800 Jahre Geschichte auf wenigen Metern

Isabel Heusser | 
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Die Kantonsarchäologie hat auf dem «Fischerzunft»-Areal in Schaffhausen besondere historische Funde gemacht. Manche davon stellten die Archäologen vor Rätsel.

Unterkörper und Arme fehlen, doch Oberkörper und Kopf sind gut erhalten: Augen, Nase, Mund, Bart, Hut – alles da. Die Tonfigur ist eines der Fundstücke, welche die Kantonsarchäologie auf dem «Fischerzunft»-Areal, direkt am Rhein in Schaffhausen, ausgegraben hat. Sie untersucht seit einigen Wochen den Hinterhofbereich des ehemaligen Restaurants, bis die Arbeiten für das Neubau- und Sanierungsprojekt der Güetli Immobilien AG im «Hafenviertel» startet (SN vom 10. April).

Die kleine Spielfigur – ein Ritter – ist ein besonderer Fund, sagt Katharina Schäppi, Leiterin der Kantonsarchäologie. Solche Figuren dienten unter anderem dazu, Kinder im Mittelalter aus adligem Umfeld auf ihre Rolle als Ritter vorzubereiten. Auch Bruchstücke eines tönernen Turnierpferdes und einer Dame im langen Kleid wurden entdeckt. Die Funde passen aber nicht zum Fundort: Am Rhein lebten Fischer und Schiffsleute. Fischerbuben spielten gemäss Schäppi eher mit Alltagsgegenständen und Murmeln, die aus verschiedenen Materialien hergestellt wurden. Wie also kamen die Tonfiguren aufs «Fischerzunft»-Areal? Nach anfänglichem Rätseln kam man zum Schluss: «Sie steckten vermutlich in Aushubmaterial, das aus der Stadt geholt und dorthin geschafft wurde.» Auf dem Areal sei der Grundwasserspiegel vergleichsweise hoch gewesen. «Es brauchte zusätz-liches Material, um auf diesem Gelände bauen zu können.»

Zugang zu Frischwasser im Haus

Die Fläche bei der ehemaligen «Fischerzunft» ist für die Archäologen eine besonders interessante Fundgrube: Sie wurde als eine der wenigen Bereiche im gesamten Fischerhäuserquartier von modernen Baueingriffen weitgehend verschont. Sowohl Fischer als auch Schiffsleute seien für den Wohlstand und die Entwicklung des mittelalterlichen Schaffhausens sehr wichtig gewesen, sagt Schäppi. «Durch die Grabungen haben wir die einmalige Möglichkeit, etwas über das Quartier und seine Bewohner zu erfahren.»

Durch das Fundmaterial könne etwa belegt werden, dass die Besiedlung spätestens im 12. Jahrhundert begann und dann kontinuierlich anhielt; das Quartier wird gemäss Schäppi im 13. Jahrhundert erstmals schriftlich erwähnt. Die frühesten gefassten Häuser bestanden aus Holz und wiesen Lehmböden auf. In jüngeren Bebauungsphasen hatten die Gebäude mehrere Mauern, auf dem Areal wurden zwei Steinpflästerungen entdeckt. Dazu zwei in den Boden eingegrabene Holzfässer, in denen wohl Vorräte eingelagert wurden. Und ein in die Mauer eingebauter Sodbrunnen zeugt davon, dass die Bewohner schon früh und auf bequeme Weise Zugang zu Frisch­wasser hatten.

Graben nahe am Grundwasser

Die Grabungen zeigen ausserdem, wie früher gearbeitet wurde: In Werk- und Abfallgruben liessen sich unterschiedli- che Handwerke nachweisen, beispielsweise das Verspinnen von Wolle zu Garn, Schmiedearbeiten und die Herstellung von Knochenperlen.

«Ausgrabungen bringen immer Überraschungen.»

Katharina Schäppi, Leiterin Kantonsarchäologie

Nur etwa einen Meter tief wurde gegraben, teilweise kam Grundwasser zum Vorschein. «Wir haben viel schönes und gut erhaltenes Material gefunden», sagt Schäppi. «Es ist quasi acht Jahrhunderte Geschichte auf kleiner Fläche.» Dazu gehören auch Eisen- und Bronzeobjekte, Keramik, Kacheln von mindestens sechs verschiedenen Kachelöfen. Und jede Menge Flaschen, dazu Becher aus Glas, alle an der gleichen Stelle. Was sich daraus schliessen lässt: «Die Zünfter haben früher wohl ordentlich gezecht», sagt Schäppi und lacht. Was genau, könnten allenfalls weitere Analysen ergeben. «Ich vermute, sie tranken Wein.»

Einige Stücke fürs Museum

Welche Gegenstände die Mitarbeiter der Kantonsarchäologie entdecken würden, habe man vorher nicht erahnen können, so Schäppi. «Ausgrabungen bringen immer Überraschungen, aber wenn wir im alten Stadtteil suchen, finden wir immer etwas.»

Aktuell sind fünf Mitarbeiter der Kantonsarchäologie mit Grabarbeiten beschäftigt, sie dauern voraussichtlich bis Ende Juli. Die Funde werden gereinigt, beschriftet und inventarisiert. Einfach so in der Schublade verschwinden sollen sie aber nicht. Mindestens einen Teil davon will die Kantonsarchäologie auch der Öffentlichkeit zugänglich machen, vermutlich bereits im Herbst: in der sogenannten Aktualitätenvitrine des Museums zu Allerheiligen.Von den Ausgrabungen selbst wird vor Ort nichts mehr zu sehen sein. «Es gibt nichts, was in den Neubau integriert werden könnte, wie es manchmal gemacht wird», sagt Schäppi. So wird die Ausgrabungsstelle wieder zugeschüttet und dem Bauherrn übergeben. «Die archäologisch wertvollen Schichten sollten möglichst intakt bleiben.»

Beitrag von Radio Munot

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