Ohne sie steht alles still – doch wer schätzt schon die Bauarbeiter?
Arbeit bei Wind und Wetter, mangelnde Wertschätzung, ausfällige Passanten. Sie sind unsere Helden auf der Strasse, werden aber nicht als solche behandelt. Dabei fördert die Branche der «Orangen» neben ihrer harten Arbeit auch in besonderer Weise die Integration von Flüchtlingen und Migranten in der Schweiz. Trotz aller Herausforderungen ist Serdar Cengiz, Regionalleiter bei der Cellere Bau AG Schaffhausen, überzeugt, dass sein Handwerk eine solide Zukunft hat und ermutigt junge Menschen, sich für diesen Berufszweig zu interessieren.
Herr Cengiz, aus der Baubranche hört man Stimmen, dass die Gesellschaft den «Orangen» gegenüber negativ eingestellt sei. Ist das so und wenn ja, worin zeigt sich dies?
Serdar Cengiz: Wir spüren vor allem, dass die Leute zunehmend ungeduldiger und gehetzter unterwegs sind und unserer Arbeit überhaupt kein Verständnis mehr entgegenbringen. Schilder werden missachtet und die Leute behandeln uns «Orangen» oft etwas von oben herab. Zum Beispiel gab es kürzlich in der Stadt einen Wasserleitungsbruch. Unsere Leute rückten in der Nacht aus, um den Bruch zu beheben. Am nächsten Tag hatten wir Lärmreklamationen im Haus. In einem ähnlichen Fall mit Rohrbruch kamen Anwohner wütend auf unsere Leute zu und sagten, dass sie sofort Wasser bräuchten, da sie duschen und danach zur Arbeit gehen müssten.
Es gibt schon auch Situationen, in denen die Anwohner dankbar sind und unsere Arbeit schätzen, doch leider ist dies selten und meist nur ausserhalb der Stadt.
Um diese Arbeit zu machen, müssen Ihre Leute also ein dickes Fell haben?
Cengiz: Ja, es ist eine ziemlich hohe Sozialkompetenz gefordert. Einerseits müssen sie oft als Auskunftsstelle fungieren, da Passanten über alle Details einer Baustelle Bescheid wissen wollen, andererseits sollten sie damit umgehen können, wenn ein Vorübergehender flucht und sie anschreit oder wenn sie, im schlimmsten Fall, mit Abfall aus einem vorbeifahrenden Auto beworfen werden.
Der Bau ist ein hartes Geschäft – sie arbeiten draussen, bei jedem Wetter, und werden dazu noch schlecht behandelt. Drückt sich dies in Nachwuchsproblemen aus?
Cengiz: Wie die allermeisten Branchen leiden auch wir unter einem Fachkräftemangel. Ursprung davon sind meines Erachtens jedoch meist die Eltern von Schulabgängern, die sich für ihr Kind lieber einen Bürojob oder eine Akademikerlaufbahn wünschen. Da denke ich anders. Ich erhoffe mir, dass meine beiden Kinder einen Handwerksberuf erlernen. Denn dem Handwerk gehört die Zukunft. Man bewegt etwas und sieht am Ende des Tages das konkrete Resultat seiner Arbeit. Das befriedigt. Zudem bin ich überzeugt, dass viele Bürojobs früher oder später durch künstliche Intelligenz ersetzt werden.
Es gibt zahlreiche Initiativen, die dem Handwerk wieder zu einem besseren Image verhelfen wollen. Sind diese erfolgreich?
Cengiz: Ich bin froh um diese Initiativen, die helfen, dass langsam ein Umdenken stattfindet und das Interesse an handwerklichen Berufen wieder zunimmt. Auch als Cellere sind wir mit dem Verein «Lernende bauen Zukunft» engagiert. Lernende erstellen dabei in Eigenregie Bauprojekte, die der Gemeinschaft zugutekommen. Wenn immer möglich, werden diese Projekte in der Nähe von Schulen oder viel besuchten Orten umgesetzt, sodass eine Begegnung mit Schülern stattfindet. Diese sollen zuschauen oder auch gleich selber mitmachen können. Damit hoffen wir, Interesse an unseren Berufen und Wissen darüber zu fördern.
Wie gross sind denn die Möglichkeiten in Ihrer Branche, aufzusteigen?
Cengiz: Die Möglichkeiten für einen Aufstieg sind sehr gross – am besten erkläre ich das anhand meiner eigenen Geschichte. Ich kam mit elf Jahren aus der Türkei in die Schweiz und hatte das Glück, nach der Schule eine Lehre als Tiefbauzeichner absolvieren zu können. Dann hängte ich gleich noch die Lehre als Strassenbauer an – da ich raus und das Resultat meiner Arbeit sehen wollte. Es folgten die Vorarbeiter- und die Polierschule. An diesem Punkt fand die Unternehmensleitung, dass sie mich im Büro nachziehen wollen und ich durfte berufsbegleitend die Bauführerschule absolvieren. Als dann mein Vorgesetzter, Stephan Waldvogel, Leiter der Region Schaffhausen von Cellere, in Pension ging, wurde mir seine Stelle angeboten.
