Immer mehr Schaffhauser leiden an Geschlechtskrankheiten: Jetzt will der Kanton handeln

Nachdem während der Covid-Zeit die Zahl der Geschlechtskranken immer weiter zurückgegangen waren, steigen diese jetzt wieder stark an. Jetzt will der Kanton reagieren.
Sex: die schönste Nebensache der Welt. Eigentlich etwas, was in unserer modernen Welt keine Köpfe mehr rot werden lassen sollte. Aber wenn man darüber spricht, muss man zwangsläufig auch über sexuell übertragbare Infektionen (STI) sprechen. Da sieht die Sache schon anders aus. Niemand geht wohl gerne zum Arzt, weil man in seinem Intimbereich einen Ausschlag hat, oder nach einer wilden Nacht Probleme beim Wasserlassen feststellen muss. STIs sind klar auf dem Vormarsch und auch im Kanton Schaffhausen zeigen die Infektionskurven klar nach oben.
Mehr Geschlechtskranke in Schaffhausen
Blickt man auf die nackten Zahlen, sind diese besorgniserregend. «Der sich über die letzten Jahre schweizweit abzeichnende Trend ansteigender Zahlen aus dem Bereich STIs lässt sich auch für den Kanton Schaffhausen belegen», sagt Kantonsarzt Christoph Anders. So verzeichnete das Gesundheitsamt für die Infektionskrankheiten Gonorrhö, Syphilis, Chlamydiose und HIV/AIDS für das Kalenderjahr 2023 insgesamt 181 Fälle und für 2024 insgesamt 213 Fälle. «Für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 14. April wurden bisher 89 Fälle gemeldet», so der Mediziner. Eine Aufschlüsselung der Infektionszahlen auf verschiedene Altersgruppen liegt dem Gesundheitsamt nicht vor, jedoch «bewegt sich der Hauptanteil der gemeldeten Infektionsfälle in der Personengruppe zwischen den Jahrgängen 1995 und 2005.»
Auch das Bundesamt für Gesundheit (BAG) sieht bei Infektionen mit HIV, Chlamydien, Gonorrhö und Syphilis einen deutlichen Anstieg.
Die Zahlen können auch Fachärzte bestätigten: «In der Altersgruppe der 20- bis 35-jährigen Patientinnen nehmen die Fälle mit etwa Chlamydien ganz klar zu», sagt etwa der Gynäkologe Claus Platten. Je nach Risikogruppe sind auch weitere Geschlechtskrankheiten zu finden: «Syphilis, Hepatitis, HIV. Diese sind jedoch seltener – jedenfalls in meiner Praxis», so der Facharzt.
Kommt dieser Anstieg, weil Schaffhauserinnen und Schaffhauser unvorsichtiger geworden sind, wenn es um Sex geht? Laut dem Urologen Markus Schönberger könnte es auch an den vermehrten Testungen liegen: «Laut offizieller Interpretation liegt das am ehesten an der häufigeren Testung, und nicht einer tatsächlich steigenden Häufigkeit der Erkrankungen.» Er habe ungefähr nur zwei bis drei Patienten pro Monat, die seine Praxis wegen STIs aufsuchten.
Gynäkologe Platten sieht das Problem jedoch woanders: «Man ist unbeschwerter, aber erstaunlich oft auch unbekümmerter, und dies ist das Problem.»
Folgeschäden können gravierend sein
So der so: Geschlechtskrankheiten sind nichts, was man auf die leichte Schulter nehmen sollte, darin sind sich alle Experten einig. «Die klassischen Geschlechtskrankheiten können – zu spät erkannt – bei beiden Geschlechtern zu Unfruchtbarkeit führen und bei etwa Männern durch Entzündung der Harnröhre zu narbigen Verengungen derselben führen, was lebenslange Probleme bei der Blasenentleerung bzw. Operationen nach sich führen kann», warnt der Urologe Schönberger.
