«Unser Captain Lichtsteiner handelte absolut richtig und solidarisch»

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Der Präsident des SFV, Peter Gilliéron, hofft auf das Augenmass der Fifa bei der Beurteilung des Doppeladlers. Bild: Key

Der SFV-Präsident Peter Gilliéron spricht über drohende Sanktionen und Interpretationsspielräume.

von Sven Schoch

Zwei Tage nach dem aufwühlenden 2:1-Erfolg gegen Serbien nimmt SFV-Präsident Peter Gilliéron im Interview Stellung zur Doppeladler-Jubel-Debatte. Der Jurist befürchtet keine negativen Auswirkungen auf das Schweizer WM-Projekt. Er lobt die solidarischen Reaktionen aus dem Kreis der Mannschaft ausdrücklich und betont mehrfach die interne Ruhe.

Die Fifa hat gegen Granit Xhaka und ­Xherdan Shaqiri ein Verfahren eingeleitet. Was ist zu erwarten?

Mir ist kein vergleichbarer Fall bekannt. Deshalb ist es auch schwierig, ein Strafmass abzuschätzen. Ich bin überzeugt, dass die Fifa diese Verfahren mit Augenmass führen und beurteilen wird.

Wie würde Ihre Reaktion ausfallen, wenn der Weltverband das Duo sperrte?

Es wäre ein Hammerschlag, wenn sie tatsächlich gesperrt würden.

Der sogenannte Doppeladler-Jubel lässt ­extrem viel Interpretationsspielraum ­ offen – er reicht vom harmlosen Gruss bis zur ­Provokation der serbischen ­Kontrahenten.

Das ist ja die Krux in diesem Fall. Die Fifa wird entsprechend darauf bedacht sein, wie weit sie geht. In Zukunft müsste man dann jede einzelne Geste auf dem Rasen unter die juristische Lupe nehmen. Man wird sich die Frage stellen müssen, wohin ein entsprechendes Urteil führen würde.

Der serbische Coach Mladen Krstajic liess sich zur Aussage hinreissen, man müsste den deutschen Schiedsrichter der Partie gegen die Schweiz, Felix Brych, vor das ­UN-Tribunal in Den Haag stellen.

Ich habe von seinen Aussagen gehört. Sie haben mich sehr überrascht und enorm irritiert. Sie werden bei der Fifa ein Thema sein.

Wie fallen die Reaktionen auf die Doppel­adler-Debatte intern aus?

Ausserhalb des Teams wird bedeutend mehr Staub aufgewirbelt als innerhalb. Auf mich machen die Spieler einen ruhigen Eindruck. Ich deute das ebenfalls als Zeichen dafür, dass sie bereits wieder voll auf das Sportliche konzentriert sind und am Mittwoch alles dafür tun werden, die Schweiz in die WM-Achtelfinals zu führen.

Captain Stephan Lichtsteiner vollzog sofort den Schulterschluss mit seinen beiden Teamkollegen. Wie werten Sie seine Haltung?

Lichtsteiner hat super reagiert. Von ihm ging ein wichtiges und spontanes Zeichen betreffend Solidarität im Team aus. Unser Captain handelte absolut richtig.

Lenken die Diskussionen nun aber nicht vom Wesentlichen ab?

Meines Erachtens lässt sich niemand stören. Jeder ist total auf den Fussball fokussiert. Einen negativen Einfluss kann ich mir nicht vorstellen. Vielleicht rückt die Mannschaft sogar noch näher zusammen.

Welche Rückmeldungen erhalten Sie zum Image des Nationalteams?

Ich weiss, dass an Stammtischen von einer zusammengewürfelten Truppe schwadroniert wird. Aber grundsätzlich geniessen wir bei den Fans ein sehr gutes Image.

Wofür steht das Team?

Für Spielfreude, für angriffigen, erfolgsorientierten Fussball, für Leidenschaft. Wir spielen keinen Abwarte-Fussball. In dieser Mannschaft steckt viel Spektakuläres drin.

Ist die Betriebstemperatur der Equipe ­generell höher als früher?

Das Team hat Temperament. Und meistens setzt es diesen Wesenszug auch kanalisiert ein. Oft bringt uns diese temperamentvolle Art auf dem Feld etwas.

Ihr Coach träumt vom Viertelfinal – und Sie?

Ich traue der Mannschaft alles zu.

Konkreter?

Wir spielen hier die vierte WM in Folge. Im Sport sollte man immer einen Schritt weiterkommen. Aber am Ende geht es auch darum, das Turnier erhobenen Hauptes verlassen zu können. (sda)

Wegen Doppeladler-Jubel drohen Spielsperren

Am Samstagabend hat die Fifa ein Disziplinarverfahren gegen Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri eröffnet. Am Sonntag wurde die Untersuchung gegen Captain Stephan Lichtsteiner eingeleitet.

