«Kein Neuland darf unbenützt bleiben»

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Vor allem in den Schaffhauser Nachbarkantonen wurden im Hungerwinter 1917/18 Helfer in die Gemeinden delegiert, um das Sumpfland für die Nahrungsmittelproduktion trockenzulegen.

von Markus Schär und Mark Gasser

Weinland.Den Krieg von 1914 bis 1918 bekam auch die Region zu spüren. Teile der Armee dienten an der Grenze. Im Innern wurden die Nahrungsmittel knapp. Die Zufuhr aus dem Ausland war gestört. Viel sumpfiges Land brachte keinen Ertrag.

Zur Grenzbesetzungszeit im Ersten Weltkrieg drohte der Schweiz, auch den Kantonen Zürich und Schaffhausen, eine Hungersnot. Der Nahrungsmittelbedarf stieg, die Produktion sank. Der Hungerwinter 1917/18 versetzte auch den unversehrten Kleinstaat in einen kritischen Zustand und blieb lange in Erinnerung.

Nebst den Rationierungsmassnahmen, die den Nahrungsverbrauch drosseln sollten, beschloss der Bundesrat daher eine dringliche Steigerung der Lebensmittelproduktion – so etwas wie eine «Anbauschlacht light». Am 3. September 1917 verfügte er ­insbesondere die Ausdehnung des inlän­dischen Getreideanbaus. Der Zürcher Regierungsrat beschloss in Übereinstimmung mit Bern die beschleunigte Durchführung einer grösseren Anzahl von Bodenverbesserungen im Kanton. Er holte dazu beim schweizerischen Militärdepartement die Bewilligung zum Aufgebot von Landsturmtruppen und Hilfsdienstpflichtigen ein.

«Im Gegensatz zu anderen Kantonen waren die Ackerbauflächen in Schaffhausen kleinteilig und eigneten sich nicht unbedingt für eine grossflächige maschinelle ­Bearbeitung.»

Mirjam Böhm, Stadtarchiv Schaffhausen

Es gab erstens Lohnarbeit für einzelne Arbeitnehmer im Dienste von privaten oder genossenschaftlichen Bodenbesitzern. Zur Entwässerung sumpfiger Böden wurden aber zweitens in zahlreiche Zürcher Gemeinden im Hungerwinter 1917/18 auch Landsturmmänner und Hilfsdienstpflichtige befohlen. Und drittens drainierten natürlich auch selbständig Private.

Drittel der Drainagen im März fertig

Die Höchstzahl der Aufgebotenen wurde Anfang 1918 erreicht und betrugt total 1363 Mann. Als Vorarbeiter fungierten bei diesen Meliorationen circa 100 Draineure, die zum Teil erst während jenes Winters in Drainagekursen ausgebildet worden waren. Die Arbeiten schritten rüstig vorwärts; von den 47 in Angriff genommenen Bodenverbesserungen waren bei 15 Unternehmungen die Hauptarbeiten im März 1918 ausgeführt. Der Regierungsrat strebte mit allen Mitteln darnach, dass bei den andern 32 Meliorationen die Arbeiten gefördert werden, um das verbesserte Land möglichst bald zum Umbruch bereitstellen zu können.

Die Regierung äusserte sich im Winter 1918, dass die Notwendigkeit einer nachhaltigen Vermehrung der Lebensmittelproduktion von allen Seiten anerkannt sei. Kein Neuland, das sich zum Anbau von irgendwelchen Nahrungsmitteln als tauglich erweise, dürfe unbenützt liegen bleiben. Die im Herbst 1917 mit gewaltiger Aufwendung an Arbeit und Geld begonnene und mit aller Energie forcierte Durchführung der Meliorationen müsse mit allen Mitteln fortgesetzt werden. Gleichzeitig wuchsen die politischen Auseinandersetzungen: über die Finanzierung, über die zu den Meliorationen Befohlenen, über die Art und die Dauer der Dienstpflicht, über Entschädigungen und Zusicherungen, über die Nutzniesser und die Verlierer, über jene, welche wenig, und jene, welche die grössten Opfer zu erbringen hätten. Interpellanten im Zürcher Kantonsrat forderten Aufklärung und Transparenz.

