Der Platzhirsch aus der Märlistadt

Fabian Babic | 
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Statt mit einem markanten Auto kommt der 25-jährige Rapper Megan mit dem Velo zum Videodreh. Bild: zVg

Megan, Rapper aus Stein am Rhein, möchte jetzt die grossen Brötchen backen. Er hat einen Plattenvertrag beim Major-Label Sony unterschrieben. Der Musiker spricht über eine zögerliche Vergangenheit, grosse Erwartungen und Klischees in der Szene.

«Nach Jahren auf der Bank endlich Starting Player» – mit dieser Basketball-Analogie kündigt der Rapper Megan aus Stein am Rhein im Rahmen eines Videoclips auf Instagram seinen wohl bislang grössten Coup an: Er hat einen Musikervertrag unterschrieben. Welche Bedeutung diese Nachricht hat, wird bei einem Blick auf den Vertragspartner klar: Es handelt sich um Sony Music Switzerland, die Schweizer Niederlassung eines der drei weltgrössten Musiklabels. Der 25-jährige Steiner hat nun einen sogenannten «Major-Deal» in der Tasche – und das als einziger Rapper aus der Region (siehe Box). Sony übernimmt von nun an das Marketing und den Vertrieb seiner Kunst. Spricht man Megan auf den Vertragsabschluss an, strahlen freudig glitzernde Augen hinter den runden Brillengläsern hervor. «Ich freue mich immens über diesen Schritt», sagt er.

Es waren viele Schritte, die er zuvor gehen musste, bis er auf den Radar des Musikkonzerns geraten war. Megan erzählt von seiner frühen Kindheit im bayrischen Bamberg, wo er bis zu seinem zehnten Lebensjahr gewohnt hat. «Rapper und Basketballer waren schon immer meine grossen Idole.» Mit dem deutschen Spiessertum, das ihm vorgelebt wurde, habe er sich nie identifizieren können. Die Erzählungen der Rapkünstler haben ihn viel eher gefesselt. Die rabiaten Geschichten aus den Metropolen, soziale Konflikte, der explizite und spielerische Sprachgebrauch – die Welt des Hip-Hop kontrastierte sein Leben massiv. Seine rebellische Ader wurde erweckt: «Rap war mein Punk», resümiert Megan.

«Ich hatte das Gefühl, dass die Tore für jemanden wie mich verschlossen waren.»

Maximilian Albrecht alias Megan, Rapper

Ebendiese Kontraste hinderten ihn allerdings lange daran, eigene Gehversuche in der Szene zu wagen. Er hatte weder eine Kriminalakte noch ein Leben in einem sozial schwachen Milieu vorzuweisen. «Ich hatte das Gefühl, dass die Tore für jemanden wie mich verschlossen waren», sagt Megan.


Anfang der 2010er-Jahre kam dann die Wende: Der Deutschrap transformierte sich. Wo zuvor das Spielfeld von hartem Strassenrap, der vornehmlich Gewalt und Kriminalität thematisierte, dominiert war, traten allmählich neue Figuren ins Rampenlicht. Deutsche Künstler wie Casper und Marteria läuteten eine neue Ära ein. Ihre Themen waren breiter gefächert, ihr Stil bediente sich an etablierten Pop- und Rock-Elementen, und ihr Auftreten war bodenständiger. «Durch sie habe ich realisiert, dass auch ein Normalo wie ich meine Geschichten in Form von Rap erzählen kann», erklärt Megan.

Der erste Song für ein Mädchen

Damals war Maximilian Albrecht, wie Megan bürgerlich heisst, 16 Jahre alt. Nachdem er als Zügelnomade viel rumgekommen war, liess er sich mit seiner Familie in Stein am Rhein nieder und verfasste seine ersten Rapsongs. Worüber er schrieb? «Ein Mädchen», antwortet er mit einem verschmitzten Lächeln. Von da an entfaltete er sich inhaltlich in diverse Richtungen. «Ob Liebeskummer oder sozialer Druck – was mich beschäftigt, schreibe ich mir von der Seele.» Dieses Prinzip gilt für ihn bis heute: «In jeder guten Zeile muss ein Stück Wahrheit stecken.»

Mit jedem weiteren Song, den er verfasste, sei der Wunsch, professionell Musik zu machen, immer stärker geworden. Im Jahr 2015 verwirklichte er dann gemeinsam mit Freunden einen Traum: das erste eigene Studio. Einen Steinwurf von seiner ehemaligen Sekundarschule entfernt mieteten sie sich einen kleinen Lagerraum in einem Industriegebäude in Stein am Rhein. Seine gesamten Ersparnisse investierte er in die Musik.

