Wenn die Lehrer zu Schülern werden

Am Freitagmorgen versammelten sich rund 1000 Lehrpersonen zur Kantonalen Lehrertagung in der IWC-Arena. Dieses Jahr drehte sich alles um das Thema «Chancengerechtigkeit in der Bildung» – auch im Schulsystem der Schweiz gebe es immer noch Verbesserungspotenzial.
Für die Schaffhauser Schülerschaft dürfte am Freitag ein ruhiger Tag gewesen sein; anstatt in der Schule zu büffeln, hatten sie frei. Der Grund: Am Freitag fand, wie alle drei Jahre, die Kantonale Lehrertagung statt. In Schaffhausen unterrichten rund 1000 Lehrkräfte und alle waren angehalten, den Anlass zu besuchen. Die Lehrerinnen und Lehrer strömten kurz vor acht Uhr morgens in die IWC-Arena. Neben Referaten und Workshops sollte auch der Austausch untereinander im Vordergrund stehen.
Für einmal fanden sich die Lehrpersonen in der Rolle der Schüler wieder, als die Vorsitzende der Präsidentenkonferenz, Rita Hedinger, die ganztägige Veranstaltung, die unter dem Schwerpunkt «Chancengerechtigkeit in der Bildung» stand, eröffnete. «Bildung ist nicht nur ein hohes Gut, sie gibt einem auch viel Selbstvertrauen.» Somit stütze Bildung die Möglichkeit, sein eigenes Leben eigenverantwortlich zu gestalten. «Unabhängig von sozialer Herkunft, ökonomischer Ausgangslage, Geschlecht und Migrationshintergrund, sollte jeder und jede gleichberechtigt an den Bildungschancen teilhaben können», appellierte Hedinger.
Risiko der Überforderung
Die Diskussion über gerechte Chancen war auch für Erziehungsdirektor Patrick Strasser (SP), der das Grusswort hielt, von grosser Bedeutung. «Ich frage mich aber, warum Sie ein Thema gewählt haben, welches Sie als einzelne Lehrperson nicht erreichen können.» Bereits im Kindergarten hätten die Kinder einen unterschiedlichen Entwicklungsstand, weswegen die vollkommene Gerechtigkeit einer Utopie gleichkomme. «Ich warne Sie, es trotzdem zu versuchen.
«Die grosse Mehrheit der Kinder findet einen Platz in unserer Gesellschaft.»
Patrick Strasser, Erziehungsdirektor
Sie haben nur begrenzte Ressourcen – das Risiko, dass Sie sich dabei überfordern, weil Sie es allen recht machen wollen, ist hoch», sagte Strasser. Was die Schulen aber tun könnten, sei, die Ungleichheiten nicht weiter zu vergrössern. «Die Chancen sind zwar ungleich verteilt, aber die grosse Mehrheit der Kinder macht ihren Weg und findet einen Platz in unserer Gesellschaft. Die Hauptarbeit dafür leisten Sie als Lehrpersonen.»
Auch der Humor durfte an der Konferenz nicht zu kurz kommen. Nach einem Videobeitrag von Manuel Grütter stand Theaterfrau Madlen Arnold auf der Bühne – als eine Art «Zubehör», wie sie sagte. Mit lustigen Wortspielereien gewann Arnold das Publikum schnell für sich: «‹Heidenangst› steht im Duden gleich neben ‹Heidelbeere›. So schlimm kann es also nicht sein.»
Etwas theoretischer wurde es beim Vortrag von Elena Makarova zum Thema Bildungsgerechtigkeit, so kamen die Lehrpersonen quasi in den Genuss von klassischem Frontalunterricht. Die Direktorin des Instituts für Bildungswissenschaften an der Universität Basel betonte, dass die Voraussetzungen bei Schülerinnen und Schülern sehr unterschiedlich seien. «Die Gleichheit als Grundforderung wird erst dann sinnvoll, wenn sie mit der unterscheidenden Gerechtigkeit verbunden wird – denn diese ermöglicht, dass die Voraussetzungen für die Lernenden gleich sind.» Dabei spiele auch die Geschlechterfrage eine Rolle. «In einem gängigen Physiklehrbuch besteht das Bildmaterial aus 35 Männern und nur vier Frauen. Diese Diskrepanz fällt den Schülerinnen auf und das spielt eine Rolle für sie», so Makarova. Selbst in der Schweiz, die ein gutes Bildungssystem hat, seien auch zahlreiche Ungerechtigkeiten dokumentiert. «Bildung darf nicht nur auf Leistung basieren. Es braucht Anerkennung und soziale Wertschätzung: Lehrpersonen haben dabei eine Schlüsselfunktion.»
Der Beruf der Eltern spielt eine Rolle
Im zweiten Referat, direkt nach der Gipfeli-Pause, fragte sich Daniel Hofstetter von der Hochschule für Heilpädagogik Zürich, ob Schullaufbahnen ungerecht seien. Tatsächlich würden Statistiken belegen, dass die soziale Selektivität in der Schweiz hoch sei. Neben der schulischen Leistung spiele es nicht selten eine Rolle, ob die Eltern Ärzte oder Gemüsebauern seien. «Bei der Interaktion zwischen Eltern, Schulpersonal und Schülern werden Ungleichheiten reproduziert», sagte Hofstetter. Anhand von Praxisbeispielen aus eigener Feldforschung zeigte er auf, wie Schülerinnen und Schüler bereits sehr früh klassifiziert werden. «Das nimmt ihre Laufbahnentwicklung ein Stück weit voraus.» Auch die Frage, ob Hausaufgaben noch zeitgemäss seien, wurde angeschnitten – hier scheint die Lehrerschaft noch gespalten zu sein. Bleibt zu hoffen, dass ihre Schüler den Freitag nicht mit zu viel Arbeit am Schreibtisch verbringen mussten.