Löhninger Beizensorgen
Die Sommerferien sind vorbei, und auch die SN-Sommerserie neigt sich dem Ende zu. Zum Abschluss geht es heute noch einmal ins Klettgau, und zwar nach Löhningen.
Das Dorf
Löhningen liegt im Klettgau und zählt nicht ganz 1500 Einwohner. Bereits im Jahr 779 wurde Löhningen erstmals erwähnt («Loninga»). Das Wappen mit dem Kleeblatt gibt es seit 1949, zuvor gab es eines mit einem Rebmesser – der Weinbau ist für Löhningen sehr wichtig.
von Maria Gerhard und Zeno Geisseler
Ein Dorf, drei Beizen: Das ist Löhningen. Es könnten aber auch nur zwei Beizen sein. Oder eine. Oder anderthalb. Oder zweieinhalb. Es kommt darauf an, wie man zählt.
Früher, da gab es in der Gemeinde im Schaffhauser Klettgau vier Restaurants: den «Bahnhof» (eine Erinnerung an die Zeit, als noch die Strassenbahn von Schaffhausen aus nach Schleitheim rumpelte), den «Engel», das «Rössli» und den «Hirschen». Sie alle sind inzwischen verschwunden – der «Hirschen» sogar physisch: 2009 wurde das Haus, bekannt für seine Wandmalereien, ein Raub der Flammen. Die Spuren, meldete die Polizei damals, deuteten auf Brandstiftung hin. Doch die Ermittlungen verliefen im Sand, das Verfahren wurde eingestellt. Erst 2015 wurde mit dem Wiederaufbau begonnen.
Auf und zu, auf und zu
Bald kam heraus, dass es im «Hirschen» ein paar Leichen im Keller gab – wortwörtlich: Unter dem Schutt der Brandruine wurden 15 Gräber aus dem 7. Jahrhundert entdeckt. Die Archäologen waren begeistert, die Bauherren weniger. Sie fürchteten um ihren Zeitplan. Dann folgte ein Rechtsstreit wegen einer Tiefgarage, und im Juni 2018 schliesslich doch noch die Eröffnung – aber mit einem neuen Namen. «Chläggi-Stübli» heisst der «Hirschen» nun. Der alte Name sei zu belastet gewesen, sagen die Inhaber, die Brüder Fredian und Danjell Nue.
Das «Chläggi-Stübli» positioniert sich als Fleisch-Restaurant. Ihr Filet und ihr Tatar seien das beste weit und breit, sagt Fredian Nue. Wir erhalten einfachere Kost. Als Tagesmenü gibt es Chicken Nuggets mit Reis und Gemüse oder Spaghetti mit Tomatenpesto, dazu Salat. Normalerweise hätte es auch Pizza, doch der Ofen ist gerade kaputt.
Neben uns isst ein älteres Paar. Es kommt aus Österreich, wie die Autonummer bei der Abreise verraten wird. Schweigend nehmen die zwei ihr Mittagsmahl zu sich. An einem dritten Tisch sitzen ein paar Handwerker. Ein gutes Dutzend Tische drinnen und draussen bleiben unbesetzt.
Wird sich das «Chläggi-Stübli» halten können? Das ist die grosse Frage, denn Löhningen, schrieb Dorfchronist Markus Müller 2016 in den SN, «ist ein hartes Pflaster für Gastronomiebetriebe». Der «Hirschen» machte immer wieder zu. 1990 wurde das Haus sogar der Gemeinde zum Kauf angeboten. Diese lehnte dankend ab – 120 000 Franken Jahreskosten standen 60 000 Franken Einnahmen gegenüber.
Dass es schwierig wird, ist auch den Nue-Brüdern klar: «Ohne auswärtige Gäste geht es nicht», sagt Fredian Nue. Auswärtige wie das österreichische Paar auf Durchreise oder wie jene Siebnergruppe aus Basel, die letzthin dank Facebook extra nach Löhningen gekommen sei, wie Nue erzählt.
Fondue, Stall und Grossleinwand
Dass innovative Gastrokonzepte in Löhningen durchaus langfristig funktionieren können, zeigt ein Haus ein paar Meter neben dem «Hirschen»: Charlys Besenbeiz. Charly Brülhart, eigentlich Carosserie-Unternehmer, eröffnete sein Lokal vor vier Jahren, weil es damals gar kein Restaurant mehr in Löhningen gab.
Im Dorf ist die Beiz, untergebracht in einem alten Stall, gut etabliert. Es hat eine Grossleinwand für Fussballspiele und einen Garten. Etwas Kleines zu essen gibt es immer, auf Bestellung auch grössere Menüs. Im Winter serviert Charly Fondue. Aktuell ist die Besenbeiz allerdings geschlossen – es wird renoviert.
Blutdruck messen nach dem Essen
Offen ist dafür ein anderes Haus. Der «Storchen» in der Herrengasse könnte dem Namen nach auch ein traditionelles Wirtshaus mit Stammtisch und Bierreklame über dem Tresen sein. Ist er aber nicht. Der «Storchen» ist ein aufwendig renoviertes ehemaliges Bauernhaus mit über 400-jähriger Geschichte. Das Haupthaus beherbergt heute ein Bistro, und dort, wo früher das Ökonomiegebäude stand, sind neun Alterswohnungen entstanden. Trägerin ist die «Storchen»-Genossenschaft, und ein Unterstützungsverein betreibt das Bistro. Neun Frauen arbeiten im Bistro, darunter auch Margrith Kaufmann. Sie ist, wie die anderen Kolleginnen, seit der Eröffnung vor elf Jahren dabei. Jeweils dienstags und freitags gibt es einen Mittagstisch. Für 15 Franken können sich vor allem ältere Löhninger hier verpflegen. «Es kommen immer so sieben bis zehn Gäste», erzählt Kaufmann – in erster Linie die Leute aus den Alterswohnungen nebenan. In der Gruppe kennt man sich. Gehen am Morgen beim Nachbarn einmal die Vorhänge nicht auf, oder hört man aus dem oberen Stock keine Schritte, wird nachgeschaut.