Der SFV habe gestern gegenüber dem Weltverband schriftlich Stellung genommen, wie Verbandspräsident Peter Gilliéron bekannt gab. Die Fifa prüft, ob die Jubelgeste von Xhaka,Shaqiri und Lichtsteiner mit den zum Doppeladler geformten Händen gegen Serbien eine Verletzung der Regeln darstellt.

Unter Regel 12 ist unter «Unsportliches Betragen» nachzulesen, dass der Torjubel «mit provozierenden, höhnischen und aufhetzenden Gesten» untersagt ist. Möglich wäre also zum Beispiel eine Sanktion wegen einer Provokation. «Wer während einer Partie die Zuschauer provoziert, wird mit mindestens zwei Spielsperren und einer Geldstrafe von mindestens 5000 Franken belegt», heisst es in Artikel 54 des Fifa-Disziplinarreglements. Der SFV würde «mögliche Reaktionen prüfen». Gemäss Gilliéron hätte ein Rekurs allerdings wohl keine aufschiebende Wirkung. Der SFV erwartet einen Entscheid der Fifa bis am Montag.

Ausdruck der Freude im Affekt

Es ist nicht das erste Mal, dass sich die Fifa-Disziplinarkommission mit dem SFV beschäftigt. Doch die Doppeladler-Jubelgeste ist mit scheinbar ähnlichen Fällen kaum zu vergleichen.

«Einen negativen Einfluss kann ich mir nicht vorstellen.»

Peter Gilliéron, Verbandspräsident SFV

1995 waren es Alain Sutter und ein paar Copains im Nationalteam, die vor einem Spiel in Schweden mit dem «Stop it, Chirac»-Banner gegen die Atomversuche Frankreichs in der Südsee protestierten. Neun Jahre später in Portugal hielt die Spuckaffäre um Alex Frei die (Fussball-)Schweiz in Atem. 2012 zeigte Ottmar Hitzfeld dem Schiedsrichter nach einem Spiel gegen Norwegen den Stinkefinger. Und nun ist der SFV wieder im Fokus der Sportjustiz.

Wenn es für den SFV nun darum geht, ähnliche Fälle aus der Vergangenheit zu suchen, findet er am ehesten den Stinkefinger von Ottmar Hitzfeld gegen den spanischen Schiedsrichter David Fer­nandez Borbalan 2012 nach dem WM-Qualifikationsspiel gegen Norwegen. Hitzfeld wurde für zwei Spiele gesperrt. Statt einer Ehrverletzung gegen den Schiedsrichter geht es im Falle der Jubelgesten von Xhaka, Shaqiri und Lichtsteiner eher um eine mögliche Provokation der Zuschauer.

Und wenn die Fifa diese Geste in einen politischen Zusammenhang bringt? Solche Fälle gab es auch schon. Der kroatische Verteidiger Josip Simunic hat im Anschluss an die erfolgreichen WM-Play-offs gegen Island über das Stadionmikrofon die Parole «Za Dom – Spremni!» gerufen. Dieser Ausruf «Für die Heimat – bereit!» ist umstritten, weil er auf einen Geheimbund zurückgeht, aus dem sich eine faschistische Bewegung entwickelte.

Die Strafe durch die Fifa fiel danach drakonisch aus. Wegen diskriminierenden Verhaltens und Anstiftung zur Fremdenfeindlichkeit wurde Simunic zu einer Sperre von zehn Pflichtspielen verurteilt. Ein Urteil, das später auch vom CAS in Lausanne bestätigt wurde.

Der albanische Doppeladler ist damit nicht zu vergleichen. Und eigentlich auch nicht mit dem Stinkefinger von Ottmar Hitzfeld. Aber ist er Ausdruck der Freude? Ein Gruss in die Heimat? Eine Provokation? Ein politisches Statement? Der SFV stellt sich vor die Spieler. Die zwei hätten im Affekt gehandelt, hiess es. (sda)

Bundesrätliche Rückendeckung

Sportminister Guy Parmelin und Aussenminister Ignazio Cassis haben die Jubelgesten in der «NZZ am Sonntag» verteidigt.

«Wer die aufgeladene Stimmung miterlebt hat, schätzt die Leistung der Schweizer Nati umso mehr und kann verstehen, wenn die Emotionen mit einem Spieler durchgehen», sagte Parmelin.

Aussenminister Cassis nannte die Mannschaft ein perfektes Beispiel für die Verschmelzung der Kulturen. «Ich zweifle nicht daran, dass man patriotische Emotionen für die Nation empfinden kann, die einen aufgenommen hat, ohne sein Heimatland zu vergessen», so der Bundesrat mit italienischen Wurzeln. (sda)

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