Die ersten Früchte seiner Anstrengungen hielt er im Jahr 2017 in Händen: das Mixtape «Slang». Mit dem zehn Songs umfassenden Musikträger setzte Megan erstmals einen Fuss in die Schweizer Raplandschaft. Die Kontraste, die ihn damals zum Zögern veranlassten, spielte der aufmüpfige Jungspund als seine grösste Stärke aus. Ihm war bewusst, dass sein Erscheinungsbild nicht dem stereotypischen Rapper-Image entspreche: ein hagerer Bursche mit Hornbrille, ohne jegliche Affinität zu Markenklamotten oder Goldketten. Dennoch liess er es sich nicht nehmen, mit seinen Versen vollkommen auszuufern.

Der Platzhirsch im Revier

«Ich bin der allerbeste Newcomer», rief er auf der ersten Platte feierlich aus. Megan machte es deutlich: Er ist gekommen, um zu bleiben. Auf schweren Beats markierte der Szene-Neuling mit ausgefuchsten Zeilen bereits den Platzhirsch. «Das Mixtape war vom Drang, sich zu beweisen, geprägt», sagt er heute rückblickend. Zwar sympathisiert er auch noch in der Retrospektive mit seinem Erstlingswerk, allerdings räumt er auch ein, dass ihm damals noch der Mut gefehlt habe, experimenteller zu sein. «Der Songaufbau stammte da noch aus dem Lehrbuch», merkt er schmunzelnd an.

«Er schreibt seine Texte mit Durchschlagskraft, kann diese aber elegant mit poppigen Melodien kombinieren.»

Santino Gaido alias Santa, Rapper

Jetzt sei er weiter. Seine Herangehensweise habe sich wesentlich geändert: «Früher habe ich zu verkopft Musik gemacht. Jetzt schalte ich den Kopf aus und lasse die Kreativität fliessen.» Es gehe nun nicht mehr darum, seine lyrischen Fertigkeiten auf dem Takt zu präsentieren. Vielmehr möchte Megan nun den Fokus stärker auf die Melodien setzen.

Das beobachtet auch der Steiner Rapper und Weggefährte Santa, der bürgerlich Santino Gaido heisst: «Er hat einen starken Wandel durchgemacht.» Megan habe sich sowohl in klassischen als auch modernen Formen des Rappens ausprobiert. «Jetzt hat er seine eigene Nische gefunden. Er schreibt seine Texte mit Durchschlagskraft, kann diese aber elegant mit poppigen Melodien kombinieren.»

Für Megan ist Rap die Kunstform, in der er sich ausdrücken kann. «Ich muss keine Klischees bedienen», stellt er erleichtert fest. Dennoch will er keine strikte Trennlinie zwischen sich und der Rapszene ziehen. So folgte er auch einer Tradition des Hip-Hop, welche mit dem Aufbäumen als Platzhirsch einhergeht: Er schoss gegen seine Konkurrenten. «Das Kräftemessen ist ein Grundprinzip, das in mir verankert ist», meint Megan. Das gehöre im Rap nun mal dazu. «Aktuell steht das nicht mehr auf meiner Agenda, aber wer weiss, was noch kommt.»

Jemand, mit dem er schon die lyrischen Klingen gekreuzt hat, ist der Schaffhauser Rapper Sympaddyc, der auch als SP-Kantonsrat Patrick Portmann bekannt ist. Die Fehde ist inzwischen längst beendet. Für den Steiner Musiker habe er fast nur Lob übrig: «Er ist einer der lyrisch besten Rapper in der Region. Er ist frech, aber dennoch authentisch.» Was Sympaddyc an ihm schätze, sei vor allem seine Bodenständigkeit: «Als Künstler bleibt er ein echter Mensch und erfindet dabei nichts dazu.» Dass er dabei so grosse Erfolge wie etwa den Major-Deal verbuchen kann, freue ihn umso mehr: «Im Gegensatz zu ­anderen Rappern aus der Region muss er sich keine gefälschten Klicks kaufen», so Sympaddyc.

Auch Kollege Santa gönnt ihm neidlos den nächsten Schritt auf der Karriereleiter: «Er ist jemand, der akribisch arbeitet. Ich schalte einen Beat an, und sein Kopf rattert.» Megan sei jemand, der im Studio ­nervös von Ecke zu Ecke laufen kann, bis er auf die richtige Idee komme. Danach nehme er mehrere Versionen desselben Songs auf, bis ihm alles passe. Die Zusammenarbeit mit Megan könne Geduld erfordern, «aber am Schluss lohnt es sich immer», stellt Santa fest.

