Hier entdeckt man immer wieder Neues

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In der Schaffhauser Unterstadt ist im Sommer immer etwas los, und das Unterstadtfest am Wochenende wird noch einmal mehr Besucher anziehen. Anlass genug, das Viertel an der Schifflände und seine Geschäfte etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.

von Maria Gerhard und Alfred Wüger

Die Unterstadt hat ihren ganz eigenen Charakter. Wenn man vom Fronwagplatz her kommt und zur Schifflände geht, wirkt sie zwar wie ein Anhängsel. Kommt man aber mit dem Rheinschiff an, dann ist das ehemalige Hafenviertel von Schaffhausen so etwas wie die Visitenkarte der Stadt: das Erste, was man sieht.

Unattraktiv ist die Strasse nicht. Es gibt einen Laden für den täglichen Bedarf, Restaurants praktisch Tür an Tür, Eisdielen, ein Gitarrenfachgeschäft, eine Apotheke mit Poststelle, eine Önothek. Und beim Scala-Platz an der Bachstrasse kann man sogar eine Wasserpfeife schmauchen.

Im schönsten Atelier der Stadt

Dort, gleich über dem Schaffhauser Altstadt-Kino, sind hinter einer grossen Glasfront Stoffballen zu erkennen. An der Klingel im Erdgeschoss steht Kleider & Design. Der Türöffner summt, es geht eine dunkle Treppe hoch. Helena Ulrich betreibt hier seit bald 20 Jahren ein Schneideratelier. Betritt man es, fällt plötzlich alle Hektik von einem ab. Auch wenn auf der Bachstrasse die Autos vorbeifahren, hört man fast nichts. «Ich hab das schönste Atelier in Schaffhausen», sagt die Schneiderin. Ulrich nimmt Änderungen vor, schneidert aber auch viele Braut- und Festkleider. Ihr Geschäft betreibt sie aus Leidenschaft. Sie ist keine Geschäftsfrau, wie sie sagt. Sonst hätte sie den Laden vielleicht auch schon lange zugemacht. «Die klassische Zeit der Schneider ist vorbei, wir sind Exoten.» Es sind hauptsächlich die Billigketten, die den Markt dominieren, echte Qualität ist heute selten gefragt. In den letzten drei Jahren hat sie eine Durststrecke erlebt, sagt Ulrich. Heute kommen wieder mehr Kunden.

Die Schneiderin ist mit ihren Nöten nicht allein. Da ist zum Beispiel der Laden von K. Hanspeter Brand, die Munot Briefmarken AG. Während vor seinem Schaufenster Jugendliche mit Eistüte vorbeischlendern und bei der Pizzeria Romana alle Tische belegt sind, steht er hinter seiner Geschäftstheke und wartet auf Kundschaft. Seit 35 Jahren gibt es das Geschäft, sogar aus Deutschland kommen Sammler. Die teuerste Marke hier hat einen Wert von rund 3000 Franken. Das sei nicht so teuer. «Spitzen­stücke für 170 000 Franken kauft hier aber keiner», sagt Brand. «Solche Werte werden nur an Auktionen gehandelt.» Manchmal kommt es vor, dass Touristen spontan sein Geschäft betreten und ihn fragen, ob er ihre Sammlung aufkaufen wolle. «Dann sage ich immer: ‹Ja, aber ich will sie sehen›», so Brand. Wie es einmal weitergeht mit seinem Geschäft, wenn er nicht mehr kann, weiss er heute noch nicht.

«Viele leben von der Substanz»

Ebenfalls aus der Unterstadt nicht mehr wegzudenken ist Gert Heil mit seinem Antiquariat Bücherwurm. Eine Anlaufstelle für viele, denn fast immer, wenn man am Laden mit den davor ­aufgestapelten Büchertürmen vorbeikommt, ist ein Kunde mit dem Inhaber in ein Gespräch vertieft.

«In der letzten Zeit mussten viele hier von der Substanz leben», sagt der Antiquar und rechnet auch sich selbst dazu. «Am Ende des Monats sind zwar die Rechnungen bezahlt, aber ich habe noch keinen Lohn», sagt er und verhehlt nicht, dass ihm die Zustüpfe seiner Frau höchst willkommen sind. Vor der Eurokrise sei das alles anders gewesen, aber der Euro sei natürlich nur ein Aspekt von vielen.

Regen hat eingesetzt, ein Passant steckt den Kopf herein: «Hast du einen Schirm?» Heil sucht und findet. «Aber ich brauche ihn wieder.» Der Passant eilt davon. «Viele hier, auch ich, gehen auf das Pensionsalter zu», sagt Gert Heil, «und was kommt dann?»

Alleinstellungsmerkmal ist wichtig

Eines der buntesten Schaufenster in der Unterstadt hat die Chrüterdrogerie von Jörg Egger. Fläschchen mit einer zweifarbigen Emulsion reihen sich dort aneinander, sie sind Bestandteil einer Farbpflegetherapie. «Das Unterstadtfest ist für uns Unterstädtler etwas Besonderes», sagt Egger. Wie es denn wirtschaftlich so laufe? «Das ist nicht gerade die Frage, die zur Feststimmung passt», meint er. «Jedes Geschäft muss sich anstrengen. Wir bemühen uns mit immer neuen Attraktionen, unsere Kunden bei der Stange zu halten.» Am morgigen Unterstadtfest wird zum Beispiel Lavendelöl destilliert, sodass die Kinder damit eine Salbe anrühren können.

Die Chrüüterdrogerie ist ein ausgesprochenes Spezialgeschäft. Das sei auch nötig als Alleinstellungsmerkmal, sagt Egger, aber: «Für viele ist der Weg vom Fronwagplatz zu uns in die Unterstadt zu weit.» Und die Touristen? Ja, sagt er, die Touristen würden die Strasse schon sehr beleben, aber dass jemand spontan in den Laden komme, das komme eigentlich nicht vor. Vor dem Geschäft steht gerade eine Gruppe und lauscht den Ausführungen ihres Stadtführers.

Viele Restaurants

Gang und gäbe ist aber, dass Touristen an den Tischen der Restaurants und der Pizzerien sitzen. Und dabei schon auch mal mit Einheimischen, die hier essen, ins Gespräch kommen. Die Gastronomie ist in der Unterstadt sehr gut vertreten.

Wer schon länger in der Stadt lebt, hat noch im Ohr, wie sehr sich die Unterstädtler gegenüber dem oberen Teil der Altstadt vernachlässigt fühlten. Das war auch der Grund, warum sie gegen die – einst mächtige – Pro City eine eigene Interessengemeinschaft auf die Beine stellten. Von den Zwistigkeiten scheint heute aber nicht mehr viel übrig zu sein. Und mehr Grund, sich zu beklagen, habe heute der obere Teil der Altstadt, wie der Präsident der IG Unterstadt, Thomas Peter, sagt.

 

Die Unterstadt im Wandel der Zeit

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