Eine richtige Erfolgsgeschichte.
Cengiz: Wenn man Wille und Durchhaltevermögen zeigt, steht einem der Weg für einen Aufstieg in der Baubranche weit offen. Auch lohntechnisch ist der Job ausserordentlich attraktiv. Nach dem Lehrabschluss verdient man, inklusive Mittagszulagen, bereits rund 5800 Franken. Zudem bekommt man interessante Lohnnebenleistungen, wie zum Beispiel die Aussicht, mit 60 Jahren in Pension gehen zu können.
Auf dem Bau treffen viele Menschen unterschiedlicher Länder und Kulturen zusammen. Wie erleben Sie dies?
Cengiz: Ich empfinde es als äusserst spannend, mit Mitarbeitenden aus verschiedensten Ländern und Kulturen unterwegs zu sein. So haben wir Baustellen, wo ein geflüchteter Afghane zusammen mit einem geflüchteten Eritreer, einem Kosovaren und einem Schweizer zusammen ein Team bilden, ein Projekt gestalten und zusammen an einem Strick ziehen müssen. Ich denke, dass es gerade in der heutigen Zeit ein sehr guter Weg ist, mittels einer Arbeitsstelle Flüchtlinge und Migranten bei der Integration in die Schweiz zu unterstützen. Immer wieder spüren wir ihre Dankbarkeit für diese Chance und die Sicherheit, die wir ihnen damit bieten. Unsere Branche eignet sich auch sehr gut für die Integration. Denn Handwerk ist eine eigene Sprache. Entweder spricht man sie oder nicht. Flüchtlinge und Migranten haben vielleicht in ihrem Herkunftsland schon einmal auf dem Bau gearbeitet und verstehen daher diese weltweite Sprache, ohne sie erst mühsam erlernen zu müssen.
Die Baustelle als richtige Integrationswerkstatt?
Cengiz: Ja, hier lernen die Arbeiter soziale Aspekte wie Zusammenarbeit und Respekt – ausländische Arbeiter auch die Funktionsweise unseres schweizerischen Systems. Flüchtlinge und Migranten zudem natürlich auch die finanzielle Unabhängigkeit – wenn sie nicht mehr aufs Sozialamt angewiesen sind. Ich bin überzeugt, dass in den nächsten Jahren die Zahl von Migranten und Flüchtlingen, die auf diese Weise integriert werden, stark zunehmen wird. Denn wir sehen, dass es funktioniert. Ausserdem ist dieses Modell auch für uns als Unternehmen in Zeiten des Fachkräftemangels ein Gewinn.
Und Sie erleben keinen Clash verschiedener Ethnien und Kulturen?
Cengiz: Natürlich gibt es in gemischten Teams immer Höhen und Tiefen, aber das ist auch bei einem Team aus drei Italienern oder Schweizern nicht anders. Im Grossen und Ganzen harmonieren die Teams, jedes Teammitglied lernt Respekt den anderen Kulturen gegenüber. Hilfreich ist sicher, dass man mit dem Körper arbeitet, dass zu einem gelingenden Ergebnis jeder vom anderen abhängig ist und dass durch die Zusammenarbeit ein sichtbares Resultat entsteht.
Wie geht es der Baubranche bezüglich Auslastung? Ist diese immer noch zufriedenstellend?
Cengiz: Ja, im Moment haben wir immer noch eine gute Auftragslage. Der einzige Wermutstropfen ist der beständige Preiskampf.
Wie wirken sich die gestiegenen Preise aus?
Cengiz: Da wir als Cellere Schaffhausen zu 95 Prozent öffentliche Aufträge ausführen, sind wir nicht allzu sehr von der Konjunktur oder von Privataufträgen abhängig. Gefordert werden wir vielmehr auf Lieferantenseite. Neben den gestiegenen Preisen bereiteten uns zu Coronazeiten vor allem auch die Lieferketten Probleme. In diesem Bereich hat sich die Situation wieder etwas beruhigt, an der Preisfront leider noch nicht.
Ihr Wunsch an die Bevölkerung?
Cengiz: Ich wünsche mir mehr Respekt für meine Mitarbeitenden. Sie arbeiten hart und dies ja zum Wohle der gesamten Bevölkerung. Dabei bemühen wir uns wirklich, unsere Projekte als Ausführungsorgan im Auftrag der Bauherren und deren Vertretungen schnellstmöglich umzusetzen. Manchmal führt auch einfach höhere Gewalt, wie Überschwemmungen oder archäologische Funde, zu unvorhersehbaren Verzögerungen und da hilft alle Ungeduld nicht und erst recht keine Beschimpfung. Zweitens wünsche ich mir, dass sich unsere Jugendlichen – Mädchen oder Jungen – in die Bauwelt trauen und ein Handwerk erlernen, das ihnen niemand wegnehmen kann.