Ernteausfälle, Notschlachtungen und die Suche nach Futter

Viehfutter wird in diesem trockenen Hitzesommer knapp und kann kaum noch aufgetrieben werden – Notschlachtungen sind nicht mehr auszuschliessen. Auch die Ernten werden gering ausfallen.
von Ulrich Schweizer und Mark Gasser
«Dramatisch ist die Situation beim Futter – ob Heu, Silage oder Grünfutter: Auf unseren Wiesen wächst nichts mehr», sagt Christoph Graf, der Präsident des Schaffhauser Bauernverbands, der in Ramsen einen Hof mit 32 Milchkühen hat. Zweimal konnte er dieses Jahr sehr schönes Gras schneiden, der dritte Schnitt vor vier Wochen brachte dann nur noch einen Drittel des Normalertrags – und seither ist bei ihm auf dem einen Feld nichts nachgewachsen, auf dem anderen bloss etwas Rotklee, der tiefere Wurzeln hat. «In einem normalen Jahr dagegen können wir fünf- bis sechsmal Futtergras schneiden», fügt Graf hinzu. Die Hitze und Trockenheit trifft auch den Mais: In den leichten Böden ist er bereits ganz dürr, manche Bauern beginnen ihn notfallmässig zu Silofutter zu verarbeiten, solange die Stängel noch etwas Feuchtigkeit enthalten.
In einem derart heissen, trockenen Sommer spiele der Boden eine wichtige Rolle: Auf schweren Lehmböden bleiben die Pflanzen viel länger saftig grün, in leichten Kiesböden versickert das Wasser rasch, kann nicht gespeichert werden – die Pflanzen sind klein, dürr und gelb. Das sieht man auf den Feldern südlich von Ramsen sehr gut: Da und dort gibt es grüne Flecken in der gelb-braunen, ausgedörrten Steppe.
«Wenn kein Futter mehr aufzutreiben ist, muss man den Tierbestand abbauen», sagt Graf, «das heisst: früher schlachten.» Einige Tiere werden schon jetzt notfallmässig von den Alpen geholt, wenn es kein Futter mehr gibt, und zum Metzger gebracht. Denn Futter zukaufen ist jetzt schwierig: Die Lage ist in ganz Europa angespannt, in Norddeutschland gab es seit April keine Niederschläge mehr. «Futter ist im Preis enorm hoch.»
Früher Alpabzug, teures Futter
Einer, der seine Tiere von der Alp holen muss, ist Ernst Pletscher aus Guntalingen im Zürcher Weinland. Bereits vor einem Jahr, beim Sturm am 1. auf den 2. August, wurde sein Betrieb hart getroffen: Da verlor er vier Kühe durch fallende Bäume, die mussten eingeschläfert werden. Am Freitag wird er nun die ersten seiner rund 30 Kühe von der Alp in Trübbach im Rheintal zurückholen. Üblicherweise bleiben sie bis Ende September dort, doch bis Ende August folgt der Rest der Kühe – falls es weiter trocken bleibt. Er habe dafür rechtzeitig genügend Futter (vor allem Mais) zugekauft, um nicht schlachten zu müssen. 20 000 Franken habe ihn das überteuerte Futter gekostet, üblicherweise muss er gar nichts zukaufen. Die Schlachthäuser seien ausgelastet, was den Preis für Kuhfleisch innert einer Woche um rund zwei Franken pro Kilo sinken liess. «Statt eine Mutterkuh zu schlachten, die gekalbert hat, kaufe ich lieber Futter», sagt Pletscher.
Normalerweise wären die Tiere derzeit auf der Weide, würden Grünfutter fressen und den Stall entlasten. Jetzt sind die Tiere aufgestallt und müssen Wintervorräte fressen. Der Oberstammer Landwirt und Zürcher SVP-Kantonsrat Konrad Langhart hat ein Dutzend Kühe, die um den Hof grasten, erst gestern in den Stall geholt. Erstaunlich lange hätten sie auf dem trockenen Gras rumgekaut, obwohl es ganz dürr aussah. Seine weiteren rund 50 Kühe und Kälber auf der Alp muss er indes nicht zurückholen, da sie genug Futter haben. Auch Langhart verfüttert seinen Tieren bereits Winterfutter – Heu und Siloballen. Er überlege sich, einzelne Alttiere etwas früher zur Schlachtung zu geben und diese nicht mehr zu ersetzen bis im Frühling. Den eigenen Mais habe er bewässern können durch Grundwasser. «Aber wenn es so weitergeht, wird der Kanton Zürich dann wohl die Grundwassernutzung unterbinden», sagt Langhart. Im Stammertal ist das Kriterium dafür die Durchflussmenge im Mühlebach.
