«Ausgestorbene Berufe in der Region»: Der Scharfrichter

Ralph Denzel | 
Noch keine Kommentare
Die Maske eines Scharfrichters. Bild: Pixabay

In unserer Serie «Ausgestorbene Berufe» blicken wir auf Berufe, die es heute aus verschiedensten Gründen nicht mehr gibt. Heute: Der Scharfrichter.

Galle weiss, was er tut. Trotzdem ist er nervös, während er die schwere Klinge in Händen hält. Die Worte seines Vaters, der ihn dieses Handwerk gelehrt hat, schwirren in seinem Kopf. «Ein Schlag ist ein Gottesurteil, zwei sind Mord.»

Unzählige Augenpaare sind auf ihn gerichtet, das spürt er. Der Mann vor ihm scheint ruhiger zu sein als er selbst. Dabei hätte gerade dieser doch allen Grund Angst zu haben. In wenigen Augenblicken wird Galle sein Leben beenden. Aber der Mann vor ihm wirkt ruhig. Sein Blick geht in die Ferne, weit weg von diesem Platz, den Menschen, die das brutale Schauspiel gierig beobachten und vor allem auch weg von seinem Scharfrichter. Dieser holt aus. Er weiss, wo er ansetzen muss, damit der Hieb tödlich ist. Es liegt ihm in Blut. Er ist doch ein Volmar – seine Familie kann nichts anderes als dieses Handwerk. Er holt aus, die Klinge saust durch die Luft…

So ungefähr dürfte es sich im 16. Jahrhundert mehrmals in Schaffhausen zugetragen haben. Galle Volmar existierte wirklich: Er war der Scharfrichter in der Munotstadt und somit einer, der einen Beruf ausübte, den es heute nicht mehr gibt.

Geächtet, gefürchtet – geschätzt

Scharfrichter war im Mittelalter ein sehr wichtiger Beruf – allerdings auch einer, der sehr einsam machen konnte. Keiner wollte mit den Menschen, die dieses Amt ausführten, in Verbindung gebracht werden. So geht aus alten Ratsprotokollen hervor, dass bei der Beerdigung eben jenes Volmars Leute, die bei dieser halfen, später als «unehrlich» erklärt werden sollten. Dies bedeutete in der damaligen Zeit massive Probleme im öffentlichen Leben. Sei es, dass man nur schwer eine Anstellung fand, von vielen gemieden wurde oder sogar angegangen werden konnte. Erst eine Intervention beim Stadtrat verhinderte diese «Einstufung» und rehabilitierte die Männer, die doch nur bei einer Beerdigung helfen wollten. Das ist jedoch nicht das einzige Beispiel in Schaffhausen.

Auch die blosse Verbindung mit Menschen aus dieser Zunft konnte damals weitreichende Folgen haben. Das erfuhr zum Beispiel Hans Kübler. Er war Gürtler und hatte einst die Tochter des Scharfrichters Christoph Käser geheiratet. Nach ihrem Tod hätte man meinen können, sei er «frei» von Verbindungen zu diesem Handwerk. Aber falsch gedacht: Obwohl ihm damals bescheinigt wurde, er sei ein ehrlicher Meister seines Faches mit «erhaltung der gesellen vnd anderm nach handtwercks» Brauch, fand er später keine Anstellung. Der Grund: Seine verstorbene Frau, deren Vater eben ein Henker gewesen war. Das reichte, um Käser zu schneiden.

Ein Henkerblock, ausgestellt im «Tower of London». Bild: Pixabay

Ein Scharfrichter war einfach ein «Sinnbild der Unehrlichkeit», wie man in der Zeitschrift «Schweizer Archiv für Volkskunde» nachlesen kann. Ein anständiges, normales Handwerk blieb den Menschen meistens verwehrt.

Das führte letztlich dazu, dass die Henkerschaft unter sich blieb. Töchter von Henkern wurden mit Söhnen von anderen verheiratet. So entstanden über die Jahrhunderte regelrechte Dynastien von Scharfrichtern, die ihre Spuren bis heute hinterlassen haben.

