Gewalt gegen Lehrer – nicht bei uns

Thomas Martens | 
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Weiterbildung für Lehrpersonen an der PH Schaffhausen: Lehrerinnen und Lehrer sollen auch über ihre Gefühle sprechen und Emotionen zeigen können. Bild: Roberta Fele

Der Kanton Schaffhausen ist für Lehrpersonen offenbar ein Paradies. Im Gegensatz zur übrigen Deutschschweiz scheint es so gut wie keine Drohungen oder sonstige Gewaltaktionen gegen Lehrerinnen und Lehrer zu geben. Vielleicht wollen sich Betroffene aber nur nicht outen.

Die Umfrage liess Mitte Januar aufhorchen: Zwei von drei Lehrpersonen haben in den vergangenen fünf Jahren psychische oder physische Gewalt erlebt (SN vom 17. Januar). Dies ergab eine Befragung im Auftrag des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH) von 6789 Personen im schulischen Umfeld, darunter 5435 Lehrpersonen – 6,5 Prozent der Lehrerpopulation in der Deutschschweiz. Die SN gingen nun der Frage nach, wie sich die Situation im Kanton Schaffhausen darstellt und haben bei verschiedenen Schulbehörden angefragt, ob Fälle bekannt sind. «Nein», war die beinahe einhellige Antwort. Bis auf eine Schulpräsidentin, die uns den Kontakt zu einer betroffenen Lehrperson herstellten konnte (siehe Text unten). Die mehrheitliche Einschätzung deckt sich auch mit der Aussage des Schaffhauser Erziehungsdepartements, für das Ruth Marxer, Leiterin Dienststelle Primar- und Sekundarstufe I, Auskunft gibt.

«Alpenblick-Schüler drohte mit Mord», so titelten die SN am 16. Februar 2018. Ein Schüler des Schulhauses Alpenblick hatte damit gedroht, eine Lehrperson zusammenzuschlagen und sogar zu töten. Seither sind keine derartigen Gewalt-Drohungen gegen Lehrpersonen im Kanton Schaffhausen bekannt geworden. Gemäss der Umfrage des LCH sehen sich die befragten Lehrpersonen am häufigsten mit Gewalt konfrontiert, die von den Schülerinnen und Schülern in der eigenen Klasse oder den Erziehungsberechtigten ausgeht. Ruth Marxer kann dies für den Kanton Schaffhausen nicht bestätigen: «Gemäss unseren Erfahrungen ist im Kanton Schaffhausen der Austausch zwischen Lehrpersonen und Eltern grossmehrheitlich geprägt von gegenseitiger Wertschätzung. Die Schulen wie auch die Lehrpersonen sind stets um eine professionelle und respektvolle Kommunikation mit den Eltern bemüht.»

Dienststelle bietet Unterstützung

Um möglichen Konflikten proaktiv entgegenzuwirken, sei eine transparente Rollenklärung besonders wichtig, wie auch klare Haltungen und Richtlinien betreffend Kommunikation und Verhalten, etwa im Leitbild einer Schule. Ihre Dienststelle unterstütze die Schulen diesbezüglich unter anderem mit der Broschüre «Zusammenarbeit von Schule und Eltern», in der die verschiedenen Rechte wie auch Pflichten geklärt sind. «Natürlich kann es trotz aller Bemühungen zu Konflikten zwischen Eltern und Lehrpersonen kommen», hält Marxer fest. Diese würden in einem ersten Schritt auf kommunaler Ebene versucht zu lösen, unter Einbezug der zuständigen Schulleitungen und/oder Schulbehörden: «Können die Konflikte nicht gelöst werden, stehen die zuständigen Schulinspektorinnen und Schulinspektoren oder auf personalrechtlicher Ebene die Abteilung Finanz- und Personalwesen als Ansprechpartner zur Verfügung.»

