Rettung der Riesenrüebli löst Diskussion aus

Mark Gasser | 
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Die Organisation Grassrooted pries die übergrossen Rüebli aus dem Weinland auf ihrer Facebook-Seite an. Bild: Facebook

30 Tonnen Biorüebli aus dem Weinland sollten untergepflügt werden, weil sie nicht der Norm entsprachen. Ein Verein kaufte sie dem betroffenen Bauern ab und verteilte sie in Zürich.

Ein Bauer aus dem Zürcher Weinland, der normalerweise einen Bio- gemüseproduzenten ebenfalls im Weinland beliefert, blieb diesen Sommer auf seinen Rüebli sitzen: Er fand für ein ganzes Rüeblifeld keinen Abnehmer. Seine Karotten passten nämlich nicht in die üblichen Kartonverpackungen, so die Begründung. Rund 30 Tonnen farbige Rüebli hätten so gar nicht in den Verkauf gelangen sollen. Wäre da nicht der Verein Grassrooted gewesen, der gegen die Verschwendung von Lebensmitteln ankämpft.

Der betroffene Bauer hätte die Rüebli unter die Erde gepflügt. «Einfach gesagt, wurden seine Rüebli zu gross, und der Bauer hat es zu spät gemerkt. Und leider können wir keine Übergrössen vermarkten», sagt der Sprecher des Gemüseproduzenten aus dem Weinland und vermeintlichen Abnehmers, der anonym bleiben will. So landeten die Rüebli aber auf Umwegen doch noch auf dem Markt.

«Wer bestimmt eigentlich, wie grosse Rüebli ich essen darf? Ich rüste nämlich lieber zwei grosse Rüebli als viele kleine!»

Ruth M., Leserbriefschreiberin , aus Ossingen

«Jeden Tag werden in der Schweiz tonnenweise Rüebli fortgeworfen, weil sie nicht der Norm entsprechen», sagt Dominik Waser von Grassrooted in einem Facebook-Video, das mitten im Weinländer Rüeblifeld gedreht wurde – und schon 240 000-mal angeklickt wurde. Einen Schuldigen gebe es nicht. «Vielmehr ist es das System, das sich über die Jahre entwickelt hat.» Der Grossverteiler gebe die Schuld dem Konsumenten. Dieser habe gar keine andere Wahl, als die zur Verfügung stehenden Rüebli zu kaufen – und schiebe die Schuld dem Produzenten zu. Der sei aber der Leidtragende und finde keine Abnehmer für seine Ernte.

So will die Organisation Grassrooted auf das Problem aufmerksam machen, damit «gegenseitig alle an einem Strick ziehen». Statt die übergrossen Rüebli in die Läden zu bringen, will Grassrooted in der Stadt ansetzen: Fünf Tonnen wurden in Zürich «zur Sensibilisierung» angeboten, wovon ein Teil am Martinimarkt feilgeboten wurde, ein Teil zum Gratismitnehmen auf den Helvetiaplatz gekippt – eine unbewilligte Food-Waste-Aktion. Das Handeln soll Empörung wecken. Die übrigen 25 Tonnen sind zur Verarbeitung von Saft vorgesehen.

Kritik auch an Food-Waste-Aktion

Nicht allen gefällt die Aktion. Auf einen Artikel in der «Andelfinger Zeitung» hin meldeten sich einige Leserinnen und Leser auf der Facebook-Seite der Lokalzeitung. Deren Empörung richtete sich nicht gegen den Produzenten, den Abnehmer oder den Grossverteiler, sondern gegen Grassrooted selber. «Weiss jemand, wo man die im Weinland beziehen könnte?», fragt eine Frau. «Warum werden diese Rüebli nicht im Zürcher Weinland verkauft? Die Antworten überzeugen nicht!», meint ein anderer Weinländer. «Da sind mal wieder wir schuld, dass die Rüebli nicht gekauft werden … Aber man kann sie ja auch nicht kaufen! Warum fragt ihr nicht zum Beispiel in den Volg-Läden an? Und jetzt spielt ihr den grossen Retter.» Gegen die Normierung richtet sich der Ärger einer Leserbriefschreiberin in der letzten Ausgabe der «Andelfinger Zeitung» unter dem Titel «Rüebli-Skandal!»: «Wer bestimmt eigentlich, wie grosse Rüebli ich essen darf? Ich rüste nämlich lieber zwei grosse Rüebli als viele kleine! Wer zum Kuckuck befiehlt eigentlich den armen Rüebli, wann sie aufhören müssen zu wachsen?», schreibt Ruth M. aus Ossingen. Kurzum: Nicht alle haben Verständnis dafür, dass die Rüebli in die Stadt gefahren wurden oder dass überhaupt solche Normen existieren.

Keine Absatzkanäle für farbige Rüebli

Der Sprecher des Weinländer Biogemüseproduzenten, welcher trotz Anbauvertrag mit dem betroffenen Bauern die Rüebli ablehnte, erklärt den Entscheid: «In der Regel gibt es für Rüebli verschiedene Verwendungszwecke, sie können unterschiedlich verarbeitet werden. Wären es normale Rüebli gewesen, hätten sie zu Saft verarbeitet werden können. Aber für die farbigen Rüebli haben wir keine anderen Absatzkanäle. Und der Produzent hat uns dies zu spät gemeldet.» Auch habe sich so kurzfristig kein grosser Lebensmittelverarbeiter gefunden, der die übergrossen Rüebli, die in anderer Farbe für Würfel (etwa für Tiefkühlprodukte), geraffelt oder geschnetzelt willkommen wären, entgegennehmen wollte. Auch da gilt wieder: Nicht der Geschmack, sondern die Farbe stimmte nicht.

In den Anbauverträgen würden auch Grössenlimiten festgelegt. Wenn fünf oder zehn Prozent die Norm überschritten, dann sei das «ganz normal». Aber wenn zwei Drittel grösser seien als die Norm, «dann lohnt sich das Waschen nicht». Das gäbe so viel Abzüge für den Produzenten, dass dieser seine Kosten gar nicht decken könne.

Auch für die Volg-Läden, die nur Kleinstmengen anböten, seien die Rüebli kaum attraktiv. «Die Marge ist bei Zweitklassware kleiner. Und dann verkauft man die bessere Ware nicht mehr», begründet der Sprecher des Biogemüseproduzenten. Auch als Tierfutter wären die Spezialrüebli nicht geeignet gewesen. Die grosse Sortieranlage des Lebensmittelverarbeiters scheidet viele bereits gewaschene Rüebli aus, welche den Bauern als Futter abgegeben werden.

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