Das Bachschulhaus heizt smart – dank 50 selbstlernenden Thermostaten

Kay Fehr | 
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Benjamin Huber von Viboo, Inteligent Buildings. Hat ein Pilotprojekt im Bachschulhaus gemacht und mir smarten Thermostaten 22 prozent des Wᅢᄂrmesverbrauchts reduziert. Fotografiert am Mittwoch, 11. September 2024, in Schaffhausen. (Roberta Fele
Der Schaffhauser Benjamin Huber ist technischer Leiter des Start-ups Viboo. Sein Ziel: Beim Heizen soll weniger Energie ungenutzt verpuffen. Bild: Roberta Fele

Ein Start-up installiert im Schulhaus am Bach Temperaturregler, die mithilfe von künstlicher Intelligenz den Wärmeverbrauch minimieren – bei gleichzeitigem Komfort. Das spart nicht nur CO2, sondern auch bares Geld. Mittendrin: Der Schaffhauser Unternehmer Benjamin Huber.

Herbst 2023. Im Schulhaus am Bach in Schaffhausen sind Handwerker zugegen. Sie installieren 50 intelligente Thermostate des Start-ups Viboo, die im Rahmen eines Pilotprojekts während der Heizperiode 23/24 aktiv sind. Das Endresultat im Frühling: 22 Prozent weniger Wärmeverbrauch oder umgerechnet rund 13 Tonnen CO2-Einsparung in einem Winter – und das ohne Komforteinbusse für die Schüler- und Lehrerschaft.

Doch was macht Viboo konkret? In der Schweiz haben viele Immobilienunternehmen – aber auch Städte und Gemeinden – das Problem, dass ihre Gebäude energetisch ineffizient sind. «Gebäude sind für circa einen Drittel des Energieverbrauchs verantwortlich», davon entfalle wiederum etwa die Hälfte aufs Heizen, Kühlen und Klimatisieren, sagt Benjamin Huber, Mitgründer des Unternehmens. «Wenn wir in dieser Hinsicht effizienter werden, hat das eine grosse Hebelwirkung.» Das Unternehmen fokussiert sich momentan ausschliesslich auf Nichtwohngebäude wie zum Beispiel Büros, Verwaltungen oder Schulhäuser – dort sei der Marktzugang am effizientesten.

Gebäude werden «schlau»

Ein herkömmliches Heizkörperthermostat vergleicht die Raumtemperatur mit der eingestellten Soll-Temperatur und öffnet das Ventil proportional zum Unterschied dieser beiden Werte. «Das ist allerdings sehr kurzsichtig, so als würde man beim Autofahren nur in den Rückspiegel schauen», so Huber. Die Thermostate, die Viboo nutzt, agieren vorausschauend. «Wir nutzen Messdaten der Thermostate und Sensoren, dazu gehören neben der Raumtemperatur auch Wetterdaten, der Sonnenstand oder die Raumbelegung, um mithilfe von maschinellem Lernen ein Modell zu trainieren, welches das thermische Verhalten des Raumes abbilden kann.»

«Herkömmliche Heizkörperthermostate funktionieren kurzsichtig, so als würde man beim Autofahren nur in den Rückspiegel schauen.»

Benjamin Huber, technischer Leiter beim Start-up Viboo

Nach ein bis zwei Wochen sind genug Daten gesammelt, um das Modell automatisiert zu trainieren. «Dann ist es in der Lage, vorherzusagen, wie sich die Temperatur in jedem einzelnen Raum in den nächsten paar Stunden entwickeln wird, abhängig davon, wie stark wir heizen oder wie kalt es draussen ist.» Mit dieser Information könne man anschliessend optimieren, wann wie viel Wärme in den Raum geleitet werden muss. «So ist der Komfort gewährleistet, während möglichst wenig Energie verbraucht wird», sagt Huber.

Das intelligente System kühlt einen Raum bei Nichtbenutzung aggressiv ab und spart auf diese Weise viel Strom. Zusätzlich antizipiert es die natürliche Erwärmung, wenn etwa ein wolkenloser Tag vorhergesagt wird und die Sonne zu einer bestimmten Zeit in einen Raum scheint – auch hier wird die Heizleistung vorausschauend reduziert.

Start-up trotz 13 Mitarbeitenden

Der 33-Jährige ist technischer Leiter des im März 2022 gegründeten Start-ups, welches ein Spin-off der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa darstellt. Er wuchs in Ramsen auf und wohnt aktuell in Flurlingen. Auch wenn beim Unternehmen mittlerweile 13 Personen arbeiten, betont Huber, dass es sich nach wie vor um ein Start-up handle. Denn profitabel sei man nicht – noch nicht. «Um unser Produkt über die vorausschauende Raumtemperaturregelung hinaus weiterzuentwickeln, braucht es viel Kapital», erklärt er. Ab Ende 2025 werde man sich dann voll aufs Wachstum konzentrieren.