Wasser aus dem Rhein via Hemishofen
Der Wasserbezug aus der Biber wurde beim Wasserstand von 14,5 cm untersagt, um das Kältebecken für Fische bei der Bibermühle mit mehr kühlerem Wasser versorgen zu können. Von der Pumpstation eines Bauern in Hemishofen wurde den Gleisen entlang eine Notwasserversorgung bis ins Wilerfeld gelegt, um so bereits bestehende Kulturen am Leben zu erhalten. «Wir erhalten das Wasser stundenweise im Turnus zugeteilt und bewässern Salat und Buschbohnen, wenn wir an der Reihe sind», sagt Christine Sätteli, die mit ihrem Mann Marcel und ihrem Sohn Jonathan in Wilen bei Ramsen Gemüse anbaut. «Wir haben uns für die Buschbohnen entschieden», ergänzt Jonathan Sätteli, «sie sind jetzt in der Blüte und brauchen das Wasser.» Sechs Hektaren Bohnen haben die Sättelis, letztes Jahr gab es davon eine Ernte von 95 Tonnen, sie konnten für 35 Rappen pro Kilo an Grosshändler liefern. «Die Zuckerrüben haben jetzt aufgehört zu wachsen – da rechnen wir nur mit einer kleinen Ernte und wenig Zuckergehalt, und beim Eisbergsalat mussten wir den sogenannten Innenbrand feststellen: Von aussen sieht der Salatkopf schön hellgrün aus, aber die inneren Blätter sind hart und braun», fasst Jonathan Sätteli zusammen. «Wir sind ja nur ein kleines Rädlein in der Gemüseproduktion», ergänzt Marcel Sätteli.
«100 Millimeter Regen, schön verteilt auf drei Tage, wären wunderbar – wenn man sich’s so wünschen dürfte.»
Christoph Graf, Präsident des Schaffhauser Bauernverbands
Wie viel Niederschlag würde es denn jetzt brauchen? «100 Millimeter Regen, schön verteilt auf drei Tage, wären wunderbar – wenn man sich’s so wünschen dürfte», so Christoph Graf. Und wie steht es um die Reben? «Die Rebberge stehen grösstenteils sehr gesund und im schönen Grün. Die Reifeentwicklung hat sich nun aber merklich verlangsamt, und Junganlagen leiden zusehends unter dem fehlenden Wasser», fasst der kantonale Rebbaukommissär Markus Leumann zusammen.
Börse fürs rare Futtermittel
In verschiedenen Kantonen wurde eine Futtermittelbörse ins Leben gerufen, um die Futterknappheit zu bekämpfen und die innerlandwirtschaftliche Solidarität spielen zu lassen, indem Engpässe auf einzelnen Betrieben und Überangebote auf anderen ausgeglichen werden. So auch im Kanton Zürich. Der Bauernverband wolle die Bauern unterstützen in so einer Situation, erklärt Ferdi Hodel aus Dorf, Geschäftsführer des Zürcher Bauernverbands (ZBV). In einigen Regionen sei das erste Halbjahr sehr «wüchsig» gewesen, im Zürcher Oberland konservierten die schwereren Böden die Feuchtigkeit besser als die leichteren im Weinland. Doch er macht sich keine Illusionen: «Im Kanton wird es sicher viel mehr Nachfrager als Anbieter geben. Darum hoffen wir auch auf ausserkantonale Kontakte von Anbietern, die wir vermitteln können.» Zudem hofft der Verband auf Unterstützung vom Bund – etwa in Form von mehr Grenzschutz für Fleisch. «Viele Landwirte werden spätestens im Winter ein Problem haben, wenn die Wintervorräte schon verbraucht sind», so Hodel.
Auch die Landi vermittelt Futter, hauptsächlich über die Muttergesellschaft Fenaco. «Im Moment tauschen die Bauern aber selber. Oder sie ernten Mais frühzeitig, weil der Körnermais am Vertrocknen ist», erklärt Christian Lutz, Geschäftsführer der Landi Weinland. Die andere Variante: Schlachtungen wegen Trockenheit. Diese seien in der Region (noch) eher selten ein Thema. «Aber jene, die sich das überlegen, müssten es eher jetzt machen», findet Lutz angesichts des Preiszerfalls. Die Fenaco-Landi-Gruppe ist über ihre Tochter Sutero eine der grössten Fleischverarbeiter der Schweiz. Was Lutz derzeit mehr beschäftigt als der Fleischmarkt, ist aber die Kartoffelernte: «Wir sind gespannt, ob die Kartoffeln die Hitze qualitativ ertragen.»