Eine Herausforderung für das Schaffhauser Gewerbe

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Julian Alvarez inmitten der Schaffhauser Altstadt. Der wichtigste Grund, um ins Ausland einkaufen zu gehen, sind anscheinend die grossen Preisunterschiede. Bild: Clio Zubler

In einer Serie präsentieren die «SN» die spannendsten Maturaarbeiten des aktuellen Jahrgangs. Den Anfang macht die Arbeit von Julian Alvarez, der sich mit dem regionalen Einkaufstourismus beschäftigte.

Abschlussarbeiten 2017 – Teil 1

Der Einfluss des Einkaufstourismus auf das regionale Gewerbe am Beispiel der Lebensmittel- und Modebranche

 

Von Clio Zubler

Julian Alvarez ist selbst Einkaufstourist und kauft mit seiner Familie immer wieder mal in Deutschland ein. «Ich wollte mehr über die Auswirkungen des Einkauftourismus ­wissen», sagt der Kantonsschüler. So widmete er seine Maturaarbeit dem Thema. «In meiner Arbeit zeige ich auf, wieso die Leute nach Deutschland gehen und was die Folgen fürs Schaffhauser Gewerbe sind», sagt Alvarez. Er konzentriert sich in seiner Maturaarbeit auf die Lebensmittel- und Modebranche. In einem aufwendigen Theorieteil klärt er vorab den Begriff des Einkaufstourismus, setzt sich mit dem Kaufverhalten der Konsumenten auseinander und erläutert die Einfuhrbestimmungen.

Im zweiten Teil der Arbeit beschreibt er die Gründe für den Einkaufstourismus in der Region. Herausgefunden hat er diese, indem er fünfzig Leute befragt hat. «Ich habe Passanten einmal auf dem Fronwagplatz angesprochen und einmal vor dem Herblingermarkt», erklärt Alvarez. «Es war sehr mühsam und zeitaufwendig, die Umfrage auszuwerten», sagt er. Es zeigte sich, dass der grosse Preisunterschied zwischen der Schweiz und Deutschland tatsächlich der wichtigste Grund ist, um im Ausland einkaufen zu gehen.

Vollkostenrechnung

Alvarez erstellte auch eine Voll­kostenrechnung für den Einkauf in Deutschland und vergleicht die Preise der Warenkörbe inklusive der ­Anfahrtskosten und etwaigen Einfuhrzöllen. Den grössten Preisunterschied gebe es in der Lebensmittelbranche zwischen Coop und Lidl, ganze 65 Prozent sind es. «Das war wirklich überraschend», meint Alvarez. «Die Qualität ist aber auch nicht dieselbe.»

Neue Sichtweisen

Alvarez’ Ziel war es, neue Sichtweisen auf den Einkaufstourismus und auch Lösungen für das Schaffhauser Gewerbe aufzuzeigen. Der grösste ­Gewinner der Situation sei der sparende Konsument. «Gesamtwirtschaftlich fallen die Auswirkungen des Einkaufstourismus eher klein aus», schreibt Alvarez. Obwohl dem Schaffhauser Gewerbe wegen des Einkaufstourismus fünf bis zehn Prozent der Einnahmen fehlen, gebe es auch ein paar gute Seiten. So müssen die ­Geschäfte innovativ bleiben und sich vom ausländischen Angebot differenzieren, wie er in seiner Arbeit schreibt. «Die beste Lösung ist meiner Meinung nach, das Schaffhauser Gewerbe den Kunden näherzubringen», sagt der ­Maturand. Beispielsweise könnte man den Kunden mit einer App zeigen, ­welche Geschäfte es hier gibt.

 

Zur Person Julian Alvarez

Alter 17 Jahre
Wohnort Lohn
Nach der Matura Militär, dann Wirtschaftsstudium
Titel der Maturraarbeit Einfluss des Einkaufstourismus nach Deutschland auf das SH-Gewerbe
Fachbereich Wirtschaft und Recht

«Es ist eine grosse Hürde für Kantonsschüler»

Kanti-Rektor Pasquale Comi erklärt den Sinn der Reifeprüfung. 