Ein weiteres Argument für den Austausch der Thermostate: Es ist um einiges kostengünstiger als eine klassische Sanierung und dauert weniger lange. Das Bachschulhaus wurde etwa in bloss zwei Tagen umgerüstet. Huber zitiert eine Studie des Energieberatungsunternehmens Gemserv: «Smarte Thermostate haben pro investiertem Franken eine massiv höhere Wirkung als etwa eine Wärmedämmung, was die jährliche CO2-Einsparung betrifft.» Zudem habe man die Kosten für die Thermostate laut Huber bereits in drei Jahren wieder drin, indem man sich Heizkosten spart.

«Für uns ist es auch interessant, zu sehen, wie viele Nutzerinteraktionen es an den Geräten gibt. Daraus können wir einiges über die Komfortansprüche des Nutzers lernen.»

Benjamin Huber, technischer Leiter beim Start-up Viboo

Da Komfort etwas Individuelles ist, können die Thermostate auch manuell bedient werden. «Für uns ist es auch interessant, zu sehen, wie viele Nutzerinteraktionen es an den Geräten gibt. Daraus können wir einiges über die Komfortansprüche des Nutzers lernen», sagt Huber. Man könne etwa die Temperatur jede Woche um ein Grad Celsius absenken (was Energie spart), und dann stoppen, wenn jemand die Heizung wieder hochdreht. Hierbei sind Datenschutz und Cybersicherheit essenzielle Themen. «Alle Daten von Schweizer Kunden werden in der Schweiz gespeichert und komplett anonymisiert», sagt Huber.

Stadt zahlte fünfstelligen Betrag

Das Pilotprojekt am Bachschulhaus kostete die Stadt Schaffhausen einen niedrigen fünfstelligen Betrag. Huber rechnet mit rund 200 Franken pro Thermostat, inklusive Hardware und Lizenz für drei Jahre. Viboo betreibt aktuell bereits 50 Gebäude von über 25 Kunden – darunter Unternehmen wie Swisscom und Rhenus Logistics sowie Gemeinden, Städte und Kantone, zum Beispiel Basel-Stadt – und hat festgestellt, dass typischerweise 20 bis 40 Prozent des Wärmeverbrauchs eingespart werden können.

Ein Nachteil des Systems: Bei unerwarteten Raumbelegungen ist das Zimmer natürlich sehr kühl, das könne man kaum verhindern. Die Alternative wäre allerdings, alle Räume stets aufgewärmt zu halten – energietechnisch suboptimal.

«Beim Heizen werden immer noch zu fast zwei Dritteln fossile Brennstoffe eingesetzt.»

Benjamin Huber, technischer Leiter beim Start-up Viboo

Huber und sein Team tüfteln weiter an ihrem smarten Thermostat. In Zukunft wird das System möglicherweise Belegungsmuster automatisiert erkennen können, da befinde man sich allerdings noch in der Entwicklung, sagt der technische Leiter.

Das Unternehmen testet die Technologie auch fürs Kühlen, der DACH-Markt sei derzeit jedoch eher auf das Heizen ausgerichtet, weshalb Viboo seine Ressourcen in diesem Bereich bündelt. «Ausserdem sind die meisten Kühlsysteme elektrisch und hinterlassen daher einen kleineren CO2-Fussabdruck. Beim Heizen hingegen werden immer noch zu fast zwei Dritteln fossile Brennstoffe eingesetzt», sagt Huber.

Intelligente Temperaturregler im Bachschulhaus: Ein Smart-City-Projekt

Dass Gebäude in Schaffhausen «smart» funktionieren sollen, ist auch im Interesse der Stadtplanung, denn so werde sowohl das Klima als auch das Budget geschont. Im Rahmen der «Smart-City-Strategie», die neue Lösungsansätze für eine innovative Stadt Schaffhausen erarbeitet, hat man sich für eine Zusammenarbeit mit dem Empa-Start-up Viboo entschieden. Initiiert wurde es von «Smart City Manager» Ramon Göldi.

Der städtische Abteilungsleiter Facility Management, Andreas Vonrufs, ist zufrieden mit dem Pilotprojekt beim Bachschulhaus. Auf Anfrage bestätigt er, dass die Thermostate auch künftig im Einsatz stehen werden. «In den kommenden Wochen werden wir weitere städtische Liegenschaften mit smarten Thermostaten ausrüsten», sagt Vonrufs, prioritär solche mit hohen Heizkosten. Es sei geplant, bis Ende 2024 bis zu sechs weitere Objekte auszurüsten, unter anderem die Schulhäuser Zündelgut und Steig. «Die Auswirkung für die Umwelt ist positiv und die Heizkosten werden geringer. Dieses Projekt zeigt, dass Schaffhausen fortschrittlich unterwegs ist», so Vonrufs.

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