«Dann sind wir Indianer im eigenen Land!»

Mark Gasser | 
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Nationalrat Roger Köppel, Moderator Matthias Ackeret und Ständerat Daniel Jositsch (von links) in Feuerthalen. Bild: Mark Gasser

Die Selbstbestimmungs-Initative wurde bei einem poltischen Forum in Feuerthalen heiss zwischen Roger Köppel (SVP) und Daniel Jositsch (SP) diskutiert.

Historiker, Verleger und Nationalrat Roger Köppel (SVP) gegen Strafrechtsprofessor und Ständerat Daniel Jositsch (SP). Die Begegnung hielt, was sie versprach: Auf Einladung der SVP Feuerthalen und der SVP Bezirk Andelfingen waren die beiden Kontrahenten nach der Vorstellung der vier SVP-Kantonsratskandidaten für die Wahlen 2019 an der Reihe, um die Folgen einer Annahme beziehungsweise Ablehnung der Vorlage aufzuzeigen.

Hier Roger Köppel, der flammende Verfechter der SVP-Selbstbestimmungs-Initiative, über die am 25. November abgestimmt wird. Dort Daniel Jositsch, der Meister der juristischen Zwischentöne, der Köppel und seiner Partei gegen Ende der anderthalbstündigen Diskussion vorwarf, nicht mit offenen Karten zu spielen. «Wenn Sie die Europäische Menschenrechtskonvention kündigen wollen, dann lancieren Sie eine Volksinitiative gegen europäische Richter.» Vor vollem Saal im Schulhaus Stumpenboden blieb Moderator Matthias Ackeret kaum Raum, um Zwischenfragen zu stellen, geschweige denn (bis auf drei kurze Fragen) dem viel beschworenen Souverän.

«Es ist bald Weihnachten, und viele Leute glauben auch an den Samichlaus.»

Daniel Jositsch, Ständerat (SP), zur Frage eines möglichen EU-Beitritts ohne Volksabstimmung.

Die Kernqualitäten der Schweiz – die Volksentscheide und die direkte Demokratie – seien fatalerweise «in akuter Gefahr», fand Köppel. Der Angriff auf die Volksrechte laufe auf verschiedenen Ebenen. So habe Bundesrat Berset vor Kurzem selber behauptet, ein Volksentscheid sei kein verbindlicher Entscheid, sondern eine «Anregung», die unter Berücksichtigung des internationalen Rechts geprüft werde. Und er erwähnte den eigentlichen Auslöser der Initiative, ein Entscheid des Bundesgerichts in Lausanne aus dem Jahr 2012, wonach ein krimineller Mazedonier recht erhielt. Er hatte sich gegen die Wegweisung aus der Schweiz gewehrt, und eine Kammer des Bundesgerichts beschloss darüber hinaus, dass die Ausschaffungs-Initiative keinen Vorrang vor den Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) habe. Die SVP sieht darin und in der nicht wortgetreuen Umsetzung der «Masseneinwanderungs-Initiative» Frontalangriffe auf die direkte Demokratie. Köppel verglich das Bundesgericht, das die EMRK über die Verfassung stelle, mit einem Schiedsrichter, der während des Fussballspiels die Regeln ändere. Das Gericht sei keine verfassunggebende Gewalt, zudem fühle er sich von den «weltfremden Entscheiden» von sieben Richtern in Strassburg nicht vertreten.

Die «Hausordnung» respektieren

Jositsch verglich die Anerkennung von internationalem Völkerrecht ab 1974 mit dem Abschluss eines Mietvertrages – der schränke auch ein. «Schliesslich wollen Sie neben anderen in Frieden leben», richtete er sich ans SVP-dominierte Publikum. Auch der Nachbar mache keine Musik nachts um zwei Uhr. «Diese Hausordnung zwischen den Staaten wurde nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt.» Nicht alle Länder setzten das Völkerrecht immer wortgetreu um. «Aber wenn einer zu schnell fährt, schafft man deswegen auch nicht das Strassenverkehrsgesetz ab.» Im Parlament werde jeweils entschieden, wo das Gesetz dem internationalen Recht angepasst werden müsse. «Und dort ist die SVP ja die grösste Partei.» Einziges Problem: Wenn eine Volksinitiative angenommen wird, die nicht mit dem internationalen Recht übereinstimmt. Bereits 2004 habe der damalige Justizminister Christoph Blocher selber eine Umsetzung «light» der Verwahrungs-Initiative beschlossen. «Wir mussten schon immer pragmatische Entscheide fällen». Die SVP schwadroniere bei ihrer «kompliziert juristisch» formulierten Initiative aber in der Frage, ob im Konfliktfall die EMRK gekündigt werden solle. «Sie müssen Ross und Reiter beim Namen nennen», forderte Jositsch. Oder anders: Wenn die Schweiz die Selbstbestimmung in der vorgeschlagenen Form ernst nehme, müsse sie zwingend und konsequent Landesrecht vor Völkerrecht stellen. «Denn mit der Initiative setzen wir unser gesamtes Gefüge im Zusammenhang mit internationalen Verträgen aufs Spiel.» Er rechnet der EMRK hoch an, dass erst auf deren Druck hin und rechtzeitig vor dem Beitritt zur EMRK das Frauenstimmrecht 1971 in der Schweiz eingeführt wurde. «Ja, liebe Damen, Sie könnten sonst möglicherweise noch heute nicht wählen.» Köppel präzisierte: Das sei ein Volksentscheid gewesen.

Völkerrechtliche Verträge in Gefahr?

Wenn eine Hausordnung zum Gefängnis werde, ergänzte Köppel, «zu einer Zwangsjacke, zu einer Gummizelle», und wenn ein Mietvertrag lebenslänglich gelte, dann stimme etwas nicht. Man könne aber nicht im Voraus sagen, welcher internationale Vertrag allenfalls tangiert werde und neu verhandelt oder gar gekündigt werden müsse, daher heisst es im Initiativtext: «Im Falle eines Widerspruchs (zwischen der Bundesverfassung und Völkerrecht) sorgen Bund und Kantone für eine Anpassung der völkerrechtlichen Verpflichtungen an die Vorgaben der Bundesverfassung, nötigenfalls durch Kündigung der betreffenden völkerrechtlichen Verträge.» Mit der Selbstbestimmungs-Initiative bringe man dank der Wahrung der Bundesverfassung als oberste Rechtsquelle wieder «etwas Klarheit in die Hausordnung der Schweiz». Wenn jeder EU-Vertrag über dem Schweizer Recht stehen würde, könne die Schweiz die flankierenden Massnahmen, die Mehrwertsteuer, die Durchfahrtsregimes vergessen. «Dann sind wir Indianer im eigenen Land.»

Jositsch fragte rhetorisch, ob Köppel ernsthaft glaube, dass es zu einem EU-Beitritt ohne Volksabstimmung kommen könne. «Ja», riefen zwei Drittel der Gäste im Saal. «Dann würde ich an Ihrer Stelle eine Revolution starten», meinte er. «Es ist bald Weihnacht, und viele Leute glauben auch an den Samichlaus.»Die beiden Kontrahenten lieferten sich neben Wortgefechten über die Materie auch den einen oder anderen persönlichen Seitenhieb. «Roger Köppel ist so intelligent, dass ich es fast schade finde, dass er in der Politik ist», meinte Jositsch auf einen Witz Köppels. «Wenn jemand wie Daniel Jositsch beginnt, auf dem Podium Witze zu machen, dann hat er keine Argumente mehr», konterte dieser.

 

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