Touristen am Rheinfall begeben sich für das perfekte Selfie in Lebensgefahr

Ralph Denzel | 
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Selfie-Jäger auf den Felsen am Rheinfall - ein gefährlicher Leichtsinn. Bild: Pixabay/Screenshot - Montage OPP

Immer wieder machen Besucher am Rheinfall gefährliche Bilder von sich. Das Niedrigwasser begünstigt diesen Trend – und, dass die Zuständigkeiten vor Ort unklar sind.

Shy und seine Freundin sind extra aus Israel gekommen um den Rheinfall zu sehen. Heute geht ein kühler Wind, auch wenn die Sonne scheint. Die Flagge auf dem Rheinfallfelsen flattert über dem Becken, während Shy seine Freundin vor der Kulisse platziert. Sie stehen am oberen Teil des Rheinfalls, in der Nähe der SIG. Sie lehnt sich ans Geländer, Shy macht ein Foto von ihr. Wie die meisten Touristen scheint er den Rheinfall eher durch die Linse seines Handys zu sehen als mit den eigenen Augen. Das Paar drückt sich aneinander, lächelt in die Kamera und hält sie vor sich. Ein Selfie muss auch sein.

Wir sprechen Shy an - das Selfie, das er gerade gemacht habe, sei uns aufgefallen. Er lächelt freundlich und antwortet auf Englisch: «Hier ist es auch schön.» Wir stehen auf einer Aussichtsplattform, direkt oberhalb der Mühle. Dort, wo bei Niedrigwasser die Steine freiliegen.

 

 

Es wirkt ruhig hier, auch wenn das Tosen des Wasserfalls ein Dauerbegleiter ist. Ob er sich vorstellen könnte, auch auf den Steinen ein Selfie zu machen. Er schaut im ersten Moment irritiert. «On the rocks?», fragt er und klingt, als hätten wir ihn gerade gefragt, ob er sich kopfüber den Felsen in der Mitte hinabstürzen wolle. «Nein, auf gar keinen Fall – das sieht mir zu gefährlich aus.»

Nicht alle denken so wie Shy. Das Ehepaar Wies aus Frankfurt - die beiden sind vielleicht in ihren Sechzigern - das mit seinem schwarzen Mischlingshund vorbeikommt, beantwortet die Frage mit dem Worten: «Ach, wenn wir jünger wären, dann würden wir das sicher auch machen.» Es gäbe ja ein schönes Motiv.

Ein Ehepaar aus Aarau, das nicht namentlich genannt werden will, findet hingegen deutliche Worte, was sie davon halten: «Wer sowas macht, der ist doch bescheuert!»

 

 

Scrollt man durch Instagram und sucht nach dem Hashtag Rheinfall, sieht man aber schnell: Viele Menschen denken nicht so wie das Aarauer Ehepaar. Die Devise auf Instagram lautet vielmehr: Die eigenen Bilder sollen um jeden Preis auffallen. Je ausgefallener das Selfie, desto besser. So überrascht es auch nicht, dass man bereits nach wenigen Fotos die ersten findet, die nach der Definition des Ehepaars «bescheuert» sein müssten.

Selfie-Wahn – teils bis zum Tod

Die Wissenschaft hat das Phänomen, dass auf der Jagd nach dem besten Selfie und dem nächsten Like immer mehr Risiken eingegangen werden, auch bereits erfasst. So gibt es Studien, wonach vor allem Inder besonders waghalsige Seflies machen. Veröffentlicht wurde diese Erkenntnis unter anderem im «Journal of Family Medicineand Primary Care». Besonders erschreckend: Das Durchschnittsalter von Selfie-Toten liegt demnach bei 23 Jahren.

Welche Bevölkerungsgruppne am Rheinfall durch besonders verrückte Bilderideen auffallen, konnte uns auf Anfrage niemand sagen. Hingegen bestätigte uns sowohl die Verwaltungspolizei Neuhausen als auch der Polizeiposten am Rheinfall, dass das Problem bekannt sei – nur machen könne man fast nichts dagegen.

Was kann man gegen Selfie-Jäger machen?

Ein Problem ist die Frage der Zuständigkeit. So liegt der Rheinfall zwar in der Gemarkung von Neuhausen und unterliegt so auch dem Verantwortungsbereich der Verwaltungspolizei Neuhausen, aber andererseits ist auch der Kanton dafür zuständig – womit ebenso die Kantonspolizei die Verantwortung hätte.

