Der bissige Buchhalter

Isabel Heusser | 
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Im Parlament wühlt er mit Vorliebe in Zahlenbergen: Hermann Schlatter (SVP). Bild: Eric Bührer

Er ist seit über 30 Jahren Politiker und schlägt gern scharfe Töne an: Heute wird Hermann Schlatter (SVP) wohl zum Präsidenten des Grossen Stadtrates gewählt.

Er machte sich schon darauf gefasst, dass die heutige Wahl für das Präsidium des Gros­sen Stadtrats ungemütlich werden würde. Weil der designierte Präsident Hermann Schlatter (SVP) nicht bereit war, seine Ämter im Bürgerrat und in der Verwaltungskommission der Städtischen Werke während des Präsidialjahres ruhen zu lassen, wollte ihn die SP-Juso-Fraktion nicht wählen. Früher, begründete deren Chef Urs Tanner (SP) die Forderung, sei es üblich gewesen, sich während des Präsidialjahres politisch zurückzunehmen. Übers Wochenende hat es sich Tanner aber anders überlegt: Seine Fraktion will ihn nun doch wählen. An ihrem Standpunkt halten SP und Juso aber fest, ihre Forderung wollen sie aber zu einem späteren Zeitpunkt in einem politischen Vorstoss vorbringen. Schlatter ist erleichtert. Gibt es keine Überraschungen, dürfte er heute mit einem guten Ergebnis zum höchsten Stadtschaffhauser gewählt werden.

«Es ist doch viel spannender, als Schwuler in der SVP statt in der SP zu sein.»

Schlatter ist schon lange in der Politik. 32 Jahre sind es mittlerweile. Er hat den Weg vom Exekutivpolitiker zum Parlamentarier vollzogen: Als 34-Jähriger wurde er zum Gemeindepräsidenten von Hemmental gewählt, vier Jahre zuvor war er erst Gemeinderat geworden. Grosse Lorbeeren habe er sich verdient als OK-Präsident «900 Jahre Hemmental» im Jahre 1990, sagt Schlatter. Er blieb Gemeindepräsident, bis Hemmental 2008 mit Schaffhausen fusionierte. Damals habe er eigentlich aufhören wollen mit der Politik. Aber weil er als Kämpfer für die Fusion Bekanntheit erreicht hatte, bat ihn die städtische SVP, als Zugpferd für den Grossen Stadtrat zu kandidieren. Er tat es – und wurde gewählt.

Lieblingsgegner: Peter Neukomm

Zehn Jahre ist das jetzt her. Doch, doch, das Engagement im Parlament mache ihm auch heute noch Spass, sagt Schlatter. «Obwohl man viel weniger bewirken kann als in einer Exekutive. Im Grossen Stadtrat ist man einer von 36.» Und fügt dann an: «Aber eigentlich kann man doch einiges erreichen.» 22 Vorstösse hat er bisher eingereicht. Seine Spezialität ist die Finanzpolitik. Schlatter wühlt leidenschaftlich gern in Zahlenbergen. «Im Grundsatz bin ich Buchhalter», sagt er, der beruflich als stellvertretender Leiter der kantonalen Steuerverwaltung tätig ist. In der GPK etwa ging Schlatter 2013 der massiven Kostenüberschreitung beim Künzle-Heim-Neubau auf den Grund. Als langjähriger Vorsitzender der SVP-EDU-Fraktion hat er das Profil der SVP im Parlament geprägt. Sein Grossstadtratskollege, SVP-Kantonalpräsident Walter Hotz, sagt: «Hermann Schlatter ist ein dossier- sicherer Politiker mit grossem Erfahrungsschatz, der sich in den letzten Jahren als Fraktionschef stark engagiert hat.» Menschlich schätze er ihn als gradlinigen, geselligen und grosszügigen Menschen.

Schlatter ist keiner, der oft ans Rednerpult schreitet im Parlament. Aber wenn, dann wählt er meist scharfe Worte. «Er ist zweifellos fair und fähig, aber politisch kantig und kompromisslos», sagt Grosstadt­rätin Iren Eichenberger (Grüne).

