Bundesgericht sieht keine Diskriminierung
In einem jahrelangen Rechtsstreit gibt das Bundesgericht dem Kanton recht. Die Frage der Geschlechterdiskriminierung bei Schaffhauser Kindergärtnerinnen ist vom Tisch.
Lange Vorgeschichte kurz erklärt
Die Löhne der Schaffhauser Kindergärtnerinnen waren bei der Überführung in das neue Besoldungssystem 2005 gegen oben angepasst worden. Jüngere Kindergärtnerinnen erhielten neu 1000 Franken mehr pro Monat. Ältere Mitarbeiterinnen verdienten neu hingegen nur rund 400 Franken mehr. Beim Besoldungssystem wird jeder Angestellte einem bestimmten Lohnband gemäss seiner Funktion zugeordnet. Massgebend für die Einreihung in dieses System war bei der Einführung der jeweils aktuelle Lohn. Die Kindergärtnerinnen wurden alle im Lohnband 8 eingereiht. Verschiedene Kindergärtnerinnen wandten sich 2011 ans Erziehungsdepartement und verlangten die Feststellung, dass ihre Besoldung gegen die Gleichstellung der Geschlechter verstosse.
Damit verbanden sie die Forderung um Lohnerhöhung mit Wirkung ab Januar 2007. Das Departement und in der Folge auch der Regierungsrat wiesen das Begehren ab. Erst das Obergericht hiess 2016 die Beschwerde der Frauen gut. Es stellte fest, dass die seit der Einführung des neuen Besoldungssystems ausbezahlten Löhne der Kindergärtnerinnen die Lohngleichheit verletzten. Deshalb wies es die Sache zurück an den Regierungsrat, um diskriminierungsfreie Löhne festzusetzen. Gegen den Entscheid des Obergerichts reichte der Regierungsrat jedoch Beschwerde beim Bundesgericht ein, die nun gestern in Teilen gutgeheissen wurde. Das Obergericht muss nun im Sinne der Erwägungen der Bundesrichter eine Neubeurteilung des Falles vornehmen.
Lesen Sie den Kommentar von Redaktor Mark Liebenberg hier.
Mit drei gegen zwei Stimmen haben gestern die Richter an der sozialrechtlichen Abteilung des Schweizerischen Bundesgerichts die Beschwerde des Schaffhauser Regierungsrats gegen ein Urteil des Obergerichts vom Dezember 2016 in weiten Teilen gutgeheissen. Das betreffende Urteil wird an das Schaffhauser Obergericht zurückgewiesen. Dieses muss sich nun nochmals mit der Frage befassen, ob die Löhne von 24 langjährigen Kindergärtnerinnen bei der Einführung eines neuen Lohnsystems im Jahr 2015 korrekt bemessen worden sind. Diese hatten geklagt, sie seien aufgrund ihres Geschlechts lohnmässig diskriminiert worden, und forderten Lohnnachzahlung in Millionenhöhe (siehe Übersicht links).
Appell an den «gesunden Menschenverstand»
An der öffentlichen Urteilsverhandlung argumentierten die fünf Bundesrichter, die Kindergärtnerinnen hätten nicht genügend glaubhaft gemacht, dass eine Lohndiskriminierung nach dem Gleichstellungsgesetz vorliege. Dieses Gesetz aus dem Jahr 1995 räumt in solchen Fällen eine erleichterte Beweislast ein, das heisst, dass eine solche Diskriminierung glaubhaft gemacht und nicht bewiesen werden muss. Die Mehrheit des Richtergremiums, zwei Richterinnen und der Vorsitzende Marcel Maillard, war nun aber der Ansicht, dass die Kindergärtnerinnen nicht ausreichend glaubhaft aufgezeigt hätten, dass im alten Besoldungssystem eine geschlechtsbedingte Lohndiskriminierung bestanden habe und eine solche in das neue Besoldungssystem mitgenommen worden sei.
Dazu hätten sie aufzeigen müssen, im Vergleich zu welcher Berufsgruppe mit einem gleichwertigen Tätigkeitsfeld sie lohnmässig diskriminiert worden sind. Dies entspricht der bisherigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung.
Ebenfalls problematisch an dem Fall sei, so das Gericht, dass nicht alle Kindergärtnerinnen wegen Geschlechterdiskriminierung geklagt hätten, sondern nur jene berufserfahrenere Gruppe von 24 Frauen. Und diese hätten ja im neuen Lohnsystem 400 Franken pro Monat mehr verdient als vorher. «Es widerspricht dem gesunden Menschenverstand, dass eine Geschlechterdiskriminierung stattfand, obwohl der Lohn erwiesenermassen angehoben wurde», sagte Bundesrichterin Alexia Heine.
