Die Ära einer berühmten Sportstätte mit tausend Geschichten endet

Daniel F. Koch | 
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Das Ende einer Ära wird am Sonntag stattfinden, wenn der FC Schaffhausen zum letzten Spiel des Jahres bittet. Der Stadtclub zieht um und spielt ab Februar 2017 im neu erstellten Lipo-Park im Herblingertal.

Am Sonntag endet mit dem Heimspiel in der Challenge League zwischen Gastgeber FC Schaffhausen und dem FC Chiasso voraussichtlich die seit dem 14. August 1950 andauernde Ära des Fussballs im Stadion Breite. Auch wenn die Partie vom Sonntag der Vergleich zwischen dem Vorletzten (FCS) und dem Letzten (Chiasso) ist, auf der Breite sahen die Zuschauer auch schon bessere Partien.

Als 1950 der Platz mit einem Spiel gegen den FC Romford London, «ein Vertreter aus dem Geburtsland des Fussballs» (so die Ankündigung), ­waren die Offiziellen des Clubs und die Vertreter der Politik voll des Lobes über die neue Sportstätte. Der Berichterstatter der «Schaffhauser Nachrichten» schrieb: «Die neue Sportplatz­anlage darf man ruhig als kleines Schmuckstück bezeichnen. Obwohl das Ganze betont einfach und zweckmässig geplant und eingerichtet worden ist, bietet es in seiner aufgelockerten Form und terrassenartigen Anordnung einen sauberen Anblick. Zieht man dazu die freie, fast unverbaute Lage und den Ausblick auf den grünen Ring des landschaftlichen Hintergrunds in Betracht, so kann man den Behörden und beteiligten Firmen nur gratulieren für das gelungene Werk, ebenso den Sportlern und Sportfreunden dafür, dass sie in Zukunft diese schöne Anlage benüt- zen können. Zur Einweihung hatten sich schätzungsweise dreitausend Zuschauer (Zaungäste mit eingerechnet!) eingefunden.»

Schwingen, Musikfest etc.

In den Jahrzehnten seit der Eröffnung konnten die Besucher der Breite vieles erleben. Es wurden fussballfremde Veranstaltungen wie Schwingfeste (Kantonal- oder sogar zweimal Nordostschweizer Schwingfeste) sowie ein Kantonal-Musiktag oder Turnwettkämpfe vor der altehrwürdigen Tribüne geboten. Wie der ehemalige FCS-Spieler Kurt Grünig sich erinnert, gab es darum eine Diskussion. «Der FCS hat damals dem Stadtrat den Vorschlag gemacht von einem Provisorium abzusehen und dem FCS zu gestatten, mit einem Eigenbeitrag von 60 000 Franken eine Tribüne zu erstellen. Mit einem von Architekt Ed. Lenhard ausgearbeiteten Projekt und mit FCS-Anteilscheinen wurde dies auch realisiert», so Grünig. Am meisten wurde die Anlage natürlich von den Fussballern benutzt. Dabei reichten die Darbietungen der heimischen Fussballer von der Mitwirkung in der 2. Liga bis hinauf zur Nationalliga A oder in der Neuzeit zur Super League. Während der meisten Zeit präsentierte sich der FC Schaffhausen aber als Mitglied der zweithöchsten Liga der Schweiz. Egal, ob die Nationalliga B hiess oder – wie heute – marketingtechnisch in Challenge League umbenannt wurde.

