Die Emotionen sind einfach da.» Wenn demnach gefühlt nicht fair gegen den eigenen Verein laufe, dann würde man «auch mal auf den Schiri losgehen», so Sessolo. «Das liegt daran, dass wir einfach gewinnen wollen», erklärt er dieses Verhalten.
Das bedeutet jedoch nicht, dass er Gewalt in irgendeiner Form billigen würde. «Man kann mit ihnen reden, aber irgendwo muss man eine Grenze ziehen.»
Diese Grenze verschwimme jedoch immer mehr, sagt auch sein Teamkollege Arijan Qollaku, Verteidiger beim FCS. «In den Amateurligen werden Schiedsrichter eher als Kumpel denn als Respektsperson angesehen.» Die Rolle, die man als Profi einnimmt und wie man sich gegenüber Schiedsrichtern zu verhalten habe, sei hingegen klar. «Man muss sich dort einfach zusammenreissen.»
Hélios Sessolo erinnert gleichzeitig aber daran: «Hin und wieder wird auch bei den Profis übertrieben.» Das sei laut dem 26-Jährigen aber darin begründet, dass im Profi-Bereich, noch mehr als in den Amateurligen, der Wunsch zum Sieg da sei. Wenn es dann nicht klappe, «dann sucht man manchmal einen Schuldigen und meistens ist es der Schiedsrichter.»
Die Macht, Spiele zu entscheiden
Das kommt nicht von ungefähr, denn Schiedsrichter können mit ihrem Pfiff ganz Spiele verändern. Hätte der Schweizer Gottfried Dienst 1966 im Wembley-Stadion im Spiel England gegen Deutschland in der 101. Minute den englischen Treffer zum 2:1 nicht gegeben – wäre England später Weltmeister geworden? Heute weiss man: Der Schiri lag mit seiner Einschätzung, dass es ein Tor war, falsch - und bis heute ist das sogenannte «Wembley-Tor» ein Synonym für Fehlentscheidungen.
Was wäre geschehen, wenn der tunesische Schiedsrichter Ali Ben Nacur 1986 beim Spiel Argentinien gegen England das 1:0 von Diego Maradona mit einer verdienten roten Karte wegen absichtlichem Handspiel geahndet und das Tor aberkannt hätte? Der frühere Nationaltrainer von Argentinien sagte nach dem Spiel über seinen «Treffer»: «Es war ein bisschen Maradonas Kopf und ein bisschen die Hand Gottes.» 2005 gestand er ein, dass es ein Handspiel war.
Wäre der FC Schaffhausen 2000 in die 1. Liga abgestiegen, wenn Schiri Giancarlo Gelsomino beim Spiel FC Schaffhausen gegen YB Bern erkannt hätte, dass FCS-Towart Nicolas Beny in der 66. Minute den Ball gespielt und nicht wie der Referee dachte, seinen Gegenspieler Deniz Mendi im Strafraum abgeräumt hatte?
Als Folge gab es damals einen 11-Meter. Die Berner trafen, der FC Schaffhausen verlor und konnte sich nicht mehr aus eigener Kraft gegen den Abstieg wehren. Am Ende der Saison ging es eine Spielklasse runter.

Zugegeben, dass sind ein paar sehr heftige Fehltentscheidungen. Dass solche dann auch die Emotionen hochkochen lassen, ist wenig überraschend. Es zeigt aber auch, wie viel «Macht» ein Schiedsrichter letztlich hat. FCS-Verteidiger Arijan Qollaku sieht jedoch darin keinen Grund, gegen einen Unparteiischen vorzugehen. «Natürlich ist man wütend bei einer Fehlentscheidung. Aber wenn der Schiri pfeift, dann muss man das akzeptieren – und weitermachen.»
Früh übt sich...
Das fällt, vor allem in den unterklassigen Ligen, vielen schwer, wie sich zum Beispiel Ekrem Ince erinnert: «Als ich Neuschiedsrichter war, pfiff ich mal ein ein B-Junioren-Freundschaftsspiel.» Demnach wurde Ince 90 Minuten lang vom Trainer einer der beiden Mannschaften von der Seitenlinie aus angeschrien, was sich natürlich auch auf seine Junioren übertrug. Ince verteilte mehrere gelbe Karten, aber die Situation beruhigte sich nicht, im Gegenteil: «Nach dem Spiel hat mir der Trainer sogar noch eine SMS geschrieben.» Was dort drinstand, wollte er nicht sagen.
