Auf der Suche nach der wahren Stromquelle

Zeno Geisseler | 
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Welcher Strom durch diese Leitungen fliesst, ist nicht klar. Die Elektrizitätsunternehmen interessiert das auch nicht wirklich. Sie stützen sich auf Zertifikate, welche die Stromherkunft nachweisen. Bild: Selwyn Hoffmann

Der Wasserstand ist tief, der Strombedarf ist hoch. Nichts Besonderes im Winter. Aber woher kommt in diesen Tagen eigentlich der Strom für die Schaffhauser? So genau wissen das nicht einmal die Spezialisten.

Es gibt Tage, da braust und rauscht es am Kraftwerk Schaffhausen. Vor allem im späten Frühling schwillt der Rhein jeweils an. So auch im letzten Juni: Nach tagelangen starken Regenfällen führte der Fluss über 900 Kubikmeter Wasser pro Sekunde. Davon verwerten konnte das Kraftwerk aber nur 500 Kubikmeter. Der ganze Rest wurde ungenutzt übers Wehr gelassen.

Ganz anders ist es in diesen Tagen. Das Wehr ist erstarrt, Eiszapfen hängen an den Segmentschützen, jenen 15 Meter breiten beweglichen Teilen, mit denen die Stauhöhe reguliert werden kann. Gerade mal 178 Kubikmeter Wasser fliessen pro Sekunde, das Kraftwerk produziert weit weniger Strom, als technisch möglich wäre. Und dies ausgerechnet im Winter, wenn der Strombedarf besonders hoch ist.

Doch woher kommt in diesen Tagen dann der Strom, den wir bei uns in Schaffhausen verbrauchen? Eigentlich eine ganz simple Frage, könnte man meinen. Eine Antwort darauf zu erhalten, ist jedoch gar nicht so einfach.

EKS: Blindflug

Unsere erste Anlaufstelle ist das Elektrizitätswerk des Kantons Schaffhausen (EKS AG). Es beliefert weit über 100 000 Menschen in der Region mit Strom und ist damit bei Weitem die wichtigste Energieversorgerin bei uns. Man würde annehmen, dass das EKS genau weiss, woher der Strom aktuell stammt, und gerne darüber spricht. Aber beides stimmt nicht. Zu diesem Thema, sagt die Medienstelle, habe man nichts zu sagen. Erst nach langem Hin und Her gibt es dann doch noch ein kurzes Statement: Das EKS beziehe den Strom fast vollständig von der Axpo. Aussagen zum derzeitigen Strommix könne man nicht machen.

Dies ist speziell, weil das EKS seinen Kunden beim Stromverkauf Produkte anbietet, bei denen die Zusammensetzung sehr wohl ausgewiesen ist, und zwar auf ein Hundertstel genau. Der «Regional Strom» etwa besteht aus präzis 91 Prozent Wasserkraft vom Rheinfall. Und das Strom­paket «Optimal», «für alle, die sich der besten ökologischen Herkunft ihres Stroms sicher sein wollen», enthält ganz genau 10 Prozent «Sonnenkraft aus dem Kanton Schaffhausen». Wie geht das zusammen, dieser Blindflug beim Einkauf und das Versprechen der «besten ökologischen Herkunft» gegenüber den Endkunden? Das Zauberwort lautet «Zertifikate»: Der Strommix, den der Kunde bestellt, hat nichts mit der tatsächlich gelieferten Energie zu tun, sondern nur damit, wie diese deklariert wird (siehe Artikel unten).

Unsere nächste Anlaufstelle ist die Netzbetreiberin Swissgrid, ein Unternehmen, das zu einem Drittel der Axpo gehört und für die Versorgungssicherheit zuständig ist. 900 Kraftwerke hängen am 6700 Kilometer langen Netz, 25 000 Messdaten in Echtzeit ermittelt Swissgrid gemäss ihrer Website. Kein Elektron kann sich also unerkannt an Swissgrid vorbeischleichen. Wir fragen, wie denn der Strom aktuell zusammengesetzt ist. Doch auch hier kommen wir nicht weiter: «Für den Monat Januar gibt es keine aktuellen validierten, öffentlich zugänglichen Daten», teilt Swissgrid mit.

