Schaffhausen streikte ruhig und ohne Aufruhr

Schaffhauser Nachrichten | 
Noch keine Kommentare
Die Schaffhauser Industrie – hier eine Aufnahme aus der Formerei von Georg Fischer – lief vor allem wegen Lieferungen an beide Kriegsparteien im Ersten Weltkrieg auf Hochtouren. BILD AUS «DER VERGESSENE WIRTSCHAFTSKRIEG»

Der Landesstreik oder Generalstreik von 1918 wurde in Schaffhausen vor allem von den Arbeitern in der Maschinenindustrie sowie den Strassen- und Eisenbahnern befolgt. Ein Rückblick.

von Karl Hotz

Er ist legendär und prägte die Schweizer Politik bis gegen Ende der Siebzigerjahre des letzten Jahrhunderts: der Generalstreik vom 12. bis 14. November 1918. Betroffen davon war mit seiner starken Maschinen- und Metallindustrie natürlich auch Schaffhausen. Dank besonnenem Handeln des Aktionskomitees, der Stadt- und der Kantonsregierung, des Militärs und der betroffenen Firmen kam es dabei, nicht wie an anderen Orten in der Schweiz, kaum zu Zwischenfällen, zu Ausschreitungen gar nicht. Zwei Bücher* geben einen guten Überblick über die Rahmenbedingungen und das Geschehen selbst.

Umsichtig und mässigend

Einige äussere Umstände hatten besonderen Einfluss auf den Streik in Schaffhausen. Zu nennen ist einmal Hermann Schlatter, der erste sozialistische Stadtpräsident, der am 2. Dezember 1917 gewählt wurde. Wiewohl ein Sympathisant der russischen Revolution von 1917, wirkte er in den Streiktagen umsichtig und mässigend. Seine Wahl wurde beeinflusst von der wirtschaftlichen Lage. Parallel zur Not weiter Bevölkerungskreise (vgl. Artikel unten) erlebte ein Teil der Industrie, vor allem Georg Fischer (GF) und SIG, durch grosse Lieferungen an beide Kriegsparteien einen eigentlichen Boom. GF beispielsweise verdoppelte die Zahl ihrer Arbeiter. Arbeitslosigkeit in Schaffhausen und Neuhausen gab es dar­um kaum. Diese zugewanderten Arbeiter, soweit sie das Stimmrecht besassen, wählten meist Schlatter. Und schliesslich ist der sogenannte «Rote Sonntag» vom 3. Juni 1916 zu erwähnen, an dem die Jugendorganisationen der SP – sie gehörten klar zum revolutionären Flügel der Partei – zu Demonstrationen gegen den Krieg und die prekäre soziale Lage aufriefen. Militär und Bundesrat reagierten wie später beim Generalstreik und liessen vorsorglich Truppen aufmarschieren. Das auch in unserer Region, obwohl der Regierungsrat nach Bern gemeldet hatte, das sei unnötig. Die SP reagierte empört. «Beleidigung eines grossen Teils unseres Volkes» hiess es in einer Resolution der Schaffhauser SP. Schlatter sprach von einer «Staatsgefährlichkeit allerersten Ranges».

Soziale Lage war desolat

Die soziale Lage in Schaffhausen war wie überall desolat. Die Stadt kaufte zwar schon früh Vieh, Mehl, Kartoffeln und andere Lebensmittel. Das verbesserte zwar die Grundversorgung, änderte aber nichts daran, dass sich die Lebensmittel in der Region in den vier Kriegsjahren um 158 Prozent verteuerten. Auch die Mieten stiegen um etwa einen Viertel. Dass in der Schaffhauser Industrie die Löhne um bis zu 50 Prozent stiegen, änderte wenig, linderte aber die prekäre Situation immerhin. Die vom Bundesrat erst 1917 eingeführte Rationierung änderte an diesem Umständen wenig. Anders gesagt: Die Arbeiter und zunehmend auch viele Angestellte und Beamte litten und hatten, das mit ein Grund für immer mehr Streiks und andere Proteste, je länger, desto weniger zu verlieren.

«Kampf für unsere Rechte»

All diese hier sehr summarisch geschilderten Punkte führten zu steigenden Spannungen. Arbeitersekretär Heinrich Schöttli warnte 1917 den Regierungsrat in einer Eingabe: «Die Empörung wird sich in Gewalt Luft verschaffen.» Die Regierung zog Erkundigungen ein und erhielt unter anderem von GF den Hinweis: «Auch die bodenständige und ruhige Arbeiterschaft beginnt mit Revolte und Revolution zu spielen.»

Stadtpräsident Hermann Schlatter (SP) hatte die Devise: Kein Öl ins Feuer giessen. BILD AUS «SCHAFFHAUSEN UND DER LANDESSTREIK VON 1918».

Im Februar 1918 wurde dann das bekannte Oltener Komitee gegründet, das eine Liste von 15 Forderungen an den Bundesrat erstellte. «Endlich entschlossener Kampf für unser Recht» stellte die Schaffhauser Arbeiter-Union dazu fest. Die Schaffhauser Typografen und Strassenbahner waren in einer Umfrage des Komitees für einen Generalstreik. Im Oktober bildete sich unter der Leitung von Schöttli, dem Metallarbeitersekretär Heinrich Weber und dem Strassenbahner Adolf Sauter ein lokales Komitee – ein Schritt, der übrigens nicht öffentlich gemacht wurde.

Info: Der Streik

Die Situation verschärfte sich zunehmend. Ungeschickte Aktionen wie etwa die Erhöhung des Milchpreises von 30 auf 40 Rappen durch den Bundesrat trugen das Ihre dazu bei. Die Situation in Deutschland, wo Teile der Truppen und die Arbeiter revoltierten, was letztlich zur Ab- dankung des Kaisers und zum Waffen-stillstand führte, hatte ebenfalls Auswirkungen auf die Schweiz. Das Oltener Ko-mitee, auch unter Druck der besonders aktiven Zürcher Arbeiter, drohte unverhohlener mit einem Generalstreik. Als eine Art Hauptprobe wurde beschlossen, am Samstag, 9. November, die Arbeit niederzulegen. Geschätzte 10 000 Arbeiter befolgten in der Region den Aufruf und legten die Arbeit nieder. Der Regierungsrat bat vorsorglich um Truppenunterstützung. Ein Bataillon wurde daraufhin in die Nähe der Stadt verlegt, eine Reserve bei Andelfingen postiert. Die Streikaktion selbst verlief völlig ruhig.

Kommentare (0)

Neuen Kommentar schreiben

Diese Funktion steht nur Abonnenten und registrierten Benutzern zur Verfügung.

Registrieren