Ein abgerissener Finger

Viele Geschichten und Anekdoten ranken sich über oder um das Stadion Breite. Viele namhafte Clubs traten im Stadion an. Einmal, im Juli 2007, war das Stadion mit über 7500 Zuschauern offiziell ausverkauft. Zu Gast war damals der FC Bayern München unter Trainer Ottmar Hitzfeld mit allen Weltstars wie beispielsweise Torhüter Oliver Kahn, dem Franzosen Franck Ribery, dem Italiener Luca Toni oder Deutschlands Nationalstürmer Miroslav Klose. Über 7000 Gäste kamen auch, als der FC Schaffhausen unter Jürgen Seeberger letztmals in der höchsten Schweizer Liga spielte. 7250 Zuschauer wollten das Super-League-Spiel gegen den FC Basel sehen. Gross war der Jubel, als der kleine FCS den berühmten FCB (Trainer Christian Gross) mit 1:0 besiegte. Bei den älteren FCS-Fans ist die Partie vom 28. November 1954 in bleibender Erinnerung geblieben. Damals kamen rund 7500 Fans zum Derby gegen den FC Winterthur. Das werde noch heute als Rekordzahl angesehen, so Alfred Meister, Autor des Buches «100 Jahre FC Schaffhausen». Die Liste mit herausragenden Besucherzahlen könnte man noch um viele Beispiele verlängern. Europaweit machte das kleine Stadion am 5. Dezember 2004 Schlagzeilen, als der damalige Servette-Spieler Paulo Diogo einen Treffer erzielte. Beim Torjubel blieb der portugiesisch-schweizerische Doppelbürger mit seinem Ehering am Zaun hängen und verlor dabei ein Glied seines Ringfingers. Das Bild des schreienden Diogo, der seine blutüberströmte Hand mit viereinhalb Fingern in die Luft reckte, ging um die Fussball-Welt. Der Spieler, der in der darauffolgenden Saison selber auf der Breite anheuerte und für den FCS antrat, wurde sogar noch verwarnt.

Die Breite: Start einer Karriere

Dass die Breite für einige namhafte Spieler (und Trainer) der Startort für eine grosse Karriere war, ist ebenso eine Tatsache. Einer der ersten war Eugen «Geni» Meier, der kurz nach der Platzeröffnung nach Bern wechselte und dort Nationalspieler wurde und zum Kultstürmer aufstieg. Meier gilt mit seinen 249 geschossenen Toren in der höchsten Schweizer Spielklasse als einer der besten Schweizer Stürmer aller Zeiten. Weitere Internationale waren Kurt ­Rüegg, Stefan Lehmann und Othmar «Omi» Iten oder Roberto Di Matteo (für Italien). Mit Josef «Jupp» Derwall war der spätere deutsche Nationaltrainer auf der Breite beschäftigt, ebenso wie die namhaften Kollegen Josef «Pepi» Smistik oder Toni Allemann. In der jüngeren Vergangenheit sind vor allem die Namen Joachim «Jogi» Löw, Roberto Di Matteo oder Rolf Fringer hervorzuheben. Löw, der Weltmeistertrainer von Deutschland, stand in seiner Schaffhauser Zeit als Captain mit Rolf Fringer und Roberto Di Matteo im selben Team. ­Fringer wurde später Schweizer Nationaltrainer. Di Matteo, der 38-fache italienische Internationale, wurde Champions-League-Sieger als Trainer des FC Chelsea. Auch international war die Breite vor allem bei U-Spielen gefragt. So kamen zum Spiel Schweiz gegen Deutschland im März 1978 immerhin 6200 Zuschauer.

In all den vielen Jahren konnte man im Fussballstadion Breite zahlreiche nationale Fussballgrössen auf der in die Jahre gekommenen Haupttribüne antreffen. Viele kamen als Trainer, um Gegner zu studieren oder den einen oder anderen interessanten Spieler zu beobachten. Der Vorteil des familiären Stadions war dabei nicht zu unterschätzen. Man konnte sich ohne grosse formale Bedingungen mit den Prominenten normal unterhalten. Ohne Berührungsängste oder vorgeschaltete PR-Beauftragte.

Das Stadion selber hatte in früheren Zeiten den Ruf, eine Festung zu sein. «Immer wenn wir im Mannschaftscar die Breite hinauffuhren, wurde uns ganz mulmig», hatte einst ein ehemaliger NLB-Fussballer erzählt, als man ihn auf die Spielstätte des FC Schaffhausen ansprach. Viele Jahre lang stolperten immer wieder favorisierte Mannschaften auf dem Fussballplatz oberhalb von Schaffhausen. In der FCS-Geschichte taucht der Club alle paar Jahrzehnte in der höchsten Liga auf. Ansonsten genoss der FCS den Ruf ein typischer Cupclub zu sein. Zwar nicht so erfolgreich wie der kürzlich anwesende FC Sion, aber immerhin so gut, dass etliche Grossclubs auf der Breite scheiterten. Diese Stärke brachte den Provinzclub immerhin gleich zweimal in den Schweizer Cupfinal. 1988 unter Trainer Roland Frei und 1994 unter Heinz Bigler mobilisierte dieses Ereignis Tausende von Fussballfans, die den heimischen FCS zum Cupfinal nach Bern begleiteten. Auch wenn beide Partien verloren wurden, blieben die Auftritte auf der nationalen Bühne kollektiv im Gedächtnis haften.