Marxer weist darauf hin, dass es sich dabei nicht um eine Ombudsstelle handelt, sondern vielmehr um eine Anlaufstelle, die Unterstützung bieten soll. Lehrpersonen des Kantons Schaffhausen könnten sich bei persönlichen, betrieblichen, gesundheitlichen, finanziellen und eingliederungsspezifischen Fragestellungen an die unabhängige Beratungsstelle Movis AG wenden, die auch eine Aussenstelle in Schaffhausen betreibt. Hierbei seien auch Fragestellungen rund um die persönliche Integrität (Mobbing, sexuelle Belästigung, Gewalt, Diskriminierung) eingeschlossen. Zudem setzt der Kanton auf die Weiterbildung der Lehrpersonen an der PH Schaffhausen. «Bereits heute gibt es zu dieser Thematik verschiedene Kursangebote für Lehrpersonen», so Marxer.

«Es kann ja nicht sein, dass schweizweit zwei Drittel der Lehrpersonen betroffen sind, und bei uns gibt es das nicht.»

Roman Staude, Vorstandsmitglied Verein Lehrpersonen Schaffhausen

Der Kanton Schaffhausen also ein Paradies für Lehrpersonen? Der Presseverantwortliche des Vereins Lehrpersonen Schaffhausen (LSH), Roman Staude, bezweifelt, dass Gewalt an Lehrpersonen hier nicht existiert: «Es kann ja nicht sein, dass schweizweit zwei Drittel der Lehrpersonen betroffen sind, und bei uns gibt es das nicht.» Doch auch der LSH habe «in letzter Zeit» nichts in dieser Art mitbekommen. «Wahrscheinlich kommt man als Betroffener nicht auf die Idee, sich als Erstes beim LSH zu melden», vermutet Staude, der im Sommer seit 14 Jahren an der Kantonsschule Schaffhausen unterrichtet. Er selbst würde sich bei Problemen zunächst der Schulleitung anvertrauen, vielleicht auch Kollegen einbeziehen – und natürlich sich selbst hinterfragen.

Auch eine Frage der Definition

Um dem Thema präventiv zu begegnen, sei es am besten, ein gutes Verhältnis zur Klasse aufzubauen, dann finde man sich in den allermeisten Fällen auch mit den Eltern: «Das ist aber sicherlich auch vom Naturell abhängig. Es gibt Eltern, die definitiv seltsame Ansichten haben – auch dazu, wie man mit ihren Kindern umgehen sollte.» Manchmal gingen die Meinungen über die Leistungsfähigkeit eines Kindes bei Eltern und Lehrperson weit auseinander. «Ich bin schon mal von Eltern wegen schlechter Ergebnisse in Maturaprüfungen angegangen worden, habe mich da aber nie unter Druck gesetzt gefühlt», erinnert sich Staude und ergänzt: «Wir haben uns zusammengesetzt und ich habe den Eltern erklärt, wie die Noten zustande gekommen sind. Aber vielleicht wären das für jemand anderes schon Beeinflussungen von aussen oder Druckversuche.» Seiner Meinung nach sei es sicherlich oft auch eine Definitionsfrage, wann etwas psychische Gewalt ist und wann nur ein unangenehmes Gespräch.

Was den Verein Lehrpersonen Schaffhausen bei der Umfrage am Hellhörigsten gemacht hat, sei hingegen, dass doch ein relativ hoher Prozentsatz von elf Prozent der psychischen Gewalt aus Sicht der Lehrpersonen von den Schulleitungen ausgehe. «Da gibt es also offensichtlich Leute, die ihre Machtposition ausnutzen», sagt Staude, auch wenn ihm dazu keine Fälle im Kanton Schaffhausen bekannt sind.

«Manche Lehrpersonen haben ein dickeres Fell»

Eine junge Lehrerin, die anonym bleiben möchte, glaubt nicht, dass der Kanton Schaffhausen im Spannungsfeld Schule-Lehrpersonen-Eltern eine Insel der Glückseligen ist. Sie hat nach der Ausbildung an der PH Schaffhausen vor anderthalb Jahren angefangen, als Klassenlehrperson an einer Primarschule im Kanton Schaffhausen zu arbeiten. Eine eigene Klasse zu übernehmen, das war schon immer ihr grosser Traum.

