Mülltourismus in der Grenzregion: Einkaufswagen voll, Mülleimer auch

Ralph Denzel | 
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Vor allem bei Jestetter Discountern wird regelmässig Hausmüll abgeladen. Symbolbild: Pixabay

In der Grenzregion gibt es ein massives Problem mit illegal abgeladenem Hausmüll. Allerdings können die Gemeinden kaum etwas dagegen machen.

Die Gemeinde Jestetten steht und fällt mit den Schweizern – diesen Satz prägte der ehemalige Jestetter Bürgermeister Alfons Brohammer. Auch wenn viele Einwohner der Gemeinde diesen Satz nicht gerne unterschreiben, so wissen sie auch: Ein Grossteil der Einnahmen generiert der Ort mit den Nachbarn jenseits der Grenze. Allerdings bringen die Tausenden Einkaufstouristen oft nicht nur Geld und Umsätze in die Kassen der Supermärkte und Einzelhändler in der Gemeinde, sondern auch weitreichende Probleme, mit denen der 5000-Seelen-Ort zu kämpfen hat. Mülltourismus, also das Entsorgen des Hausmülls ennet der Grenze, ist ein massives Problem dort – auch wenn die Gemeinden kaum etwas dagegen machen können.

«Hausmüll abladen verboten!»

Wer durch Jestetten fährt, wird zuerst von einem grossen Aldi begrüsst. Dieser war jahrelang der umsatzstärkste in ganz Europa. Meistens ist der Parkplatz des Ladens an einem Samstag, dieser hat eine Fläche von etwas mehr als 7000 Quadratmetern, bis auf den letzten Platz gefüllt. Früher kam es manchmal sogar vor, dass der Aldi kurzzeitig seine Türen schliessen musste, da sich zu viele Menschen im Inneren befanden und so aufgrund von Brandschutzverordnungen erstmal ein paar Menschen den Laden wieder verlassen mussten.

Viele Kunden bedeuten dabei auch viel Abfall – und nicht immer stammt dieser aus der Filiale. Oft sparen sich Einkaufstouristen die paar Franken und entsorgen direkt auch ihren Hausmüll ennet der Grenze. So sagt Tobias Neuhaus, Pressesprecher von Aldi Süd: «Da unsere grenznahen Filialen generell stark frequentiert sind, kommt es dort auch zu einem hohen Müllaufkommen. Das gilt auch für unseren Standort in Jestetten.» In der Realität sieht das dann meistens so aus, dass die Mülleimer bis zum Bersten überquellen und auch der extra am Markt aufgestellte Container bis an den Rand gefüllt ist. «Darüber hinaus kommt es immer wieder vor, dass Hausmüll in unseren Abfallbehältern entsorgt wird.» Das ist eigentlich verboten und wird auch vom Markt so mit grossen Warnschildern «Hausmüll abladen verboten!» kommuniziert.

Den eigenen Hausmüll illegal ennet der Grenze zu entsorgen, ist rechtlich bedenklich: So gilt illegale Müllentsorgung als Ordnungswidrigkeit und kann in einer Anzeige münden. Wenn jemand dabei erwischt wird, führt das laut Karin Wagner vom Ordnungsamt in Jestetten zu einer Meldung beim Landratsamt, welches dann ein Ordnungsgeld verhängt. Dieses kann sich zwischen 25 und 250 Euro bewegen. Ausserdem muss der Müllsünder später einen Nachweis erbringen, dass der Müll ordnungsgemäss im jeweiligen Heimatland entsorgt wurde.

Petition gegen Müll

Folgt man der Hauptstrasse in Jestetten, kommt man irgendwann an zwei relativ neuen Discountern vorbei. Seit einigen Jahren gibt es in dem Ort nämlich auch einen Tedi und einen KiK – beide sind ebenfalls sehr beliebt, vor allem bei Einkaufstouristen. Karin Wagner erinnert sich: «Bei den Filialen hatten wir massive Probleme.» Ganze Kartons wurden dort einfach ablegt, ebenso wie Müllsäcke und Verpackungsmaterialien. Dies wurde damals so schlimm, dass sich in der Gemeinde Widerstand regte und sogar eine Petition gegen das Problem eingereicht wurde. Mittlerweile gibt es dort laut Karin Wagner mehrere Hausmeister, die für Ordnung sorgen.

Auch ein paar Meter weiter, die Schaffhauserstrasse hinunter, beim nächsten grossen Discounter ist das Problem Mülltourismus allgegenwärtig. So sagt Simone Joachim, Assistenz Regionsleitung Region Südwest bei Penny: «In unserer Penny-Filiale in Jestetten hat sich das Thema der illegalen Müllentsorgung im Tagesgeschäft etabliert.» Bei dem Markt falle im Vergleich zu anderen Märkten des Discounters laut ihrer Aussage fast die doppelte Menge Müll an. In der Gemeinde selbst kennt man das Problem bei den Discountern, ist aber dafür nicht zuständig: «Das gilt als Privatgrundstück, daher können wir nicht sagen, wie viel Müll dort entsorgt wird», so Karin Wagner.

Ein weiteres Problem, welches auch die Discounter haben, ist überhaupt einem Müllsünder ein Vergehen nachzuweisen. So muss die Gemeinde eindeutig identifizieren können, wer den Müll abgeladen hat, bevor sie aktiv werden kann. Auch bei den Discountern muss im Endeffekt eindeutig klar sein, wer den Müll liegengelassen hat, ehe man Konsequenzen ziehen kann. Da dies aber nur in den seltensten Fällen möglich ist, wird dieser meistens einfach entsorgt, ohne dass eine Meldung an das Ordnungsamt geht oder Sanktionen ausgesprochen werden.