Auch wenn die Menschen gemieden und teils wie Aussätzige behandelt wurden: Verscherzen wollte man es sich trotzdem nicht mit ihnen - und das nicht nur aus Angst vor ihrem Handwerk. Meistens hatten diese Menschen nämlich enorme medizinische Kenntnisse und waren teils sogar Ärzten dieser Zeit voraus. Brach sich jemand ein Bein, war es der Henker, der es sicher wieder richten konnte – er wusste schliesslich auch, wie man es fachmännisch brechen musste.

Letzte Hinrichtung in Schaffhausen im 19. Jahrhundert

Das Ende des Scharfrichters kam auch mit der Aussetzung der Todesstrafe. Diese blieb der Schweiz aber eine ganze Weile erhalten - und mit ihr auch der Henker. Erst im Jahre 1874 wurde sie vorübergehend abgeschafft, später durch eine Volksabstimmung aber wieder eingesetzt. So ist in den «Schaffhauser Nachrichten» vom 17. April 1874 zu lesen:

Das Civilprozessrecht, die Gerichtsorganisation, das Strafrecht sammt dem Strafprozess bleiben den Kantonen. Nur die körperlichen Strafen und die Todesstrafe werden abgeschafft. (Vorbehalten bleiben die Kriegsgesetze.)

Die Strafe war jedoch an klare Regeln gebunden: So durften keine Jugendlichen oder Schwangeren zum Tode verurteilt werden, selbst wenn sie eines der Verbrechen begangen hatten, für die die Todesstrafe vorgesehen war. Darunter fielen neben Mord auch zum Beispiel absichtliche Überschwemmungen und Bahnentgleisungen, mit absichtlicher oder versehentlicher Todesfolge von anderen.

Schweizweit wurde am häufigsten mit der Guillotine hingerichtet. Die im Kanton Schaffhausen hat dabei eine weite Wanderschaft hinter sich. Zuerst war sie im Kanton Zürich zum Einsatz gekommen, später dann nach Schaffhausen verkauft worden. Allerdings wurde in Schaffhausen nie jemand mit der Guillotine getötet. Deswegen wurde das Instrument immer weiter verliehen, bis sie schliesslich an Luzern veräussert wurde.

Die Schaffhauser Guillotine.
Bild: Stadtarchiv

Trotzdem kam es aber zu Hinrichtungen in Schaffhausen: Der letzte Mensch, der hier hingerichtet wurde, trat seinen letzten Gang 1847 an.

Es war der 34-jährige Johannes Schilling, ein Barbier und Taglöhner aus Löhningen. Er hatte seine Frau mit Arsen vergiftet. Dafür war er vom Stadtrat zum Tode durch das Richtschwert verurteilt worden.

Um fünf Uhr Morgens war es soweit. Das Läuten der Glocken des St. Johanns war wohl das Letzte, was Schilling in seinem Leben hörte.

Tonlithographie von «St. Johann» aus dem Jahr 1866.
Bild: Stadtarchiv

Für diese letzte Hinrichtung war extra ein Scharfrichter aus St. Gallen angreist, da der Zuständige in Schaffhausen mit über 60 Jahren zu alt für so eine Hinrichtung schien. Man fürchtete, dass er den Kopf nicht mit einem einzigen Schlag abtrennen könnte.

Der St. Galler Scharfrichter jedoch machte seine Sache gut und beendete das Leben des Verurteilten Giftmörders mit einem schnellen Schlag.

Ebenso wie Galle Volmar. Es ist still, während das Sirren seines Schwertes noch in der Luft hängt. Der Körper des Verurteilten ist schlapp, als schlafe er tief. Da, wo sein Kopf war, spritzt Blut. Volmar hebt den abgeschlagenen Kopf hoch, zeigt ihn der Menge. Einmal, weil diese sich nicht satt sehen kann an Blut und Gewalt, aber auch als Zeichen, dass er gute Arbeit geleistet hat.

Ein Schlag ist ein Gottesurteil, zwei sind Mord.

Kommentare (0)

Neuen Kommentar schreiben

Diese Funktion steht nur Abonnenten und registrierten Benutzern zur Verfügung.

Registrieren