Für das Essen muss man sich 24 Stunden vorher anmelden. Bei unserem Besuch gibt es frische Tomatensuppe, Salat, Piccata mit Champignon-Risotto und Rahmzucchini. Die älteren Leute würden traditionelle Gerichte schätzen, sagt Kaufmann. Ghackets und Hörnli mit Apfelmus sei ein Renner, beliebt auch Braten mit Kartoffelstock, Geschnetzeltes und Omeletten. Manchmal liegt auch noch ein Dessert drin. Einmal im Monat kommt die Spitex gleich nach dem Mittagessen vorbei und misst den Blutdruck.
Der «Storchen» hat sich nach und nach zu einem Treffpunkt in der Gemeinde entwickelt, wie es der «Hirschen» früher war. Immer montags und dienstags ist er abends offen, Vereine treffen sich hier zu ihren Generalversammlungen, der Gemeinderat kommt nach seinen Sitzungen auf einen Absacker vorbei. Taufen und Geburtstage werden im «Storchen» gefeiert, Neuzuzüger begrüsst, und morgens kurz vor neun Uhr setzen sich die Handwerker zu Kaffee und Gipfeli hin. Die Rechnung gehe auch finanziell auf, sagt Kaufmann.
Ist dieses Bistro also letztlich das beste gastronomische Modell für Löhningen? Nein. Der «Storchen» ist nur deshalb kostendeckend, weil die Gemeinde jedes Mittagessen mit fünf Franken unterstützt. 5000 Franken kostet das pro Jahr.
Und die neun Frauen, die im Bistro arbeiten, verdienen 25 Franken. Pro Morgen. Nicht pro Stunde.
SN Dorfgezwitscher: Pollenfreie Sonnenblumen, Stühle fürs Technorama und die neue Turnhalle
Im Dorfkern von Löhningen befindet sich ein Blumenladen. Das Gebäude war früher Teil eines Bauernhofes und hatte passenderweise den Hausnamen «Zur Rosenau». Floristin Diana Spörndli ist stets darum bemüht, der Kundschaft etwas Neues zu bieten. Eine grosse Vase mit pollenfreien Sonnenblumen steht auf einem der vielen Regale. Pollenfrei? «Ja, zum Beispiel für Allergiker», sagt Spörndli. Die Sonnenblumen baut sie auch noch selber an: auf einem Feld ihrer Eltern, die Landwirte sind.

Vor 17 Jahren hat sich Schreiner Andreas Brunner mit «Holz + Design» in Löhningen selbständig gemacht. Er kann nicht klagen, die Auftragslage ist gut. Und so fertigt er Einbauschränke und Betten aus Massivholz an. Das Material bezieht er, wenn möglich, aus der Region. Und so entstehen Tische mit schöner Maserung aus Nussholz unter anderem vom Siblinger Randen. Bevor aber das Massivholz verarbeitet wird, muss es genügend lange gelagert werden – teilweise sieben bis acht Jahre.

Löhningen hat aber noch mehr zu bieten: etwa eine «Bücherschüür», die es seit dem letzten Trottenfest gibt. Wen die Leselust überkommt, kann sich dort ganz unkompliziert am Bücherregal bedienen. Heidi Züst leiht sich gerade ein Buch von Donna Leon aus, als wir sie treffen. Wenn man sie fragt, was derzeit das Dorfgespräch ist, braucht sie nicht lange zu überlegen: «Die Turnhalle natürlich. Das ist eine grosse Diskussion.» Über den Bau einer zweiten Sporthalle in Löhningen, direkt neben der alten, wird das Stimmvolk am Sonntag, 19. August, an der Urne entscheiden. Züst wird wohl dafür stimmen. «Die jetzige ist nicht rollstuhltauglich, und die Sanitäranlagen sind veraltet», sagt sie. Sie nennt es ein «Zukunftsprojekt», das man unterstützen müsse, auch wenn es ein paar Franken mehr koste.

Von der Turnhalle zu Polstermöbeln: Ein Geschäft, davor stehen lustig bezogene Stühle, fällt sofort auf, wenn man von Beringen aus kommend in Löhningen einfährt: die Polsterei Fuhrer. Diese wird bereits in dritter Generation geführt. Der Vater von Besitzer Walter Fuhrer hat das Geschäft gegründet. Er wird von seiner Tochter Darja Weber unterstützt. Sie hat den Beruf in der Zentralschweiz gelernt. «Dafür braucht man schon auch viel Sinn für Formen und Farben», sagt sie, «aber eigentlich ist es vor allem Handwerk.»

Aufträge bekommen sie aus dem ganzen Kanton und darüber hinaus: So haben sie auch schon für die Uhrenmanufaktur IWC Polster genäht, auf denen die Uhrmacher bei der Arbeit ihre Arme abstützen können. Fürs Swiss Science Center Technorama in Winterthur hat die Polsterei Fuhrer wiederum Stühle angefertigt. «Die sind ganz speziell», sagt Weber, «zunächst nicht viel anders als normale Stühle, aber der Stoff ist so gewählt, dass er eine optische Täuschung zeigt.» Ansonsten restaurieren sie aber auch historische Möbel wie Schränke. Und offenbar machen sie ihre Arbeit gut, denn Aufträge gibt es genug. Oder wie Weber sagt: «Die beste Werbung ist, wenn jemand zufrieden ist.» (mcg)