Die Minderheit von zwei Richtern war hingegen der gleichen Auffassung wie das Schaffhauser Obergericht: Die Diskriminierung sei glaubhaft genug gemacht worden. Als Indiz zogen sie nochmals die Aussage von alt Regierungsrat Albicker aus dem Kantonsrat im November 2007 heran, der im Kantonsrat gesagt hatte, dass es sich beim Beruf der Kindergärtnerinnen um einen «typischen Frauenberuf» handle, und dass «bei uns die Kindergärtnerinnen seit Jahren zu wenig verdient» hätten. Nach der Neuzuteilung ab 2005 hätten sich zwar viele Kindergärtnerinnen innerhalb des Lohnbands in der Lohnbandposition c befunden. Bei typischen Männerberufen lägen die meisten Arbeitnehmer mit mehr als 20 Dienstjahren hingegen in den Lohnbandpositionen d und e. Weiter mahnten die beiden Richter, Sinn der Beweislasterleichterung im Gleichstellungsgesetz sei, dass man den Beschwerdeführerinnen in Diskriminierungsverfahren nicht allzu strenge Anforderungen auferlege.
«Ein absurdes Urteil. Das Bundesgericht drückt sich davor, die Sachlage genau anzuschauen.»
Jürg Tanner, Vertreter der , Kindergärtnerinnen
Just diesen Punkt genauer zu untersuchen und einen konkreten Vergleich zu anderen Berufsgruppen anzustellen, haben die Beschwerdeführerinnen aber unterlassen. Das Obergericht hatte zwar zwei Gutachten anfertigen lassen, die aber aus Sicht des Bundesgerichts eine allfällige Diskriminierung nicht auswiesen und auch kein Licht in die Frage einer allfälligen rechtsungleichen Besoldung innerhalb der gleichen Berufsgruppe der Kindergärtnerinnen brachte.
Das Obergericht hatte sich mit dieser letzten Frage dann auch nicht mehr befasst. Nun müsse es dies nachholen, sagte Maillard: «Der Lohndiskriminierung aufgrund des Geschlechts hingegen sehen wir das Fundament entzogen.»
Empörung über das Urteil
Das Schaffhauser Obergericht kann daher jetzt höchstens noch die rechtsungleiche Behandlung der Beschwerdeführerinnen gegenüber den jüngeren Berufskolleginnen neu beurteilen.
Empört zeigte sich vor Ort der Rechtsberater der 24 Beschwerdeführerinnen, Jürg Tanner. «Es ist absurd; als hätte man sich in die Champions League vorgekämpft, und dann sind die Schiedsrichter parteiisch», so Tanner. Zwei SP-Richter seien gestern zwei SVP-Richterinnen und einem CVP-Gerichtspräsidenten gegenübergestanden. «Die offensichtlich unter sich heftig zerstrittene Kammer des Bundesgerichts hat sich mit einem formalen Argument davor gedrückt, die Sachlage genau anzuschauen.»
Enttäuschung bei den Kindergärtnerinnen, Erleichterung bei der Kantonsregierung
Als Enttäuschung bezeichnet die Präsidentin des Lehrervereins (LVS), Cordula Schneckenburger, den Entscheid des Bundesgerichts. «Ich habe mir für die Kindergärtnerinnen sehr gewünscht, dass sie endlich einmal einen Strich darunter ziehen können», sagt sie. Sie habe mit ihnen das weitere Vorgehen noch nicht besprochen. Aber die Enttäuschung unter den Frauen sei sicher gross.
Cordula Schneckenburger
Etwas Hoffnung bleibe aber: Das Bundesgericht habe die Beschwerde des Regierungsrats nur teilweise gutgeheissen. «Die Bundesrichter haben entschieden, dass eine geschlechtsdiskriminierende Entlöhnung nicht gegeben ist, aber es muss noch geprüft werden, ob es nicht zu einer Diskriminierung der älteren Kindergartenlehrkräfte innerhalb der Berufsgruppe kam.» Weshalb die Sache auch wieder zurück zum Obergericht verwiesen wurde. Allerdings befürchtet Schneckenburger, dass der Regierungsrat wieder vors Bundesgericht ziehen würde, sollte das Obergericht den Kindergärtnerinnen in dieser Sache recht geben. «Das wird noch eine längere Geschichte», sagt sie.
«Der Hauptpunkt ist geklärt»
Als Vertreter der Kantonsregierung in dieser Sache war Stefan Bilger in Luzern vor Ort. Als befriedigend für die Regierung bezeichnet der Staatsschreiber das Urteil des Bundesgerichts. «Im Hauptpunkt, was die geschlechterdiskriminierende Entlohnung angeht, ist die Sache nun abgeschlossen», sagt er. Natürlich, formal gesehen habe das Bundesgericht die Beschwerde des Regierungsrates nur teilweise gutgeheissen.
Stefan Bilger
Was die arbeitsrechtliche Lohnungleichheit angehe, stehe noch eine Frage offen, die das Obergericht bisher nicht geklärt habe. «Ob das Fleisch und Knochen hat, wird das Urteil zeigen», sagt Bilger. In dieser Angelegenheit gelte nun nicht mehr die erleichterte Beweislast wie bei der vermuteten Benachteiligung aufgrund des Geschlechts. Unter diesen Voraussetzungen sei es nun an den Kindergärtnerinnen, Beweise anzuführen. Bilger meint: «Das wird schwierig sein.» (mcg)