Unsere erste Anlaufstelle auf der Suche nach einem Zuständigen ist die Verwaltungspolizei Neuhausen. Diese bestätigt auf Anfrage: «Das Problem ist uns bekannt. Wir haben auch schon öfter Touristen darauf hingewiesen, dass solche Bilder gefährlich sind.» Auch habe man öfter die Kantonspolizei informiert, wenn Selfie-Jäger keine Einsicht zeigten. Das Problem bei beiden: «Generell ist es nicht verboten, auf die Steine zu gehen», so die Verwaltungspolizei Neuhausen.

Ein Polizist, der dabei nicht namentlich genannt werden möchte, sagt zu diesem Sachverhalt: «Die Verantwortung liegt eigentlich beim Kanton – und dort gibt es meines Wissen derzeit keine Bestrebungen, etwas zu ändern.» So wäre laut seiner Aussage mindestens ein Verbotsschild notwendig, wenn nicht sogar ein höheres Geländer. Denn jetzt kann selbst eine ungeübte Person ohne Probleme auf die Felsen gelangen.

 

 

Auch beim Polizeiposten am Rheinfall kennt man das Problem – und die gebundenen Hände in dieser Sache. So sagt uns Michael Bradler vom Polizeiposten der Kantonspolizei am Rheinfall: «Wir können letztlich nicht mehr machen als den Leuten sagen, dass sie zurückkommen sollen, da es gefährlich ist.» Eine andere Handhabe haben die Polizisten nicht. «Es fehlt momentan schlicht die Gesetzesgrundlage.»

Fragt man bei Tiefbau Schaffhausen nach, wo man für die Flächenbewirtschaftung am Rheinfall zuständig ist, ist man sich dort der Problematik auch bewusst. Verständnis für die «Felsenkletterer» hat man dort allerdings wenig. So sagt uns Kantonsingenieur Dino Giuliani: «Es gibt ein Geländer, eigentlich sollte es dann klar sein, dass man dann nicht rübersteigt.» So sollte es auch im Eigeninteresse der Leute liegen, dass man sich für ein Foto nicht in Gefahr begebe. Das Baudepartement sei darauf aufmerksam gemacht worden und wolle nun tätig werden. «Ein Problem dabei sind auch die sozialen Medien. Bilder von Leuten, die sich auf den Felsen ablichten, verbreiten sich sehr schnell und das nimmt dann auch in gewisser Weise die Hemmschwelle», so Dino Giuliani.

Warnschild wird montiert - aber was nützt das?

Er unterstreicht auch nochmal: «Es ist doch offensichtlich, dass man da nicht drüber steigen sollte. Da aber manche es trotzdem machen, ziehen wir jetzt Konsequenzen und montieren ein Warnschild.» Auf diesem soll vermerkt sein, dass der Kanton jegliche Haftung ablehne, sollte etwas passieren. Eine andere Lösung, abseits eines Schildes, lehnt er ab: «Wir müssen ja auch noch dafür sorgen, dass die Besucher den Rheinfall angemessen erleben können.»

Was dieses Hinweisschild letztlich bedeutet, ist allerdings eine Frage, die nicht beantwortet werden kann. Denn ob und wie es zu Konsequenzen kommt, sollte jemand trotz Schild über das Geländer steigen, liegt laut Aussage des Baudepartements in der Entscheidungsgewalt der Polizei. Fragt man jedoch dort nach rechtlichen Konsequenzen, wird man wieder an das Baudepartement verwiesen. Die Frage der Zuständigkeit scheint auch hier nicht wirklich klar.

Wann das Warnschild kommt, ist noch unklar. Bild: Bruno Sternegg

Immerhin: Eine Konsequenz wurde bereits gezogen. So hat die Schaffhauser Polizei in den letzten Tagen rotes Absperrband angebracht um es «kenntlicher zu machen, dass man dort eigentlich nicht rübersteigen sollte», wie Mediensprecherin Cindy Beer von der Schaffhauser Polizei sagt.

Die Polizei Schaffhausen hat reagiert. Bild: Bruno Sternegg

Spätestens wenn es wieder mehr Wasser gibt, wird sich das Problem aber vielleicht auch ganz von selbst lösen – oder auch nicht. Im Fluss sieht der Rheinfall noch spektakulärer aus. Und somit auch Selfies.

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