So werden Neulehrpersonen vorbereitet

Elena Stojkova | 
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Etwa 30 nicht oder nicht adäquat ausgebildete Lehrpersonen nehmen diese Woche am «ready for teaching»-Intensivkurs teil. Ab Montag stehen sie alle vor einer Klasse in verschiedenen Schulen im Kanton. Auch die SN haben den Kurs für ein paar Stunden besucht.

Rund 30 Personen ganz verschiedenen Alters blicken auf ihre Schuhe. Sie sitzen in einem grossen Zimmer der ­Pädagogischen Hochschule Schaffhausen (PHSH). Es ist Dienstagmorgen, «der Anfang einer intensiven Woche», sagt Peter Pfeiffer, Leiter des Projekts «ready for teaching 2022». Thomas Meier unterstützt ihn bei der Kursleitung. Er ist pensionierter Schulleiter und ehemaliger Dozent der PHSH. «Was haben eure Schuhe, die ihr heute tragt, in der Sommerferienzeit erlebt?», fragt Pfeiffer. Diese Frage sollen die Teilnehmenden nun diskutieren.

Das Projekt hatte das Erziehungsdepartement vor einigen Monaten lanciert, um dem Lehrermangel entgegenzuwirken. Es handelt sich um einen Intensivkurs zur Vorbereitung auf den Einsatz in den Schulklassen. Vor den Sommerferien startete der Kurs mit mehreren Abenden, diese Woche geht die Einführungsarbeit weiter.

«Ich bräuchte neue Schuhe, aber ich war in den Ferien eben nicht shoppen», sagt eine Teilnehmerin. «Gute Schuhe sind wichtig, sonst hat man müde Füsse am Abend», sagt jemand anderes. Nach genau neun Minuten geht ein Wecker los, die Zeit zu diskutieren ist vorbei. Nun will Pfeiffer wissen, warum er diesen Auftrag wohl gegeben hat. Aus dem Plenum kommt Verschiedenes: Ziel sei, von den Ferien zu erzählen, die Stimmung aufzulockern. Pfeiffer ergänzt: «Zu den Erlebnissen der Schuhe kann jedes Kind etwas erzählen.» Das sei bei der Frage «Wo warst du in den Ferien?» nicht so. «Nicht jede Familie kann es sich leisten, weit ­wegzufahren.» So aber würden alle Kinder ­aktiv, können positive Gefühle in den Unterricht einbringen.

Mit gut gefüllten Rucksäcken

Wer in diesem Raum sitzt, hat eine befristete Anstellung als Lehrperson im Kanton Schaffhausen – das war Bedingung für die Teilnahme am Kurs. Es seien ganz verschiedene Personen im Raum, sagt Pfeiffer gegenüber den SN. Jemand sei Jurist, jemand anders Psychologe, auch Sozialpädagogen seien dabei. Es gebe solche, die eine pädagogische Ausbildung im Ausland absolviert haben, deren Diplom in der Schweiz aber nicht restlos anerkannt werde. Viele haben bereits einige Jahre Erfahrung im Schulzimmer: Sie haben Klassenlehrper­sonen beim Unterrichten unterstützt. «Die Teilnehmenden haben gute Voraussetzungen fürs Unterrichten, sind motiviert und engagiert», sagt Pfeiffer.

Theorie und praktische Aufgaben wechseln sich im Kurs ab, Begrifflichkeiten aus dem Schulalltag werden geklärt. Themen sind der Lehrplan, das Beurteilen und Fördern der Schülerinnen und Schüler, die Erziehungsberechtigten, das Kollegium, die Unterrichtsvorbereitung oder die Beziehung zu den Kindern und Jugendlichen. «Es ist eine intensive Woche», sagt Pfeiffer. «Wir hoffen, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Montag mit gut gefüllten Rucksäcken in die Schulen gehen können.»

«Wissen nicht vergeuden»

Eine der Teilnehmerinnen ist Angela ­Felix. Sie ist Mutter von vier Kindern zwischen 13 und 20 Jahren und war lange Zeit Flugbegleiterin. Sie hat auch schon in einem Kinderhort gearbeitet und ist heute bei den Schaffhauser Sonderschulen tätig. «Ich liebe es, Wissen zu vermitteln, ich bin gern Mami, ich bastle gern», sagt sie. Es gebe so viele Menschen, die geeignet seien, das Schulsystem zu entlasten. «Es wäre schade, dieses Wissen und diesen Willen zu vergeuden.» Eine andere Teilnehmerin, Manuela Warren, hat früher Erwachsene unterrichtet und hat bereits zwei Jahre als Aushilfe an verschiedenen Primarschulen gearbeitet. Dies fing an, als sie ein halbes Jahr lang für eine Lehrerin, eine Hochrisikopatientin, einsprang. Es funktionierte gut, und danach ging es nicht lang, bis sie von einem Schulleiter angefragt wurde, erneut einzuspringen. Von den Eltern der Kinder sei sie unterstützt worden, sagt sie.

Pablo Jakobcic hat Sport und Geschichte an der Universität Basel studiert. Er hat ­bereits zehn Jahre Unterrichtserfahrung von der Kindergartenstufe bis zur Berufsschule, nur eben kein adäquates Diplom – weswegen er weniger verdient. Nun wird er in Stein am Rhein auf Sekundarstufe Sport, Kochen, Mathematik und Französisch unterrichten.