Im Fussball wird die Tradition eines Clubs immer sehr hoch eingeschätzt. Der im Jahre 1896 gegründete FC Schaffhausen kann davon viel bieten. Und die Geschichte eines der ältesten Schweizer Clubs ist dabei sehr eng mit dem Stadion Breite verbunden.

Und wird es auch bleiben, auch wenn das nächste Kapitel mit dem Lipo-Park in wenigen Wochen aufgeschlagen wird.

Erinnerungen und Stimmen zum Stadion Breite

Joachim Engesser(noch immer der mit Abstand erfolgreichste Torschütze in der Geschichte des FC Schaffhausen, heute 53): «Das heutige Stadion kann nicht mit dem zu meiner Zeit verglichen werden. Damals war die Breite so richtig heimelig mit einer von mir gefühlten schönen Atmosphäre. Wenn im Stadion mehrere Tausend Zuschauer waren, war es richtig geil, da zu spielen. Ich habe immer sehr gerne auf der Breite gespielt. Zuletzt war ich beim Cupspiel gegen Sion im Stadion.»

Stephan Lehmann(ehemaliger Schweizer Nationaltorhüter, Ex-Trainer und langjähriger Goalietrainer, der heute in der Gastronomie arbeitet, 53): «Auf der Breite hat man sich zu Hause gefühlt. Vor allem wenn man wie ich die ganze Juniorenzeit dort verbracht hat. Der Weg die Steig hinauf ist mir in Fleisch und Blut übergegangen. Ich habe dort sehr viel Zeit verbracht. Auch für die Gegner war der Weg zum Stadion speziell, vor allem weil die wussten, dass sie dort nichts Angenehmes erwartet. Gerne erinnere ich mich noch an Cupspiele, wenn die Luft gebrannt hat, weil wir den einen oder anderen Grossen aus dem Wettbewerb ­geworfen haben.»

Kurt Grünig(ehemaliger NLA-Spieler und kritischer Begleiter der Entwicklung im modernen Fussball): «Das Stadion Breite war zur damaligen Zeit unsere Heimat und der FCS unsere Familie. Wer als Gegner auf die Breite gekommen ist, der wusste, dass er gegen Spieler antritt, die immer alles für ihre Farben gegeben haben. Wenn wir das gelb-schwarze Leibchen abgezogen haben, waren wir trotzdem immer noch durch und durch FCSler. Diese Identifikation vermisse ich bei den Spielern. Die Zeiten haben sich geändert. Das muss man akzeptieren.»

Christian Stübi(Spieler und langjähriger Manager beim FC Schaffhausen, heute Sportchef beim Super Ligisten FC St Gallen: «Ich habe nur die besten Erinnerungen an die Breite. Für mich als Spieler war es toll, weil die Spieler so nahe am Geschehen sind. Vor der lautstarken Bierkurve zu spielen, gab einem Spieler immer wieder einen Motivationsschub. Während unserer Zeit in der Super League war es jedes Mal ein toller Anblick, wenn man das optisch volle Stadion sah. Das war immer verbunden mit einer sehr guten Stimmung. Und da hatte man immer viel Spass.»

Rolf Fringer(ehemaliger Spieler und Trainer des FCS sowie ehemaliger Schweizer Nationaltrainer, Trainer und Sportchef diverser Super-League-Clubs): «Als Spieler war es vor allem die Nähe zu den Zuschauern und zu den vielen Kollegen, die man gekannt hat. Zudem hatte man immer etwas Angst vor Regen, weil man wusste, der Platz wird schwer zu bespielen und tief. Das ganze Gebiet Breite und die Clubtradition waren ein Stück Heimat. Geblieben sind viele angenehme Erinnerungen, vor allem an grosse Cupauftritte, als wir einmal St. Gallen vor über 5000 Zuschauern aus dem Cup warfen, sowie an die Zusammenarbeit mit Fussballgrössen wie Jogi Löw, Roberto Di Matteo und Axel Thoma. Das war schon etwas Aussergewöhnliches. Darum steht die Breite für mich für den Beginn meiner Karriere im Fussball. Und das ist eine bleibende Verbindung.

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