Nicht mehr Klassenlehrerin

Doch während ihr die Arbeit mit den Kindern nach wie vor sehr viel Spass mache und auch der Rückhalt im Lehrerkollegium spürbar sei, würden ihr die Eltern grosse Probleme bereiten. Nun ist sie zermürbt, will zumindest in absehbarer Zeit nicht mehr als Klassenlehrperson tätig sein und orientiert sich neu als Fachlehrerin: «Mir ist völlig bewusst, dass das individuelle Wahrnehmungen sind und nicht jeder oder jede mit allem gleich gut oder schlecht klarkommt. Ich finde es aber auch nicht in Ordnung, wie manche Eltern mit Klassenlehrpersonen umgehen.» Es seien viele kleine Sachen, die sie belasten. «Eltern haben es heutzutage sehr leicht, Lehrpersonen per Handy oder Schulmessenger quasi rund um die Uhr zu kontaktieren», sagt die Pädagogin. Davon machten die Eltern in ihrem Fall auch regen Gebrauch – und das nach ihren Angaben oft auch mit «Sticheleien oder unnötigen Kommentaren»: «Ich merke einfach, dass mir Eltern wegen jeder Kleinigkeit schreiben, sich nicht überlegen, was und wie sie es schreiben und was die Nachricht auslösen könnte.»

«Ich finde es nicht in Ordnung, wie manche Eltern mit Klassenlehrpersonen umgehen.»

So sei ihr gegenüber schnell und unspezifisch Kritik geäussert worden, als zum Beispiel ein aktuelles Thema wie der Ukraine-Krieg, zu dem die Kinder viele Fragen gehabt hätten, altersgerecht im Unterricht thematisiert worden sei. Oder bei spontanen und unangekündigten Ausflügen in den Wald machten sich manche Eltern hinterher Gedanken über das Aussehen der Schuhe ihrer Kinder, als sich vielmehr über die Abwechslung zum Unterricht im Schulzimmer zu freuen. «Von den Kindern weiss ich, dass sie Überraschungen lieben und nicht unbedingt schon vorher wissen wollen, dass es in den Wald geht», sagt die Lehrerin: «Manche Eltern denken viel zu wenig darüber nach, was den Kindern Spass macht und wie sie für Themen begeistert werden können. Doch gerade das wird uns an der PH vermittelt.» Auf viele Eltern würde sie bestimmt auch zu jung wirken: «Ich hatte bei Elterngesprächen das Gefühl, nicht ganz ernst genommen worden zu sein.» Neu sei eine Lehrperson zusätzlich als Unterstützung dabei. Es gebe zwar auch positives Feedback, das werde aber vom Negativen überlagert.

«Manche Eltern können oder wollen nicht verstehen, dass ihr Kind eben vielleicht doch kein Engeli ist.»

Auch wenn das Thema Gewalt an Lehrern bei offiziellen Stellen im Kanton keine grosse Rolle spielt, sieht sich die Primarlehrerin nicht als Einzelfall. Sie kann aber auch nachvollziehen, dass sich Kolleginnen und Kollegen nicht outen wollen, zum Beispiel, um keine Schwäche zu zeigen oder vor Dritten nicht als Opfer dazustehen: «Von einer Kollegin weiss ich, dass sie mit dem Umgang der Kinder untereinander viel Mühe hat. Es herrscht ein rauer Umgangston mit Beleidigungen, Schimpfwörtern, körperlichen Auseinandersetzungen – das macht sie psychisch fertig.»

Zusammenarbeit oft unmöglich

Es sei nicht immer so einfach, Scheuklappen aufzusetzen und darüber hinweg zu sehen oder zu hören. «Manche Lehrpersonen haben ein dickeres Fell, und manchen geht es eben nach, warum die Kinder so sind.» Wenn es Probleme in der Klasse oder zwischen Schülern gibt, würde sie erwarten, dass Lehrpersonen und Eltern zusammenarbeiten und am gleichen Strang ziehen. «Manche Eltern machen da gut mit, andere können oder wollen nicht verstehen, dass ihr Kind vielleicht doch kein Engeli ist. Dann funktioniert es eben nicht», bedauert die Lehrerin. 

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