Eine gefährliche Annahme sei oft auch, dass STIs hauptsächlich lästig, aber nicht weiter schwerwiegend seien. «Leider ist ein solcher Irrglaube in Teilen der Bevölkerung immer noch weit verbreitet, was sicherlich ein Mitgrund für die steigenden Infektionszahlen ist», sagt Kantonsarzt Anders. «Eine nicht behandelte Syphilis-Infektion führt im Spätstadium zu einer Schädigung von Herz, Gehirn oder anderen Organen.» Ein hieraus resultierender tödlicher Verlauf sei in der modernen Medizin zwar mittlerweile sehr selten, jedoch «zeigen sich mit steigenden Infektionszahlen auch wieder mehr Fälle mit bleibenden, teils gravierenden, neurologischen Beeinträchtigungen, wie einer Demenz oder Sprach- und Bewegungsstörungen.»
Die Angst vor der Stigmatisierung
Wenn dann aber der Verdacht einer Geschlechtskrankheit im Raum steht, kommt oft die Angst vor Stigmatisierung dazu. «Die Angst davor ist ein grosses Hindernis, wenn es um den offenen Umgang mit Geschlechtskrankheiten geht», meint Christoph Anders. Viele Menschen würden sich «schmutzig» fühlen, was «dazu führt, dass sie schweigen, sich nicht testen lassen».
Für Claus Platten ist es daher «wichtig, dass man einen Zugang zu einer Praxis hat, wenn man sich unsicher ist oder Rat braucht». Ein vertrauliches Gespräch unter vier Augen sei oft immer noch hilfreicher als umfassende Eigenrecherchen im Internet.
Markus Schönberger rät zu einer speziellen Sensibilisierung von Risikogruppen, also «Personengruppen mit erhöhtem sexuellen Risikoverhalten». Diese sollten sich regelmässig testen lassen und somit Infektionen entdecken, solange sie noch keine Beschwerden verursachen. «Somit kann auch die Übertragungswahrscheinlichkeit verringert werden.»
Eine weitere Möglichkeit wären für Schönberger «Walk-in»-Teststellen, also Orte, an denen man sich ohne Termin und anonym testen lassen könne. Ähnlich sieht es auch Kantonsarzt Anders: «Ein Ausweg hierfür kann die Bereitstellung von anonymen Testangeboten darstellen.»
Kanton will gegen STIs vorgehen
Speziell im Kanton wolle man dieses Angebot bald umsetzen: So hat der Regierungsrat Anfang April mit dem Verein «Sexuelle Gesundheit Zürich» eine Leistungsvereinbarung getroffen. «Diese ermöglicht, dass ab Mai 2025 regelmässige anonyme Beratungen und Testungen in Schaffhausen, im Rahmen eines mobilen VCT (volunteer counseling test), durchgeführt werden», sagt Anders.
Im Kampf gegen STIs würde man aber auch andere Bereiche einspannen: Der Verein für Jugendfragen, Prävention und Suchthilfe (VJPS) und das Erziehungsdepartement arbeiteten demnach aktuell mit dem Kantonsärztlichen Dienst an der Umsetzung für ein Angebot eines «qualitativ hochstehenden Sexualkundeunterrichts, welches dann sämtlichen Primar- und Sekundarschulen im Kanton zur Verfügung stehen würde.»
Bis dahin hilft vor allem Eigenschutz: «Wenngleich man eine ungewollte Schwangerschaft gut mit Verhütungsmitteln verhindern kann, heisst dies ja nicht unbedingt, dass das Kondom automatisch weggelassen werden kann», sagt der Gynäkologe Claus Platten. «Dies ist aber bei genauerem Nachfragen in der Praxis einfach oft die Realität.» Es sollte für ihn «selbstverständlich sein, dass die (jungen) Männer ein Kondom dabei haben – schon aus Respekt vor dem Geschlechtspartner. Ich empfehle aber auch den Patientinnen, sich entsprechend auszurüsten.»