Immer mal wieder liefert sich Schlatter einen Schlagabtausch mit Stadtpräsident Peter Neukomm (SP). An der letzten Budgetsitzung etwa stritten sich die beiden darüber, wie politisch eine Quartierzeitung sein darf. Hintergrund war die Bericht- erstattung Schlatters aus dem Parlament in der «Hämedaler-Poscht», die Neukomm als zu stark parteipolitisch gefärbt empfand. Schlatter ärgert sich noch heute über die Diskussion: «Die Quartierzeitung wird durch den Hemmentaler Fonds finanziell unterstützt, da müssen wir uns nicht vom Stadtrat vorschreiben lassen, was reindarf und was nicht.»

Als Ratspräsident ist Schlatter angehalten, die Sitzungen neutral zu leiten. «Ich muss lernen, in diesem Jahr auf den Mund zu sitzen», sagt er. Zwar sei seine Rolle recht klar definiert, trotzdem gebe es Aspekte, denen er besondere Aufmerksamkeit schenken wolle. So möchte er sich dafür einsetzen, dass die noch hängigen Vorstösse von Grossstadträten – laut Schlatter sind es 15 – speditiv behandelt werden. Was ihm im letzten Jahr aufgefallen ist: «An den Sitzungen wird zu viel dreingeschwatzt, wenn jemand redet», sagt er. «Das geht einfach nicht. Es braucht eine gewisse Disziplin.»

Im Parlament herrscht zuweilen ein rauer Umgangston. Bei manchen Vorlagen – zum Beispiel bei der Quartierparkierungsverordnung – tun sich tiefe parteipolitische Gräben auf, die Voten sind teilweise gehässig. «Das stimmt schon», sagt Schlatter. «Aber wie man am Apéro nach der letzten Sitzung vor Weihnachten gesehen hat, können wir nach einer intensiven Debatte alle gemeinsam ein Bier trinken und einander in die Augen sehen.»

2019 stehen in der Stadt einige gewichtige Projekte an, welche das Parlament mitgestaltet. Die Entwicklung der Kammgarn West etwa oder des Stadthausgevierts. Möglicherweise wird sich das Parlament nochmals mit dem Budget befassen müssen: dann, wenn das Referendum der SVP zur Steuerfusserhöhung angenommen wird.

Noch ein bisschen weitermachen

Politisch schert Schlatter nicht aus bei der SVP. Tiefe Steuern, unternehmerfreundlich, eine straffe Verwaltung und ein kritischer Blick auf den gemeinnützigen Wohnungsbau und die Kulturförderung: Da fährt er auf der gleichen Schiene wie seine Schaffhauser Parteikollegen. Privat weniger. Schlatter ist homosexuell und lebt mit seinem Mann in Hemmental. Die beiden sind seit 25 Jahr ein Paar. Schwul und SVP-Mitglied – wie geht das zusammen? Die Partei gilt als wenig homosexuellenfreundlich, einzelne Exponenten äussern sich bisweilen abschätzig über Schwule und Lesben. «Es ist doch viel spannender, als Schwuler in der SVP statt in der SP zu sein», sagt Schlatter und lacht. «Da kann man wenigstens noch etwas bewirken.» Sein Coming-out im Jahr 1994 sei zwar nicht einfach gewesen, sagt Schlatter. «Ich habe natürlich gemerkt, dass die Leute über mich reden und unsicher sind, wie sie mir begegnen sollen.» Doch sowohl in Hemmental als auch vonseiten seiner Parteikollegen habe er nie negative Reak-tionen erhalten. Als Botschafter der Schwuler sieht sich Schlatter nicht. «Aber ich will zeigen, dass Homosexuelle ganz normale Menschen sind.»

In drei Jahren wird Schlatter pensioniert. Politisch will er noch ein bisschen weitermachen – im Grossen Stadtrat. Er kann sich eine weitere Amtszeit vorstellen. Dann sei aber auch mal gut: «Ich habe nicht vor, mit 70 noch im Parlament zu sitzen.»

Viele Wahlen und eine Vorlage

Neben der Wahl ins Präsidium des Grossen Stadtrates, für das Hermann Schlatter vorgesehen ist, werden die erste Vizepräsidentin und der zweite Vizepräsident sowie die Stimmenzähler gewählt. Schliesslich folgt je eine Ersatzwahl in die Geschäftsprüfungskommission und in die Verwaltungskommission der Städtischen Werke SH Power. Traktandiert sind weiter die Vorlage des Stadtrates zur Tempo-30-Zone Vorderenge und im Radacker und die Inpflichtnahme des neuen Ratsmitglieds Nicole Gfeller (SP). (heu)

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