«Hohle Phrasen der roten Parteibonzen»

Zeno Geisseler | 
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Seit 1890 feiert man auch in Schaffhausen am 1. Mai den Tag der Arbeit. In den damaligen SN stiessen die Forderungen anfänglich auf offene Ohren.

Ein gemütliches Vorfest im Mosergarten, ein kurzer Umzug durch die Altstadt, moderate Ansprachen bei Bier und Bratwurst und eine fetzige Band: Der Tag der Arbeit, Version Schaffhausen, ist seit vielen Jahren eine friedliche Veranstaltung. Selbst im grossen Weltjahr des Aufbegehrens, 1968, meldeten die SN nur: «Im Vergleich zu den Maifeiern in Zürich und anderswo ging es in Schaffhausen (…) manierlich und gemässigtmässig her und zu.»

Aber wie war das eigentlich zu den Anfängen? Dieser Frage sind wir mit einer doppelten Recherche nachgegangen: Wir sind in unser eigenes Zeitungsarchiv getaucht, und, für Bilder, ins Stadtarchiv.

Der 1. Mai wird seit 1890 weltweit als Tag der Arbeit gefeiert, auch Schaffhausen war von Anfang an dabei. Das «Intelligenzblatt», so hiessen die SN damals, räumte der Premiere prominenten Raum ein: Ganz oben auf der ersten Seite berichtete die Zeitung über die Versammlung der Arbeiter auf dem Herrenacker. Deren Hauptforderung war die Einführung des Achtstundentags (bei der Sechstagewoche, wohlgemerkt). «Die Bourgeoisie, welche den Achtstundentag in heuchlerischer Weise als Faulenzerei verspottet, bedenkt nicht, dass wir es satt sind, den Kapitalisten die Geldsäckel noch mehr zu füllen», sagte der Hauptredner, Herr Bezirksanwalt O. Lang von Zürich. Insgesamt sei die Veranstaltung «ruhig und würdig verlaufen», meldete die Zeitung.

Eine weitere Forderung tauchte 1890 auf. Eine, die am morgigen 1. Mai ebenfalls im Zentrum stehen wird: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. «Wo durchaus Frauenarbeit verwendet werden muss, sollen für dieselbe die gleichen Lohnsätze gelten wie für die Männerarbeit.» Mit diesen Worten zitierte das «Intelligenzblatt» damals einen Aufruf des Grütlivereins.

1901 veröffentlichte die Zeitung einen Aufruf der Arbeiterunion zum 1. Mai. Erneut ging es um die Arbeitszeit: «Acht Stunden Arbeit, acht Stunden Schlaf, acht Stunden Erholung lautet die Parole dieses Tages. Aus moralischen, hygienischen und wirtschaftlichen Gründen ist das Verlangen nach Verkürzung der Arbeitszeit ein berechtigtes.» Und 1904 lobte das Blatt ein Unternehmen, welches die Arbeitszeit reduziert hatte: «Ein schönes Maifeiergeschenk hat die Firma H. Hess, Pilgersteg-Rüti, ihren Arbeitern damit gestiftet, dass sie bekannt machte, vom 1. Mai ab sei der 10-Stunden-Tag, unter Beibehaltung der bisherigen Löhnung, eingeführt.»

«Radfahrer eingerechnet»

So wohlwollend war die Zeitung nicht immer. In späteren Jahren war die Redaktion hin- und hergerissen zwischen kurzer, aber neutraler Berichterstattung und kritischen, ja hämischen Worten. Der Ton verschärfte sich vor allem im Nachgang zu den Revolutionen, welche Europa erschüttert hatten: Die Monarchien von Russland, Deutschland und Österreich-Ungarn waren 1917/18 vom Sockel gestossen worden, der Kommunismus nach sowjetischem Vorbild bedrohte ganz Europa. Die SN bezogen dabei klar Stellung, etwa in einem Bericht zu einer Maifeier in Bern 1922: «Die grosse Masse hat durch ihr Fernbleiben ­gegen sozialistischen Grössenwahn (...) demonstriert, sie hat den Glauben an den lange gerühmten, aber unfähigen Sozialismus verloren.»

Auch 1934 wurde ein bescheidener Aufmarsch, dieses Mal in Schaffhausen selbst, als Massstab für eine Distanzierung von überholten Ideen interpretiert: «Der Umzug zählte etwa 650 Teilnehmer, Frauen, Kinder und Radfahrer eingerechnet.» Es sei zum Ausdruck gekommen, «dass die Arbeiterschaft von dem gehässigen Kampf ihrer Führer angewidert wird (…). Der 1. Mai ist ein deutlicher Beweis gewesen für die innere Abkehr der Arbeiter von den hohlen Phrasen der roten Parteibonzen.»

Weiter so Öl ins Feuer giessen wie 1934 wollten die SN aber nicht. Je wahrscheinlicher ein Weltenbrand wurde, desto gemässigter wurden die SN. Die grösste Gefahr drohte nun nicht mehr von der Sowjetunion, sondern von Nazideutschland. Selbst die Reden des verhassten Sozialisten und Exkommunisten Walther Bringolf wurden ohne Polemik rapportiert, so 1935: «Stadtpräsident Bringolf erging sich in aussenpolitischen Betrachtungen. Er wies auf die Gefahr eines unmittelbar bevorstehenden neuen Krieges hin und machte hierfür die faschistischen Länder verantwortlich.»

Die ersten Foto von 1904

Von den ersten Maifeiern sind keine Pressebilder erhalten. Die SN führten Fotos erst lange nach dem Zweiten Weltkrieg ein, und im Stadtarchiv stammt die älteste ­Aufnahme vom 1. Mai 1904. Sie zeigt ein Gruppenbild von Zimmerleuten. Bemerkenswert auch die Foto von 1906 von ausländischen Zimmergesellen. Es handelt sich um Fachleute aus Nord- und Ostdeutschland. Eindrücklich auch das Gruppenbild der Holzarbeiter von der Maifeier im Jahr 1910 mit dem Plakat «Hoch der 8 Std. Tag» – die alte Forderung von 1890.

Die SN veröffentlichten zur Feier von 1910 nur eine knappe Meldung: «Die gestrige Maifeier der hiesigen Arbeiterschaft erfreute sich (…) einer ausserordentlichen Teilnahme. (…) Die ganze Feier nahm ­einen durchaus ruhigen Verlauf.» – Der letzte Satz könnte am kommenden Mittwoch wohl genau so wieder in den SN ­stehen.

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