Das ist auch ein Grund, warum es im letzten Jahr gerade Mal zwei Meldungen in Jestetten gab, in denen man einen Müllsünder überführen konnte - beides Mal kamen die Täter aus der Schweiz. Trotzdem findet das Bauamt laut Karin Wagner auch immer wieder Hausmüll in den gemeindeeigenen Mülltonnen, der dort illegal entsorgt wurde. «Oft handelt es sich dann auch um Verpackungen aus den Paketshops im Ort.»

Zoll kann «Problemen mit illegalen Müllentsorgungen» nicht bestätigen

Der letzte grosse Supermarkt in Jestetten ist der Edeka-Markt, direkt am Ortsende. Auf dem doppelstöckigen Parkplatz findet man an Samstagen zu den Stosszeiten kaum ein Kennzeichen ohne Schweizer Kreuz. Florian Heitzmann, Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei Edeka, bestätigt uns ebenfalls auf Anfrage: «Es gibt immer wieder Fälle, in denen Personen Hausmüll in den Einkaufswagenboxen des Markts in Jestetten sowie auch bei anderen Märkten entsorgen.»

Woher diese kommen, könne er allerdings nicht sagen.

Kartonagen und Hausmüll, abgeladen in Tiefgarage des Edekas in Jestetten. Bild: Ralph Denzel

Die Gemeinde Jestetten steht und fällt mit den Schweizern.

Ein weiteres Problem beim Thema illegale Müllentsorgung ist es jedoch auch eine klare Zuständigkeit zu finden. So ist einerseits das Bauamt Jestetten dafür zuständig, eventuelle Verschmutzungen zu entfernen. Aber: «Die Gemeinde ist nur für die Gemarkung in Jestetten verantwortlich», erklärt Karin Wagner. Das bedeutet: Gemeindestrassen und etwa öffentliche Plätze. Wird aber nun Müll auf einer Landstrasse nach oder von Jestetten weg entsorgt, fällt die Zuständigkeit an die Strassenmeisterei des Kreises Waldshut. So ist es schwierig, eine verlässliche Zahl zu bekommen, wie gross das Problem mit illegaler Müllentsorgung letztlich wirklich ist.

Dass es jedoch gar nicht erst soweit kommt, dafür ist der Zoll zuständig. Die Grenzwächter sollen ebenfalls ein Auge auf den Mülltourismus haben. Allerdings sagt Mark Efferl, Pressesprecher beim Hauptzollamt in Singen, auf Anfrage: «Die These, dass es im privaten, grenzüberschreitenden Reiseverkehr immer wieder zu Problemen mit illegalen Müllentsorgungen in Deutschland kommt, kann ich aus Sicht des Hauptzollamts Singen nicht bestätigen.» So gab es laut seiner Aussage weder im Jahr 2018 noch 2019 auch nur einen Fall, in dem jemand dabei erwischt wurde.

Bei den Discountern sieht man das anders, auch ausserhalb der Gemeinde Jestetten. Fährt man auf der Bundesstrasse 27 Richtung Zürich kommt man in den Nachbarort Lottstetten.

Die knapp 2000 Einwohner starke Gemeinde hat bisher «nur» einen Discounter, einen Lidl – weitere Ketten würden gerne folgen.

Auch wenn es nur einen Laden gibt, hat man auch hier das gleiche Problem wie in Jestetten. Mario Kohler, Presseverantwortlicher von Lidl, sagt: «Wir können bestätigen, dass in unseren Grenzfilialen, zu denen auch die Filiale in Lottstetten gehört, meist deutlich mehr Müll anfällt als in Filialen, die weiter von der Grenze entfernt sind.» Ähnlich wie in den anderen angefragten Filialen ist für ihn der folgende Punkt problematisch: «Viele Kunden packen beispielsweise gekaufte Ware noch auf unserem Parkplatz aus und transportieren sie in mitgebrachten Behältern nach Hause.» Weitaus schlimmer allerdings: «Es kommt auch vor, das Hausmüll bei uns entsorgt wird.»

Wird man dabei erwischt, kennen die meisten Läden kein Pardon: Bei drei von vier wurde uns versichert, dass im Fall von illegaler Müllentsorgung eine Anzeige erstattet wird. Wie oft das vorkam, beantwortete uns allerdings keiner der angefragten Läden.

Die Gemeinden stehen und fallen mit den Schweizern.

«Die Zahl illegaler Müllentsorgungen nimmt tendenziell zu»

Bestätigt wurde uns hingegen, dass in allen Filialen die Mitarbeiter mittlerweile angehalten sind, ein Auge auf illegale Müllentsorgung zu haben und entsprechend Sanktionen zu verteilen, sollte sowas vorkommen. Mancherorts, wie bei Penny, zeigt man sich mit diesen Massnahmen zufrieden. So sagt Simone Jochim: «Durch die verstärkte Kontrolle der Parkplatzanlagen durch unsere Mitarbeiter kombiniert mit den drohenden rechtlichen Sanktionen ist die Situation derzeit stabil.»

Anders sieht man es beim Aldi. Dort wird das Problem eher grösse als kleiner: «Die Zahl illegaler Müllentsorgungen nimmt tendenziell zu», sagt Tobias Neuhaus von Aldi Süd. Auch beim Lidl gehört es mittlerweile zum Tätigkeitsbereich der Mitarbeiter, dass sie die zusätzlichen Müllbehälter, die der Markt aufstellen musste, sortieren und kontrollieren.

Letztlich wird das Problem wohl weiter bestehen, solange der Frankenkurs den Einkaufstourismus so attraktiv macht.

Die Gemeinde steht und fällt mit den Schweizern.

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