Die vom Bundesrat und von den Kantonsregierungen beschlossenen, unter mühsamem Körpereinsatz und viel Geld in erstaunlich kurzer Zeit umgesetzten Trockenlegungen waren die Voraussetzung für die Produktionsvermehrung der Grundnahrungsmittel. Die Forcierung der Meliorationen war eines der grossen Themen der Umstrukturierung der früheren schweizerischen Landwirtschaft. Nun galt es, die Grundnahrungsmittel über die Bodenverbesserung zu gewinnen. Ende des 19. Jahrhunderts hatte sich die schweizerische Landwirtschaft aber vom Ackerbau stark auf die Milch- und die exportorientierte Käseproduktion verlagert, sodass vor dem Ersten Weltkrieg aus dem «gelben», Ackerbau treibenden Land eine «grüne» Schweiz geworden war. Da aber nun die Weizenzufuhr aus dem Ausland kriegsbedingt gestört war, mussten Mehl und Brot rationiert und auf anspruchsvollste Weise die Lebensmittelproduktion vermehrt werden.

In der Gemeinde Benken befinden sich die grössten drainierten Flächen im Süden des Dorfes. Zusammengezählt sind es stattliche 168 Hektaren, wovon die Mehrzahl bis zum Jahr 1939 entwässert wurde. Auch die Gemeinde Ossingen hat mit insgesamt 156 Hektaren eine grosse Fläche drainierten Landes. Die meisten Projekte stammen aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg.

Späte Meliorationen in Schaffhausen

Im Kanton und in der Stadt Schaffhausen wurden gemäss dem Stadtarchiv die gros­sen Meliorationen eher später durchgeführt, auch wenn der Bund bereits 1917 im Rahmen der Neuvermessung zu umfangreichen Bodenreformen aufgerufen hatte. Auch die Landwirtschaftlichen Genossenschaften und der Kantonale Landwirtschaftliche Verein waren treibende Kräfte in diesem Prozess. «Im Gegensatz zu anderen Kantonen waren die Ackerbauflächen in Schaffhausen sehr kleinteilig und somit auch nicht unbedingt für eine grossflächige maschinelle Bearbeitung geeignet. Auch wenn man mit der Landmaschinenfabrik Rauschenbach in Schaffhausen an der Quelle solcher Maschinen sass», berichtet die stellvertretende Stadtarchivarin Mirjam Böhm auf Anfrage. Neunkirch war eine frühe Ausnahme: Auch hier wurde bereits 1917 mit der Planung grösserer Güterzusammenlegungen (und Bodenentwässerungen) begonnen, 1918 bis 1921 wurde die Melioration umgesetzt, und die Anzahl der Grundstücke wurde von 5500 auf knapp 1800 reduziert.

In Schaffhauser Stadtratsprotokollen von 1918 findet man zudem Angaben zu Grundstücken, die man für mögliche Anpflanzungen ins Auge fasste, wie die Schützenwiese oder ein Spielplatz auf dem Emmersberg. Zudem stieg die Nachfrage der Bevölkerung nach Familiengärten in den Kriegsjahren enorm.

Auch die Industrie soll produzieren

Jenseits der Grenze zum Thurgau kam der Kanton Schaffhausen indirekt in den Genuss von neuem Kulturland – zumindest zahlreiche Industriearbeiter sollten davon profitieren: Die Stahlwerke Georg Fischer pachteten das rund 100 Jucharten (33 Hek­taren) grosse Gemeinderiet zwischen Unterstammheim und Etzwilen zur Kultivierung. Im selben Jahr erwarb Georg Fischer das ehemalige Klostergut Paradies (TG) mitsamt zwei Landwirtschaftsbetrieben, um die Lebensmittelversorgung der eigenen Mitarbeiter sicherzustellen. Dass sich Industrieunternehmen mit der Verbesserung der Landesversorgung beschäftigten, indem sie ihre Arbeiterschaft durch Intensivanbau versorgten, war auch ein Hauptzweck der eben gegründeten Schweizerischen Vereinigung für industrielle Landwirtschaft (Svil). Die Svil, zunächst noch ein Verein, entstand Mitte 1918 im Kontext dieser befürchteten Versorgungsnöte.

Sie bezweckte ursprünglich laut dem ersten Geschäftsbericht den «beschleunigten Ausbau der heimischen Urproduktion». Um die Landwirtschaft mit Maschinenhilfe leistungsfähiger zu machen, wurde die Güterzusammenlegung forciert. Nach Ansicht der Svil war auch die Industrie, welche «die Bevölkerungsanhäufung hauptsächlich verursacht» hatte, ergänzend zur Berufslandwirtschaft für mindestens einen Teil der Nahrungsmittelerzeugung in der Pflicht. Dass die Stahlwerke an der Zürcher-Thurgauer Grenze Land pachteten, überrascht daher nicht. «Im Kanton Schaffhausen ist wenig geeignetes Land für solche Zwecke vorhanden», heisst es auch im Svil-Geschäftsbericht. «Die trockenen Randenhochflächen müssen späterer Koloni­sationsarbeit vorbehalten bleiben.»

 

 

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