Herr Comi, 110 Maturaarbeiten wurden an der Kantonsschule Schaffhausen dieses Jahr abgenommen. Wie würden Sie den Lerneffekt der selbständigen Arbeit beschreiben?

Pasquale Comi: Diese Arbeit ist eine der wichtigsten Kompetenzen, die Kantonsschüler im Laufe der Gymnasialzeit erwerben können. Nach wissenschaftlichen Massstäben selbständig eine Arbeit erstellen ist eine grosse Hürde für die meisten Schüler. Sie ­stehen vor einem riesigen Berg und müssen lernen, nicht zu verzweifeln, sondern systematisch und fokussiert an ein Thema heranzugehen. Klar, wir geben alle Unterstützung, aber es sind die Schüler, die Motivation und Fleiss an den Tag legen müssen.

Auffallend ist die Themenbreite. Täuscht der Eindruck. oder ist man offener geworden, auch hinsichtlich den sogenannten Life Sciences?

Das stimmt, Themen wie Gesundheit, Ernährung, Medizin sind zunehmend gefragt. In der Themenwahl sind die Maturanden frei und unabhängig vom gewählten Profil, und das ist ganz entscheidend. Übrigens ist dieses Jahr mit 31 Arbeiten der mathematisch-naturwissenschaftlich-technische Bereich – die sogenannten MINT-Fächer – sehr gut vertreten, darauf können wir stolz sein. Die Maturanden sollen ihr Thema selber wählen, und es freut mich auch, dass viele mit der Zeit, in der sie leben, gehen. Ausserdem gibt es einige brandaktuelle Phänomene wie etwa Terrorismus, Brexit, Einkaufstourismus, die aufgegriffen werden. Und auch in regionalen Themen können Maturanden immer wieder einen spannenden Beitrag leisten, etwa zur Lokalgeschichte.

Wie kann man diese doch sehr unterschiedlichen Arbeiten vergleichen und bewerten?

Die Benotung erfolgt durch einen betreuenden Lehrer und einen Co-Referenten. Etwa ein Viertel der Note bezieht sich auf den Arbeitsprozess selber, und ein besonderes Gewicht liegt auf der Präsentation der Arbeit, die vor Publikum stattfindet. Entscheidend ist immer, wie die Fragestellung bearbeitet wurde.

Wie steht die Kantonsschule derzeit bezüglich Maturandenquote da, und wie viele Schüler nehmen ein Hochschulstudium auf?

Unsere gymnasiale Maturitätsquote liegt seit vielen Jahren mit 15 bis 17 Prozent klar unter dem nationalen Durchschnitt, dafür ist sie bei der ­Berufsmatur höher als im Landesdurchschnitt. So gleicht sich das aus. Im letzten Jahr haben rund zwei Drittel unserer Maturanden in einer Umfrage angegeben, ein ETH- oder Hochschulstudium beginnen zu wollen. Knapp 20 Prozent wollten an einer Fachhochschule oder Pädagogischen Hochschule studieren.

Der Königsweg mit gymnasialer Matur und Hochschulstudium ist also kein Auslaufmodell?

Nein. Aber interessant ist, dass sich vor rund 15 Jahren das Geschlechterverhältnis gedreht hat. Heute liegt die Frauenquote an der Kantonsschule bei etwa zwei Dritteln. Wieso das so ist, ist schwer zu sagen. Es gibt die Hypothese, dass es die Volksschule sprachlich begabten Schülern einfacher macht, gute Noten und damit einen Übertritt ins Gymnasium zu erreichen.

Neulich konnte man lesen, dass die Armee immer weniger diensttaugliche Maturanden findet. Sind die Kantonsschüler zu schlapp fürs Militär?

Das denke ich ganz und gar nicht. Unsere Schüler sind fit, es gibt nach wie vor drei Sportstunden pro Woche. Aber es trifft zu, dass für viele Maturanden der Militärdienst nicht mehr die auch karrieretechnische Anziehungskraft hat wie früher. Ich denke, die Armee müsste die Kompatibilität von Studium und Militärdienst verbessern, um attraktiver zu werden, zum Beispiel mit Ausbildungsgutscheinen. Daran arbeitet man ja.

Interview von Mark Liebenberg

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