Auch Müttern gefällt der Staaner

So prognostiziert Santa ihm auch grosses Potenzial für den kommerziellen Erfolg: «Er rappt krass, weswegen ich als Rapliebhaber seine Musik gerne höre, aber», und das sei der entscheidende Punkt, «er verpackt seine Kunst so, dass sie auch meine Mutter gerne hören würde.»

Massentauglichkeit. Dieses Thema wird Megan in Zukunft beschäftigen. Nun, da er bei einem Musikkonzern unter Vertrag steht, stellt sich die Frage, wie man ihn vermarktet und welche Kompromisse er eingehen muss. Megan glaubt nicht, dass an seiner Musik zusätzlich getüftelt werden muss, damit sie kommerziell Erfolge einfahren kann: «Ich wollte mich schon immer so ausdrücken, dass mir viele Leute folgen können.»

Megan bei der Startrampe des «Stars in Town» in Schaffhausen im Jahr 2019. Bild: zVg

Er habe keine Sorge, dass das Musiklabel Sony ihm vorgeben werde, was er dichten soll. «Sie haben mich schliesslich unter Vertrag genommen, weil sie an mir Gefallen gefunden haben.» Vielmehr freue er sich darüber, auf ein professionelles Team vertrauen zu können.

Gibt es also nun gar keine Einschränkungen für ihn? «Vonseiten des Labels nicht, es ist eher das Spielfeld.» Megan nennt beispielsweise Youtube. Wenn er in einem Videoclip eine Zigarette rauchen würde, könnte er keine Werbung schalten und dementsprechend keine Einnahmen durch die Klicks generieren. Auf solche Dinge gelte es zu achten, wenn man mit der Kunst Geld verdienen möchte.

Und es ist schliesslich sein Wunsch, die Musik zu seinem alleinigen Beruf zu machen. Mit der Vertragsunterschrift habe Megan einen grossen Schritt dafür getan. «Bisher war die Musik ein Minusgeschäft.» Nun könne er davon profitieren, dass in seine Kunst investiert wird und er die Kosten nicht mehr alleine tragen muss. Dabei spüre er aber auch einen gewissen Druck: «Es gibt Leute, die an mich glauben, und die will ich nicht enttäuschen.» Dennoch möchte er nicht an der Angst vor dem Scheitern verzweifeln – sich solche Gedanken zu machen, sei ohnehin kontraproduktiv.

Deshalb blickt Megan zuversichtlich auf die kommenden Projekte. Gestern Nacht veröffentlichte er das Video zu seiner ersten Single in Zusammenarbeit mit Sony. Das Lied trägt den Titel «Movie». Im Hinblick auf seine aktuelle Musik sagt der Rapper: «Jetzt kann ich erst der Megan sein, der ich schon immer sein wollte. Ich konnte mich noch nie so vollumfänglich zeigen.»

Die grossen drei Musiklabels

Wer seine Musik auf den Markt bringen möchte, benötigt in der Regel einen Vertrieb. Dies zählt zu den Aufgaben von Musiklabels. In der Musikindustrie wird prinzipiell zwischen zwei Formen von Labels unterschieden: Major-­Labels und Independent-Labels. Als Major-Labels werden marktführende Unternehmen bezeichnet. Die drei weltgrössten Major-Labels – die in der Fachsprache auch «The Big Three» genannt werden – sind die Universal Music Group, die Warner Music Group und Sony Music Entertainment. Den Marktanteil, den diese drei Unternehmen auf sich vereinen, wird auf rund 75 Prozent geschätzt. So stehen dementsprechend die grössten zeitgenössischen Musikerinnen und Musiker bei diesen Labels unter Vertrag.

In der Schweiz verfügen alle drei ­Labels über eine Niederlassung. Nationale Grössen wie Bligg, Patent Ochsner oder Baschi vertreiben ihre Musik auch über deren Kanäle. Aus der Region gibt es neben Megan nur eine Band, die über einen derartigen Vertrag verfügt. Die Indie-Folk-Gruppe The Gardener & the Tree steht bei Island Records unter Vertrag, einem Unterlabel der Universal Music Group. Deren Zusammenarbeit begann offiziell im September 2017 mit der Veröffentlichung ihrer zweiten EP «Mossbo». Die Schaffhauser Band konnte sich damit den neunten Platz in den Charts sichern. (bic)

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