Damit war die Geschichte allerdings noch nicht vorbei: Als er später ein Spiel der Aktiv-Mannschaft des gleichen Vereins pfiff, wurde er während des Spiels, wie auch auf dem Weg zur Umkleidekabine, teils heftig und primitiv beleidigt. «Einige Junioren hatten mich wieder erkannt», so Ince.
Auch Giuseppe Monserrato hat solche Erfahrungen gemacht: «Ich kann mich an einen Jugendtrainer erinnen, dessen einzige Aufgabe es schien, die Schiedsrichterentscheidungen als falsch darzustellen und seine Junioren gegen uns aufzustacheln.» Wenig überraschend übertrug sich dieses auch auf seine Spieler. «Welche Lehren soll ein Kind respektive ein Jugendlicher aus solch einem Verhalten ziehen?»
So würden Respektlosigkeiten mittlerweile bereits im Jugend- und sogar im Bambini-Bereich geben. Das läge jedoch nicht nur an den Kindern, sondern mehr an den Eltern. Giuseppe Monserrato: «Wir werden seltener von den Bambinis selbst, sondern mehr von den Eltern beleidigt.»
Das Problem von übermotivierten Eltern kennt auch Sead Ademi, Trainer der E-Junioren beim FC Schaffhausen. In einem früheren Gespräch sagte dieser: «Gerade bei unterklassigeren Mannschaften kann es vorkommen, dass die Eltern auch einmal aufs Spielfeld gehen.»
Fehlverhalten von den Eltern kennt auch Ekrem Ince: «Es gibt diverse Vorfälle, wo Eltern sich bestialisch verhalten haben.»
Oft genug seien dabei auch die Schiedrichter Ziel der Wut geworden. Manche Verbände haben deswegen bereits strenge Regeln eingeführt, wie sich Eltern während eines Spiels zu verhalten haben. Auch manche Trainer in der Region sind dort rigoros: Sead Ademini macht zum Beispiel den Eltern klar, während der Spiele am Samstag ist der die einzige Autoritätsperson, auf den die Kinder zu hören haben. «Da bin ich knallhart.»
Negativbeispiele wie oben zeigen jedoch, dass wohl nicht alle Trainer so denken.
Wenig Nachwuchs
Der mangelnde Respekt zieht sich dabei auch bei der Rekrutierung von Neuschiedsrichtern durch. «Es ist sicherlich nicht einfach, neue Schiedsrichter zu rekrutieren», sagt zum Beispiel Ekrem Ince. Das liegt laut Monserrato allerdings nicht nur am teilweise mangelnden Respekt, sondern auch an mit einem Schiedsrichter verbundenen Kosten: «Viele Schiedsrichter ‹verkaufen› sich an Vereine und erhalten neben den Spieltentschädigungen, die interessant sind, auch gleichzeitig noch Handgeld von Vereinen.»
Da dies zusätzliche Kosten sind, würden sich manche Vereine überlegen, ob sie einen Interessierten auf einen Referee-Lehrgang schicken.
Wenig Respekt, Stress und manchmal sogar Drohungen - trotzdem sagen beide Schiris: Wer einmal diese Aufgabe übernommen hat, der bleibt meistens auch dabei. «Erwähnenswert ist meiner Ansicht nach die Tatsache, dass es viele Schiedsrichter gibt, die bedauern, nicht früher mit diesem Hobby angefangen haben, nachdem sie festgestellt haben, dass so eine Spielleitung durchaus Spass und Freude machen kann», so Monserrato.
Trotzdem sind auch die negativen Erlebnisse, die zu so einem Amt gehören, für manche abschreckend. «Der Schiedsrichter geht auf den Platz, und will auch Spass haben», sagt Ekrem Ince. «Aber wenn man dann regelmässig ‹unten durch› muss, kann es einem schnell verleiden.»
Letztlich liege es an den Spielern ein Umdenken herbeizuführen, so Monserrato. «Spieler sind mehr ‹Ich-fixiert› und bedenken nicht, dass sie mit ihrem Verhalten eine Mannschaft oder einen Verein mit einer negativen Wahrnehmung beeinflussen.»
Ob es von dieser Seite ein Umdenken geben wird, ist fraglich. «Fussball hat seine eigene Sprache, seine eigene Kultur», ist Arijan Qollaku überzeugt.
Wie diese Sprache dann gesprochen und die Kultur gelebt wird, liege letztlich bei jedem Einzelnen.