Das Unternehmen verweist aber auf das Bundesamt für Energie und deren Elektrizitätsstatistik. Dort erfahren wir, dass im Januar 2015 landesweit nicht ganz 6000 Gigawattstunden Strom produziert wurden. Etwa 2700 GWh stammten damals aus Kernkraftwerken, etwa 200 GWh aus konventionell-thermischen und anderen Kraftwerken und der grosse Rest aus Wasserkraft. Der Landesverbrauch lag damals leicht über der produzierten Menge, die Schweiz musste Strom zukaufen. Doch so spannend diese Statistik ist, über den Strommix in Schaffhausen, und dazu noch den aktuellen, sagt sie nicht viel aus.

SH Power: «Es ändert dauernd»

Unsere dritte Anlaufstelle ist SH Power, also die Städtischen Werke von Schaffhausen und Neuhausen. Unter der Ägide von SH Power läuft auch das Kraftwerk Schaffhausen. Christian Eichholzer, Abteilungsleiter Energiewirtschaft, erklärt, dass das Kraftwerk im Jahr 165 Millionen Kilowattstunden produziert. Davon kann SH Power aber nur gut die Hälfte, 54,6 Prozent, beziehen. Denn auch die Axpo (mit 36,4 Prozent) und Energie Baden-Württemberg (mit 9 Prozent) sind am Kraftwerk beteiligt und haben ein Recht auf einen Anteil an der Produktion. «Die physikalische Zusammensetzung des Stroms ändert sich ständig», sagt Eichholzer, «aber derzeit kann das Kraftwerk etwa ein Drittel des städtischen Stromverbrauchs decken.» Der Rest muss also zugekauft werden, vor allem aus der Schweiz. Ist das nun Atomstrom oder Wasserstrom? «Das können wir natürlich so nicht sagen», sagt Eichholzer. «Wir kaufen Energie. Wir haben aber Zertifikate und weisen zum grössten Teil Wasserstrom aus.» Auch SH Power weiss also nicht genau, wie der Strom physisch zusammengesetzt ist, dank des eigenen Wasserkraftwerks kann SH Power aber immerhin genauere Aussagen machen als das EKS.

Und wie steht es eigentlich mit der Solarenergie? «Die ganze Kapazität im Versorgungsgebiet von SH Power liefert an einem bewölkten Wintertag so viel Strom, wie ihn etwa 20 bis 30 Haushalte benötigen», sagt Eichholzer.

Zertifikate Wie der Kanton Schaffhausen auf dem Papier atomstromfrei geworden ist

Strom ist Strom? Nicht ganz. Die Stromhändler rechnen mit zwei ganz unterschiedlichen Varianten. Es gibt einerseits den Strom, der durch die Leitungen fliesst, real existierende elektrische Energie also. Dieser Strom hat im Prinzip immer die gleichen Eigenschaften, egal, ob er nun aus einem tschechischen Braunkohlekraftwerk stammt oder aus einem Vorzeigewindpark in Frankreich. Der LED-Leuchte oder dem Computer ist es einerlei, welcher Strom durch die Leitung fliesst. Sie können jede Variante verwerten. Vielen Verbrauchern hingegen ist es überhaupt nicht egal, was für ein Strom geliefert wird. Wer etwa gegen die Atomkraft ist, möchte auch nicht, dass Atomstrom aus der Steckdose kommt. Dumm nur, dass man dagegen nichts machen kann. Wer nicht gerade die Stromleitung vor dem Haus kappt und komplett auf Selbstversorgung umstellt, muss den Strom nehmen, der geliefert wird, und der stammt aus ­allen möglichen Quellen. Genau an diesem Punkt setzt die zweite Variante von Strom an: der Papierstrom. Das ist Strom, dem per Zertifikat bestimmte Eigenschaften zugeordnet werden, etwa, dass er aus nachhaltiger Produktion stammt.

Strom im Winter Lage hat sich entspannt

Im Winter 2015/16 war die Versorgung der Schweiz mit Strom gemäss der Netzbetreiberin Swissgrid nicht mehr unter allen Umständen gesichert. Die Energiereserven wurden knapp, unter anderem, weil die Atomkraftwerke Beznau I und II nicht am Netz waren. Swissgrid sprach damals von einer «angespannten Energie- und Netzsituation». Im derzeitigen Wintersieht es besser aus. «Für die Schweiz besteht aufgrund der aktuellen Kältewelle keine Gefahr eines Versorgungsengpasses», sagt Swissgrid auf Anfrage. Fehlende Bandenergie könnte importiert werden, es stünden aber auch genügend inländische Kapazitäten bereit: Die Reserven in den Speicherseen seien ausreichend.

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