«Hey, du da hinten»

Zurück im Kurs stehen die Teilnehmenden, von denen etwa zwei Drittel Frauen sind, im Kreis um viele farbige Zettel herum. Darauf sind verschiedene Stichworte zu lesen. Einer nach dem anderen nimmt einen vom Boden auf. Die Karten auf dem Boden machen den Teilnehmenden bewusst, an wie vieles sie bereits in der ersten Schulwoche denken müssen. «Sich Zeit nehmen», steht auf einer Karte. Die Teilnehmerin, die sie in der Hand hält, sagt dazu, sie nehme sich für die erste Woche nicht zu viel Schulstoff zum Durcharbeiten vor, sie wolle sich Zeit nehmen, mit den Kindern zu kommunizieren. «Namen lernen», steht auf einer anderen Karte. «Kinder wollen angesprochen werden», sagt Meier, es sei wichtig, die Namen möglichst schnell zu kennen. Kurz werden verschiedene Strategien besprochen: Fotos machen, Verbindungen mit den Hobbys der Kinder schaffen. «Man hat keine Chance, die Klasse zu führen, wenn man die Kinder anspricht mit ‹hey, du da hinten›», bestätigt eine ­Teilnehmerin. Meier gibt noch einen Tipp: «Macht euch eine Namensliste aus dem Kopf heraus. Auf die beiden, die ihr als letztes aufschreibt, achtet ihr am folgenden Tag besonders.»

Die Gruppe spricht auch über Rituale, zum Beispiel an Geburtstagen der Kinder, die ihnen Sicherheit geben. Oder über die Kommunikation mit den Eltern: Da ist zu entscheiden, ob die Lehrperson ihre Handynummer preisgibt oder nicht. Angesprochen werden auch Handys im Klassen­zimmer, Hausaufgaben, Sanktions- und Belohnungssysteme oder die Sitzordnung. «Die meisten Fragen, die ihr zu den Themen habt, müsst ihr euch selbst beantworten.» Oft gibt es nämlich kein richtig oder falsch: Es gebe einfach viele Dinge, über die eine Lehrperson sich Gedanken machen, und viele Entscheidungen, die sie treffen müsse.

Und wie geht’s nach dieser Intensivwoche weiter? Zweimal in der Woche wird es ein Treffen für die Teilnehmenden geben. «Dort können wir aktuelle Fragen und Schwierigkeiten besprechen, die sich im Schulalltag ergeben», so Pfeiffer. «Es geht auch darum, Lehrpersonen zusammenzubringen, damit sie sich gegenseitig unterstützen können.» Zudem werden Pfeiffer, Meier und bei Bedarf auch weitere Kollegen den Unterricht der «ready for teaching»-Teilnehmenden besuchen – etwa je einmal im Monat – und Feedback geben. «Wir müssen damit rechnen, dass es nicht alle Leute packen. Aber das ist in jedem Berufsfeld so. Auch bei vollständig Ausgebildeten.»

Video

Erziehungsdirektor ­Patrick Strasser im Interview unter www.shn.ch/click

 

82 Lehrpersonen ohne Diplom unterrichten im Kanton Schaffhausen

Insgesamt 99,75 Prozent aller Lehrerstellen im Kanton Schaffhausen sind gemäss dem Erziehungsdepartement aktuell besetzt. Offen sind demnach gerade mal noch 1,9 Vollzeitstellen. Gemäss dem Stellen­portal des Kantons gibt es vor allem bei der Schulischen Heilpädagogik noch Vakanzen. Klassenlehrpersonen werden derzeit einzig in der ­Sekundarstufe in Stein am Rhein gesucht.

Entwarnung will Ruth Marxer, die Leiterin der Dienststelle Primar- und Sekundarstufe I, dennoch keine geben. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt sei seit Jahren angespannt, gibt sie zu bedenken. «Der Mangel an Lehrpersonen ist und bleibt eine grosse Herausforderung, die strukturelle Lösungen benötigt.» Entsprechend habe das Erziehungsdepartement gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern aus dem Schulbereich Massnahmen zur Attraktivierung erarbeitet, die nun nach und nach eingeleitet würden. Diese sollen die Bedingungen der Anstellung und der Aus- und Weiterbildung ver­bessern. Erklärtes Ziel ist es auch, die Arbeitsbelastung für die Lehrpersonen zu senken. Dies alles soll den Beruf im Kanton Schaffhausen stärken.

Fast 6 Prozent ohne Diplom

Auch dieses Jahr habe sich der Lehrermangel stark auf die Planung ausgewirkt, sagt Marxer. Bereits vor den Sommerferien seien von ein­zelnen Schulbehörden Wege gesucht worden, um Engpässe zu lösen. «Dabei kam es zu Optimierungen der Klassengrössen, also der Zuteilung von einzelnen Schüle­rinnen und Schülern auf andere Klassen.» Zudem gebe es sicherlich Lehrpersonen, die zusätzliche Stunden übernommen hätten, so Marxer. Diese individuellen Lösungen seien jeweils von der Abteilung Schul­entwicklung und Aufsicht begleitet worden.

Das Programm «ready for teaching» (siehe Artikel oben) habe jedoch dazu beigetragen, dass besser mit der Situation umgegangen werden konnte. Der Anteil an Lehr­personen ohne Diplom beträgt laut Marxer auf Primar- und Sekundarstufe I gegenwärtig 5,65 Prozent. In absoluten Zahlen sind das 82 Lehrpersonen von total 1451. (aku)

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